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       # taz.de -- Papageienkonzert in Linz: Solange Wittgenstein Lust hat
       
       > Die Papageienvoliere ist das zentrale Kunstwerk beim Höhenrausch-Festival
       > in Linz. Ihre Bewohner sind Teil des Musikprojekts Alien Productions.
       
   IMG Bild: Ein Graupapagei des Musikprojekts Alien Productions beim Linzer Höhenrausch 2015.
       
       Linz taz | Als Wittgenstein keine Lust mehr hat, ist das Konzert zu Ende.
       Zwanzig Minuten lang hatte die junge Papageiendame zuvor genüsslich auf
       einem Piano aus Pappe herumgehackt und jedes Mal, wenn ihr Schnabel auf den
       darin eingebauten Sensor traf, rollte eine Welle aus Krach über die Voliere
       hoch über den Dächern von Linz. „Graupapageien stehen auf Noise“, erzählt
       Andrea Sobomka vom Musikprojekt Alien Productions.
       
       Seit 2012 arbeitet das Trio am Musikprojekt Metamusic, in dem es versucht,
       gemeinsam mit den Papageien Musik zu erzeugen. Dafür haben sie
       elektronische Instrumente mit Sensoren oder einem Touchscreen gebaut, die
       die Papageien spielen können – oder anderweitig benutzen: „Wir hatten ein
       altes Casio-Keyboard mit nur drei Tasten gebaut“, erzählt Sobomka.“ Das
       haben uns die Papageien zerlegt.“
       
       Ganz neu ist die Idee allerdings nicht. Der niederländische
       Free-Jazz-Pianist Misha Mengelberg hat schon 1972 ein Konzert mit seinem
       Papagei Eeko gespielt. Aber wo Eeko ein Gimmick für das Klavierspiel von
       Mengelbergs blieb, gehen Alien Productions einen Schritt weiter. Der Gesang
       der Papageien ist der Ausgangspunkt des gemeinsamen Musikmachens, nicht ein
       traditionelles Instrumente. „Auch Zoologen interessieren sich für unser
       Projekt“, berichtet Andrea Sobomka. „Über die Bioakustik von Papageien ist
       noch nicht so viel bekannt.“
       
       Am letzten Sonntag haben Alien Productions ihr Projekt live aufgeführt – um
       9 Uhr morgens, weil dann die Papageien ihre aktive Phase beginnen. Der
       Pianist Roger Eno (ja, der Bruder!) spielte ein paar Ambient-Akkorde, die
       Papageien singen und die Musiker nehmen die Vogelstimmen per Raummikro ab
       und spielen sie durch Effekte zurück.
       
       ## Kann ein Papagei echtem Vogelgesang erkennen?
       
       Man selbst steht unterdessen ein wenig verwundert vor dem Vogelgehege: Kann
       ein Papagei zwischen einem Effekt und echtem Vogelgesang unterscheiden?
       Singt das halbe Dutzend Vögel jetzt wegen der Effekte oder ignorieren sie
       diese einfach? So entsteht eine Art freier Improvisation zwischen den
       Tieren und den Musikern, bei der die Papageien letztlich die Kontrolle
       behalten – verlieren sie das Interesse, ist das Konzert vorbei.
       
       Die Papageienvoliere ist das zentrale Kunstwerk beim diesjährigen
       Höhenrausch-Festival in Linz. Es ist in einem Stahlkubus aufgebaut, der
       nach einem Stahlwerk heißt: der Voestalpine, gegründet als Rüstungsbetrieb
       im NS-Österreich. Heute sponsort der Konzern Kulturevents und will so den
       Imagewandel der ehemaligen Industriestadt Linz zum Kulturstandort
       befördern.
       
       „Das Geheimnis der Vögel“ ist das Motto des diesjährigen Höhenrauschs. Der
       passenderweise auf dem obersten Parkdeck eines Einkaufszentrums seinen
       Abschluss findet. Bis man dorthin gelangt, hat man bereits eine
       Installation des Medienkünstlers Marcus Coates passiert, der Naturaufnahmen
       von Vogelgesang von Hobbysängern in ihrem natürlichen Habitat – dem
       Wohnzimmer – nachsingen lässt.
       
       Weiter oben stehen ein paar Kinder dann staunend vor einer übergroßen
       Legebatterie, in der der Konzeptkünstler Koen Vanmechelen eine Hühnerrasse
       züchten will, zumindest auf dem Papier: Denn alle Schalen sind leer.
       Vanmechelen parodiert die Optimierung von Nutzvieh. Anstatt einer möglichst
       homogenen Hühnerart soll seine Schöpfung allerdings möglichst
       kosmopolitisch sein – der Stammbaum präsentiert Hühner aus den
       Niederlanden, Oberösterreich, China und Russland.
       
       ## Populär, aber nicht platt
       
       Vanmechelens Installation ist dabei typisch für die Art, wie der
       Höhenrausch seine Kunst präsentiert. Man nimmt ein populäres Thema – die
       Vögel – und zeigt daran politische und theoretische Positionen. Das ist
       populär, aber nicht platt und vor allem macht es Spaß. Auf dem obersten
       Parkdeck ist ein Kettenkarussell aufgebaut, für das fünfzehn KomponistInnen
       eigene elektro-akustische Stücke geschrieben haben, die jeweils eine
       Karussellfahrt lang sind.
       
       Während man also wie die Vögel an Ketten über der Linzer Altstadt fliegt,
       hört man wie der kalifornische Komponist James Tenney ein Tonintervall so
       präzise übereinanderschichtet, dass es wie der Soundtrack zum Auf und Ab
       der Ketten wirkt. Die Mischung geht auf, am Wochenende ist die Ausstellung
       voll mit jungen Familien.
       
       Auch im zweiten Herzstück des Höhenrauschs findet sich eine Menge Theorie.
       Nur hat sie der Künstler Mark Dion in Alltagsobjekten versteckt. In seiner
       „Luftwelt“ hat er Objekte aus Oberösterreich gesammelt, die mit dem Fliegen
       zu tun haben. Ein Bild eines fliegenden Skeletts, das die Gasangriffe im
       Ersten Weltkrieg symbolisieren soll, hängt in der Nähe eines Plakats von
       Hitchcocks „Die Vögel“, auf der gegenüberliegenden Wand sind
       Modellflugzeuge aus dem Bestand des Linzer Flughafens. Die Ordnung der
       Dinge stellen die Besucher selbst her.
       
       In seiner „Bibliothek für die Vögel von Linz“ hat Dion zwanzig Zwergfinken
       in eine Rundvoliere gesperrt und sie mit Lesestoff von Konrad Lorenz bis
       Friedrich Nietzsche ausgestattet. Hinzu kommen reale Fallen wie Käfige oder
       Pfeile, die die Vögel tauglich für das reale Leben über den Häuserdächern
       von Linz machen sollen. In kleinen Gruppen werden die Besucher
       hereingelassen und teilen sich mit den Finken den Käfig. Eine Begegnung auf
       Augenhöhe ist das nicht: Wir Menschen haben zwar Charles Darwin und Gilles
       Deleuze, um uns in die Tierwelt zu versetzen – gegen die regelmäßig vom
       Baum tropfende Scheiße der Vogelfinken helfen sie aber nicht.
       
       7 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Werthschulte
       
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