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       # taz.de -- Capraia: Beglückendes Dolcefarniente
       
       > Die fast autofreie, kleine Insel an der toskanischen Küste Italiens ist
       > nur für Individualisten, Wanderer oder Vogelliebhaber geeignet.
       
   IMG Bild: Blick auf den Ort Capraia Paese vom Meer aus.
       
       Die Ankunft auf dieser Insel ist angenehm ernüchternd: Selten schmeckt
       Langeweile so süß wie auf Capraia, hier gibt es kaum etwas zu entscheiden
       und genau das ist die große Entdeckung. Es gibt unten den Hafen und drei
       Kurven den Felsen hoch ein Dorf. Mehr nicht. Der Rest der 19
       Quadratkilometer großen Insel im toskanischen Archipel ist autofrei. Weil
       an jeder Weggabelungen ein Fahrverbotsschild steht – und weil es auf dem
       restlichen Teil der Insel sowieso nur Wanderwege gibt. Wege, die durch
       wilde Natur, über knapp 400 Meter hohe Berge, durch kniehohes,
       wohlduftendes Macchia-Gestrüpp und über schroffe Steilküsten aus
       dunkelrotem Lavastein wieder hinunter ans Meer führen.
       
       Anders als bei Elba oder Giglio verweisen gängige Reiseführer höchstens mit
       einem Infokasten auf Capraia. Es gibt hier keine Sandstrände, keine mondäne
       Promenade und die komplette Westküste ist als Naturschutzzone 1 für Boote
       gesperrt. Stattdessen leben hier Seeigel, Silbermöwenkolonien,
       Seepferdchen, bunt gestreifte Fische, grün gepunktete Eidechsen, ziemlich
       laute Hummeln und wilde Ziegen, Capras, nach denen die Insel benannt wurde.
       Eine Informationstafel oben im Dorf verspricht gar Walfische.
       
       ## Wanderer, Schnorchler und Ornithologen
       
       Zu Besuch kommen entsprechend Wanderer, Schnorchler, Ornithologen und
       Segler. Plötzlich diese Übersicht: Nur im äußersten Nordosten leben auch im
       Winter etwas mehr als 300 Einwohner. Auf der restlichen Insel stehen
       lediglich ein paar markant verteilte Festungstürme, welche die Provinz
       Genua einst baute, um sarazenische Piraten abzuwehren. Von ganz oben sieht
       man bei guter Sicht bis Korsika und Elba.
       
       Das Inselleben findet im Hafen unten und im Dorf oben statt. Unten wird der
       fangfrische Fisch verkauft, kommen Benzin, Nachrichten und palettenweise
       Moretti-Bierdosen an. Oben auf der Piazza Milano seufzen die Alten über die
       Hitze. Hier gibt es ein privatisiertes Castello, einen Helikopter
       Landeplatz und ein Tabacchi. Sonst nichts. Viele Entscheidungen erübrigen
       sich auf Capraia auf wundersame Weise: Ein Supermarkt unten, eine Bäckerei
       oben, ein Stand mit frischem Fisch, eine Gelateria, ein Campingplatz, ein
       ausrangierter Mini-Bus aus Siena für die drei Kurven. Und einheitliche
       Öffnungszeiten: Die Geschäfte sind von 13 bis 17 Uhr geschlossen.
       
       Den Rhythmus für das Leben auf Capraia taktet die Fähre. Täglich grüßt sie
       mit einer scharfen Spitzkehre vor dem kleinen Steinsträndchen Spiagga del
       Frage direkt neben der Hafenmole. Kurz darauf wird freudig gehupt, gelacht,
       werden schmatzende Begrüßungsküsse verteilt.
       
       Das Durcheinander ist routiniert: jeder versucht sich theatralisch mit
       einer Extrawurst. Die Barbesitzerin der Strandbar ist heute die erste, die
       mit ihrem kleinen Citroën in den Laderaum darf, um dort ein paar Kartons
       Softgetränke abzuholen. Lastwagen liefern Benzin, Steinbänke oder
       Baumaterial, der Rest wird händisch aus dem Frachtraum getragen. Die Fähre,
       die gut drei Stunden von Livorno nach Capraia braucht, ist gleichzeitig
       Postfach und Treffpunkt.
       
       ## Die einzige Fritteria unten am Hafen
       
       Sobald das Schiff ablegt kehrt Stille ein. Jetzt wird wieder in aller Ruhe
       über die Hitze, den Prosciutto und die Quallen geplaudert. Wobei letztere
       der einzige Aufreger auf dieser gemütlichen Insel sind. Welche Quallen wie
       gefährlich sind, wann sie kommen und was man bei einem Biss unternimmt,
       darüber hat hier jeder und jede seine eigene Theorie, die von Rasierschaum
       über Olivenöl bis zu einem simplen heißen Stein reicht.
       
       Neben der Fähre und den Quallen verbreiten nur noch die wenigen
       Nordeuropäer Hektik, die sich gut ausgerüstet und voller Tatendrang auf
       Capraia verirren. Ihre Lektion im Dolcefarniente bekommen sie, sobald sie
       Einheimische um Rat fragen. Welche der zahlreichen Buchten lohnt sich zu
       erwandern: Porto Vecchio, Bagno del Torre, Cala Zurletto oder Cala del
       Ceppo?
       
       Die Mitarbeiter von Nonno Beppe, der – natürlich einzigen – Fritteria unten
       im Hafen, blicken nur ratlos auf die Karte der Insel, die ich ihnen
       hinlege. Ohne Boot? Zu Fuss? Augenbrauen gehen hoch. Jetzt im Sommer bei 32
       Grad? Seufzen. Mit Kind und Rucksack? Mitleidiger Blick und Kopfschütteln.
       Unmöglich.
       
       Viel zu heiß, viel zu weit, und noch gar nie auf eine solche Idee gekommen.
       Außerdem, gibt die Köchin zu bedenken, müssten wir ja die Panini selbst
       mitnehmen, Strandbars gibt es schließlich keine auf Capraia. Also stehen
       wir rechtzeitig vor den beiden grantigen Schwestern im einzigen Alimentari
       und bestellen genügend Panini.
       
       ## Vorbei an der ehemaligen Strafkolonie
       
       Der Weg zum Porto Vecchio führt durch ein Stück Vergangenheit der Insel:
       Hier verfallen reihenweise die Gebäude einer ehemaligen Strafkolonie, in
       der Häftlinge bis 1986 Getreide und Oliven anbauten. Der Haupttrakt mit
       verrosteten Gitterfenstern ist noch immer gut zu erkennen, auch die beiden
       Kapellen sowie ein kleiner, sehr aufwendig bemalter Palazzo mit Garten für
       den Direttore. Oben auf dem Hügel steht ein sozialistisch anmutender
       Bauernhof, gleich dahinter führen Rossana Chierichetti und Massimo
       Schiavelli ein kleines Agriturismo auf gepachtetem Gelände der
       Strafkolonie.
       
       Hier endet die Straße und nur noch ein schmaler Trampelpfad führt hinunter
       zum Porto Vecchio. Wir riechen wilde Minze, Kamille, Myrrhe, Kiefern und
       winken unten am Ufer den erstaunt blickenden Besitzern der luxuriösen
       Jachten hochmütig zu. Eine Ecke weiter wäre der einzige Sandstrand der
       Insel, welcher der Macht des Nordwest-Windes unterliegt. Doch in diesem
       Jahr war er im März so stark, dass der Sand verweht wurde. Ein Ausflug
       dorthin, seufzt der Bootsvermieter, lohne also nicht.
       
       Gründe, eine Anstrengung nicht zu tun, gibt es auf dieser Insel viele, das
       lernt man als Tourist von den Einheimischen schnell. Die meisten von ihnen
       treffen sich morgens und abends an der Spiagga del Frage, Jede kennt hier
       jeden, welche Enkel zu welchen Großeltern gehören, ist schnell klar.
       Aufgabe der Nonni ist es, die Kinder im Sekundentakt mit Wasser
       anzuspritzen oder Plastikferraris aufzublasen. Aufgabe der Nonne ist es vom
       Badetuch her die Enkel, manchmal auch die Nonni, zur Vernunft zu rufen.
       Täglich, pünktlich um 10.30 Uhr schlägt hier eine große Welle ans Ufer, vor
       der zwar ein Hinweis am Eingang warnt, von der jedoch niemand weiß, warum
       und woher sie kommt.
       
       ## Kritisch beäugte selbstverliebte Jachtbesitzer
       
       Schulterzucken am Ufer, großes Gekreische im Wasser. Wie so vieles hier,
       bleibt auch diese Welle ein Mysterium, der man mal nachgehen könnte.
       Könnte, denn den Konjunktiv weiß man nach nur 24 Stunden auf dieser Insel
       zu schätzen. Erst abends erwacht die Insel aus ihrem Dolcefarniente-Schlaf,
       wenn bei Sonnenuntergang eine Jacht nach der anderen im Hafen anlegt.
       
       Die Hafenmitarbeiter in ihren roten T-Shirts bewegen sich jetzt schneller,
       rufen hektisch Befehle in ihre Funkgeräte und verkneifen sich ein Grinsen,
       wenn einem selbstverliebten Jachtbesitzer das Einparken mal wieder nicht
       gelingen will. Es gibt zu dieser Primetime am Hafen klare Spielregeln: Je
       fetter die Jacht, umso größer die Erwartungen der Zuschauer an ein
       souveränes Manöver. Zuviel verlangt ist das nicht, schließlich sind sie die
       einzige Unterhaltung auf dieser sonst so verschlafenen Insel..
       
       22 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gina Bucher
       
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