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       # taz.de -- Marion Koch über Interreligiosität: „Unterschiede stehen lassen“
       
       > Seit fünf Jahren gibt es interreligiöse Dialoge in der Hamburger
       > Kunsthalle. Intiatorin Marion Koch über Klischees, Frauen mit Turban und
       > Fundamentalisten.
       
   IMG Bild: Hier und da klischeebeladen: Marion Koch (r.) vor einem Bild Philipp Otto Runges.
       
       taz: Frau Koch, warum haben Sie 2010 den interreligiösen Dialog vor Bildern
       erfunden? 
       
       Marion Koch: Ein Auslöser war 9/11. Ich begann mich zu fragen: Wie entsteht
       in meinem Kopf ein Bild von Muslimen, und welchen Anteil daran hat die
       bildende Kunst? Aus dieser Fragestellung heraus habe ich 2006 für die
       Kunsthalle den Parcours „Bilder vom Orient“ entwickelt.
       
       Was haben Sie gefunden? 
       
       Zum Beispiel, dass Orientalen auf Gemälden des 15. und 16. Jahrhunderts
       durch einen Turban gekennzeichnet werden, was so nicht stimmt. Das sprachen
       auch Imame bei einer Führung an: Sie fragten, warum auf dem Gemälde „Die
       Verstoßung der Hagar“ des Niederländers Pieter Lastmann aus dem 17.
       Jahrhundert die ägyptische Magd Hagar einen Turban trägt und Abraham einen
       Teppich als Umhang. Im Koran, sagten die Imame, wird Hagar, die im Islam
       Haja heißt, von Abraham nicht vertrieben, sondern – auf Gottes Geheiß – in
       die Wüste begleitet.
       
       Und warum trägt sie auf dem Bild einen Turban? 
       
       Weil der Maler sie, wie auch Abraham, als aus einer vergangenen, anderen
       Zeit und einer anderen Welt kennzeichnen wollte. Ähnliche Kleidung konnte
       der Künstler bei Händlern aus Konstantinopel – dem heutigen Istanbul –
       sehen. Diese Darstellung war gar nicht diskriminierend gemeint, denn
       orientalische Händler waren in den Niederlanden damals gern gesehen. Eine
       Frau mit Turban ist allerdings eine Erfindung des Westens.
       
       Sind solche klischeebeladenen Gemälde für den interreligiösen Dialog
       geeignet? 
       
       Ja. Das ist ja genau das Spannende, weil man sich dadurch bewusst machen
       kann, woher die eigenen Vorstellungen kommen. Und mit den Augen der Imame
       sieht man eine völlig andere Geschichte dargestellt.
       
       Wie verläuft solch ein Dialog vor Bildern? 
       
       Ich lade drei ReferentInnen verschiedener Religionsgemeinschaften ein, um
       aus Sicht ihrer Religion über zwei Werke der Kunsthalle zu sprechen –
       miteinander und mit dem Publikum.
       
       Wie wählen Sie Themen und Bilder aus? 
       
       Anfangs waren es naheliegende Themen: Gottesbild, Sündenfall, Schöpfung,
       Tod- und Jenseitsvorstellungen. Sie sind Gegenstand des Alten Testaments,
       des Neuen Testaments und des Korans. Mit der Zeit habe ich allgemeinere
       Themen wie Licht oder Hoffnung hineingenommen. Bezüglich der Bilder treffe
       ich eine Vorauswahl, die ich mit den Referenten abstimme.
       
       Zu Projektbeginn vor fünf Jahren war interreligiöser Dialog im Museum etwas
       Neues. War es schwer, Referenten zu finden? 
       
       Bei den muslimischen Gemeinschaften war es relativ leicht, weil etwa der
       Schura, also der Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, einen
       Dialogbeauftragten hat. Auch die Akademie der Weltreligionen, mit der ich
       zusammenarbeite, half oft weiter. Nach Referenten aus den jüdischen
       Gemeinschaften habe ich allerdings länger gesucht.
       
       Warum? 
       
       Ein Grund ist nach wie vor der Holocaust: Es gibt in Hamburg nicht sehr
       viele Bürger jüdischen Glaubens. Außerdem gab es die Befürchtung, dass der
       Referent Kunsthistoriker sein müsse. Dabei geht es mir nur um die profunde
       Kenntnis der Religion.
       
       Warum laden Sie so selten Buddhisten und Hindus ein? 
       
       Das hängt einerseits mit den Themen zusammen. Andererseits entscheide ich
       mich oft für den Dialog zwischen den abrahamitischen Religionen, weil es da
       aktuell mehr Klärungsbedarf und Reibungsfläche gibt.
       
       Würden Sie fundamentalistische Referenten einladen? 
       
       Da ich mir nicht zutraue, das vorab einzuschätzen, wende ich mich an die
       Religionsgemeinschaften oder die Akademie der Weltreligionen. Deshalb bin
       ich noch nicht in die Situation gekommen, einen fundamentalistischen
       Referenten, egal aus welcher Religion, hierzuhaben.
       
       Sie schließen Fundamentalisten nicht per se aus? 
       
       Es kommt auf das Individuum an. Entscheidend ist für mich die
       Dialogfähigkeit: die anderen Referenten anzuhören, auf sie einzugehen und
       Unterschiede nebeneinander stehen lassen zu können.
       
       23 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
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