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       # taz.de -- Leichtathletik-Weltmeisterschaft in China: Schlechter Lauf in Peking
       
       > JournalistInnen beklagen die Zensur, SportlerInnen das Chaos: Anders als
       > bei Olympia 2008 gibt es bei der WM der LeichtathletInnen massive
       > Probleme.
       
   IMG Bild: Immerhin haben die Leichtathleten saubere Luft. Auch wenn die nicht unbedingt für sie bestimmt war
       
       PEKING taz | Schäfchenwolken am Himmel – das gibt es nicht an vielen Tagen
       in Peking. Zumindest was saubere Luftwerte anbelangt, hat die chinesische
       Führung noch rechtzeitig alle Register gezogen. Fast 2.000 Fabriken mussten
       ihre Produktion drosseln oder gar komplett schließen.
       
       Die rund sechs Millionen Pekinger Autofahrer dürfen nur an jedem zweiten
       ihr Gefährt nutzen. Selbst die vielen Fleischspießchen-Griller, die
       normalerweise die Straßen des in Peking beliebten Vergnügungsviertels
       Sanlitun bevölkern, sind verschwunden – auch Holzkohlegrills tragen zum
       Smog bei.
       
       Lagen die Feinstaubwerte in der chinesischen Hauptstadt einen Tag vor
       Beginn der Leichtathletik-WM wie sonst in Peking üblich bei dem Sechsfachen
       des Grenzwerts, den die Weltgesundheitsorganisation noch für unbedenklich
       hält, herrschen nun im gesamten Stadtgebiet saubere Luft und eitel
       Sonnenschein. Viele Sportler und aus aller Welt angereiste Angehörige und
       Fans sind dennoch verärgert.
       
       „Schlechter Service“, beklagt sich eine 59-jährige
       Leichtathletik-Liebhaberin aus den USA, die Usain-Bolt-Fan ist. „Es
       herrscht ein äußerst rüder Umgangston.“ Sie sei schon bei vielen
       Weltmeisterschaften gewesen, in Lausanne, Berlin und Moskau. Aber nirgends
       fand sie die Mitarbeiter so unfreundlich.
       
       ## Nur jeden zweiten Tag Bananen
       
       „Auf dem Einlaufplatz fehlen definitiv Toiletten“, beklagt sich der
       deutsche Sprinter Julian Reus über seine Suche nach einem stillen Örtchen.
       Und der 800-Meter-Läufer Robin Schembera soll deutschen Medienberichten
       zufolge bei dem Versuch gescheitert sein, eine Banane zu ergattern.
       
       „Gab‘s nicht“, wird der Leverkusener zitiert. Ihm sei mitgeteilt worden,
       dass es nur jeden zweiten Tag Bananen gebe. „Bei einer WM! Für Sportler! In
       einem Hotel für 1.000 Menschen!“, soll er sich echauffiert haben.
       
       Ein britischer Journalist, der 2008 zu den Olympischen Spielen schon einmal
       aus Peking berichtet hatte, steht in den Katakomben des berühmten
       „Vogelnests“ und zeigt auf die angegrauten Wände, von denen schon der Putz
       abbröckelt.
       
       Daneben steht ein Wasserspender, bei dem durch den Kanister quer ein Riss
       geht. Er leckt. „Haben die Veranstalter das Stadion seit 2008 nicht mehr
       sauber gemacht?“, fragt er.
       
       Ob Athleten, Journalisten oder Sportfunktionäre: 2008 lobten sie die
       Pekinger Organisatoren für die Austragung der Olympischen Sommerspiele noch
       in den höchsten Tönen. Damals verliefen die Spiele weitgehend ohne
       Probleme. Chinas Führung war sogar politisch zu Eingeständnissen bereit und
       lockerte die Zensurbestimmungen.
       
       Chinesische wie ausländische Journalisten durften auf einmal freier
       berichten. Damals wollte sich China eben von seiner offenen und
       weltgewandten Seite zeigen und beweisen: Die aufstrebende Nation kann es.
       
       ## China-typisch üppig pompös und peinlich penibel
       
       Doch von diesem politischen Tauwetter ist heute nicht mehr viel zu spüren.
       Seit vor zweieinhalb Jahren Xi Jinping das Amt des Staats- und
       Parteioberhaupts des großen und mächtigen Chinas übernommen hat, haben sich
       die Zensurbestimmungen deutlich verschärft – ebenso die Freiheitsrechte.
       
       Über 200 Anwälte – einige von ihnen hatten Regimekritiker vertreten – haben
       die Behörden wenige Wochen vor Beginn der WM festgenommen. Das hätte es vor
       Olympia nicht gegeben.
       
       „Selbst über das Sportevent dürfen wir nicht frei berichten, sondern müssen
       uns an die Vorgaben der amtlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua
       halten“, beklagt sich ein chinesischer Sportjournalist, der mit seinem
       Namen nicht genannt werden möchte.
       
       Die Eröffnungsfeier am Freitag war China-typisch üppig und pompös. Und
       geradezu peinlich penibel vorbereitet war auch die Choreografie. „Das kann
       China“, sagt die amerikanische Touristin. „Aber das ist auch schon alles“,
       kritisiert sie.
       
       Schon beim Herausgehen hätten sich die Menschenmassen gedrängt, weil Ordner
       vergaßen, rechtzeitig die Absperrgitter für die Einlasskontrollen
       wegzuräumen. „Es herrschte totales Chaos.“
       
       ## Militärparade ist wichtiger
       
       Tatsächlich leisten sich die chinesischen Organisatoren am
       Auftaktwochenende auffällig viele Pannen. Und es sind nicht nur die
       unzureichenden Toiletten für die Athleten oder die miserable Verpflegung.
       Gleich am ersten Wettkampftag ist es fast zu einem Eklat gekommen.
       
       Für den Marathon hatten die Veranstalter zahlreiche Straßen abgesperrt,
       allerdings auch die Strecke zum Olympiastadion. Viele Busse mit Trainern
       und Sportlern kamen nicht durch, weil die Organisatoren es versäumt hatten,
       Alternativrouten einzuplanen. Nur unter Zeitdruck schafften es die
       Hammerwerfer und 800-Meter-Läufer rechtzeitig zum Start.
       
       Die chinesische Führung scheint sich für die WM nur wenig zu interessieren.
       Auch die Staatsmedien berichten über die WM nur am Rande. Ihre Prioritäten
       liegen derzeit ganz woanders.
       
       Wegen der Vorbereitungen der wegen ihrer antijapanischen Propaganda höchst
       umstrittenen Militärparade anlässlich des 70. Jahrestags des Ende des
       Zweiten Weltkriegs in der kommenden Woche sind bereits zahlreiche Straßen
       und Plätze in der Innenstadt gesperrt.
       
       Wie denn auch die englischsprachige chinesische Staatszeitung China Daily
       in ihrer Montagsausgabe zugibt: Die Fabrikschließungen, der blaue Himmel –
       sie dienten gar nicht der besseren Luft für die Athleten, sondern der
       Militärparade.
       
       26 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Lee
       
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