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       # taz.de -- Die Wahrheit: Des Teufels tollkühner Tiefbautrupp
       
       > Wenn es nach 50 Jahren unvermutet zu klappern beginnt, sind nicht immer
       > natürliche Alterungsprozesse dafür verantwortlich.
       
       Theo zeigte auf meinen Kopf und sagte: „Wenn es irgendwo klopft, dann da
       drin. Ist ja auch kein Wunder, dass es in deiner Birne langsam anfängt zu
       klappern, schließlich dürfte sich nach fünfzig langen Lebensjahren darin so
       manche Schraube gelockert haben.“
       
       Ich fand es absolut inakzeptabel, dass ausgerechnet Theo Anspielungen auf
       mein Alter machte, schließlich hatte er noch zwei Jahre mehr auf dem Buckel
       und außerdem hatte sich schon mehrfach gezeigt, dass sein Hörvermögen
       merklich schwand. „Wer ist denn hier der alte, taube Knacker, hä?“, fauchte
       ich – aber Theo hob einen Zeigefinger und sagte: „Es heißt nicht taub, es
       heißt harthörig, wie schon Professor Bienlein bemerkte. Und außerdem habe
       ich bestenfalls Probleme mit hohen Tönen. Wenn es hier klopfen würde, dann
       würde ich es auch hören.“ – „Würdest du nicht!“ – „Würde ich doch!“
       
       Ich seufzte und fragte mich, warum wir neuerdings alles mit dem Älterwerden
       in Verbindung brachten, ganz gleich, ob der eine plötzlich Deep Purple
       langweilig fand oder der andere ein wachsendes Faible für süße Mixgetränke
       entwickelte. Vielleicht hatten wir doch ein Problem damit.
       
       Die Klopfgeräuschfrage aber musste geklärt werden. Wir standen an der Theke
       des Café Gum, waren die letzten Gäste, und Petris, der Gum-Wirt, hatte die
       Musik schon ausgestellt und räumte die Tische ab. „Pete“, sagte ich, als er
       mit einem Arm voller leerer Gläser zur Theke zurückkam, „Hörst du das
       Pochen?“ „Pochen?“, rief er und riss die Augen auf: „Porca Miseria!“ Petris
       war Grieche, fluchte aber grundsätzlich auf Italienisch, und ich fand, dass
       das ein sehr schönes Sinnbild für das Zusammenwachsen Europas war.
       
       Er stürzte zu seiner nagelneuen Kaffeemaschine, deren Vorgängerin letzte
       Woche plötzlich begonnen hatte zu dampfen und zu stampfen und dann von
       einer Explosion in die ewigen Jagdgründe katapultiert worden war. Er
       presste, die Augen weiterhin aufgerissen, ein Ohr an die Maschine, dann
       entspannte er sich und sagte: „Kein Pochen, uff, das hätte noch gefehlt!“
       Theo rief triumphierend „Ahaaa!“ und verzog den Mund zu einem breiten
       Grinsen.
       
       Pete aber war noch nicht fertig. Er hob die Hand, um Theo zu bedeuten, dass
       er bitte schön den Schnabel halten möge, und lauschte angestrengt. „Aber du
       hast recht“, flüsterte er, während er langsam in den hinteren Teil des
       Cafés schlich, „es pocht. Und zwar … haargenau …“, Pete blieb stehen und
       zeigte auf den Boden: „Hier!“
       
       In diesem Moment brach ein Stemmeisen von unten durch den Boden. „Madonna
       mia!“, kreischte Petris: „Der Teufel! Jetzt kommt er uns holen!“ Er fiel in
       Ohnmacht und auch Theo und ich wichen erschrocken ein paar Schritte zurück.
       Doch als durch das sich rasch erweiternde Loch drei enttäuscht aus der
       Wäsche kuckende Männer heraufgekrabbelt kamen, wurde uns sehr schnell klar,
       dass es sich kaum um des Teufels tollkühnen Tiefbautrupp handelte. Vielmehr
       sollten wir den Burschen erklären, dass sich die Sparkasse auf der anderen
       Straßenseite befand.
       
       20 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Joachim Schulz
       
       ## TAGS
       
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