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       # taz.de -- Religionswechsel in Saudi-Arabien: Eine Bratpfanne für Neumuslime
       
       > Viele Gastarbeiter in Saudi-Arabien treten zum Islam über. In großen
       > Städten rufen Prediger zur Konversion auf. Mit bisweilen absurden
       > Anreizen.
       
   IMG Bild: Geldwerte Vorteile: Wer eine Frage zum Islam hat, bekommt von Jamil Prepaidkarten für das Handy.
       
       DSCHIDDA taz | „Aschhadu“, spricht Jamil langsam und deutlich ins Mikrofon,
       „alla ilaha illa-llah“. Dann wiederholt er die Worte, diesmal schneller:
       „Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Gott.“ Das l spricht Jamil
       kehlig, die Laute zieht er zusammen. Fast klingt der Filipino wie ein
       arabischer Muttersprachler. Ein Mann aus dem Publikum tritt vor und spricht
       ihm das Glaubensbekenntnis nach. Und ist damit zum Islam konvertiert. Die
       Menge jubelt, aus den Geschäften in Dschiddas Altstadt strömen Schaulustige
       auf den Platz. „Allahu akbar“, rufen einige, „welcome to Islam!“ Jamil
       drückt dem frischgebackenen Muslim als Geschenk eine brandneue
       Elektrobratpfanne in die Hand.
       
       „Wir sind Freiwillige“, sagt Jamil, als der Muezzin ruft und er seine Show
       für das Abendgebet unterbricht. „Wir machen das nur freitags.“ Dieser
       Freitag war besonders erfolgreich für das United Islamic Center in
       Dschidda, eines von vielen Missionierungsbüros in Saudi-Arabien. „Unser
       Durchschnitt liegt bei zehn Leuten pro Freitag, aber heute haben wir schon
       13 konvertiert“, sagt der Laienprediger und erklärt: „Der Gott von Christen
       und Muslimen ist fast derselbe.“ Der Weg zum Islam sei für Filipinos nur
       ein sehr kleiner Schritt.
       
       Rund eineinhalb Millionen Filipinos arbeiten in Saudi-Arabien. Unter den
       Nichtsaudis sind sie eine der größten Gruppen in dem Königreich mit den
       gigantischen Ölvorkommen, dessen Wirtschaft auf Gastarbeiter angewiesen ist
       und wo jeder Dritte nicht die saudische Staatsbürgerschaft besitzt.
       Männliche Filipinos arbeiten oft als IT-Experten, im Restaurant und als
       Chauffeure für saudische Frauen, Filipinas verdienen meist als
       Krankenschwestern, Putzhilfen oder Hausangestellte ihr Geld.
       
       Dass die meisten Christen sind, spielt keine Rolle, auch wenn der Islam in
       Saudi-Arabien Staatsreligion ist und das öffentliche Leben prägt wie in
       keinem anderen Land der Region. Die saudischen Sponsoren, ohne die kein
       Gastarbeiter ins Land kommt, können aber auch speziell nach Muslimen fragen
       – etwa wenn sie ein Kindermädchen gleichen Glaubens suchen.
       
       Auch Jamil, der unter der Woche bei Opel arbeitet, kam als Christ nach
       Saudi-Arabien. Nach seiner Ankunft 1998 beginnt er, sich mit dem Islam zu
       beschäftigen, besucht die Moschee, lernt Arabisch. 2003 beschließt er, zu
       konvertierten oder, wie er sagt: zu revertieren. „Wir nennen die neuen
       Muslime nicht Konvertiten, sondern Revertiten“, erklärt er. Die Filipinos
       seien früher Muslime gewesen. Erst die spanischen Kolonialherren hätten ab
       dem 16. Jahrhundert das Christentum auf die Philippinen gebracht, wo heute
       nur noch rund 10 Prozent der Bevölkerung muslimisch sind. In Saudi-Arabien
       würden die Filipinos zu ihrer ursprünglichen Religion zurückfinden.
       
       ## Nicht immer Herzenssache
       
       Wie viele Filipinos in Saudi-Arabien konvertieren, weiß niemand. Eine
       offizielle Statistik gibt es nicht. Randy Maduro, der die philippinische
       Community kennt wie kein anderer, schätzt, dass 30 bis 40 Prozent den Islam
       annehmen. Mit seiner Organisation setzt er sich für die Rechte seiner
       Landsleute in Saudi-Arabien ein, die oft unter Diskriminierung und
       Ausbeutung leiden. Seinen echten Namen möchte er nicht in der Zeitung
       lesen. Den seiner Organisation auch nicht.
       
       „Es gibt verschiedene Gründe, warum Filipinos in Saudi-Arabien zum Islam
       übertreten“, sagt Maduro. Einige – die „Muslime im Herzen“ – würden sich
       intensiv mit dem Islam beschäftigen und aus Überzeugung konvertieren. Aber
       längst nicht alle: „Viele Arbeitgeber zahlen ihren Angestellten einen
       Obolus, wenn sie Muslim werden“. 500 Rial, rund 120 Euro, seien als
       Belohnung durchaus normal.
       
       Außerdem erleichtere die Konversion die „Integration ins System“, wie
       Maduro es ausdrückt. Saudische Arbeitskollegen würden muslimische
       Gastarbeiter besser behandeln. „Sie betrachten dich als Bruder, wenn Du
       übertrittst.“ Auch auf den Ämtern habe man es leichter. Wer laut seinen
       Papieren Muslim sei, könne zum Beispiel seine Aufenthaltsgenehmigung,
       schneller verlängern lassen.
       
       Angebote, zum Islam überzutreten, habe auch er bekommen, sagt Maduro, der
       seit 2008 als Projektmanager im saudischen Eisenbahnsektor arbeitet: „Am
       Anfang sprach mich mein Arbeitgeber oft darauf an, persönlich und am
       Telefon, mehrmals wöchentlich.“ Einmal habe er ihn in die Moschee
       mitgenommen und ihm angeboten, mit den anderen zu beten.
       
       Von Druck will Maduro aber nicht reden. Als er nach einem Jahr noch nicht
       übergetreten war, akzeptierte der Arbeitgeber seine Entscheidung. „Wir
       leben hier in einem islamischen Staat“, sagt Maduro verständnisvoll. Dass
       den Christen der Übertritt nahegelegt wird, müssten sie akzeptieren. Ein
       größeres Problem sei, dass sie ihre Religion nicht ausüben dürften. Kirchen
       gibt es in Saudi-Arabien keine. Deshalb treffen sich viele ausländische
       Arbeiter zu privaten Gottesdiensten in ihren Wohnungen, was nicht verboten
       ist, solange nicht für den Glauben geworben wird. Doch auch diese Treffen
       wurden schon mehrfach gestürmt, und Gläubige wurden festgenommen.
       
       ## Zögern vor dem Übertritt
       
       Nach dem Abendgebet füllt sich die Altstadt von Dschidda wieder mit Leben.
       Jamil steigt auf sein Podest, das er in der Mitte des Platzes aufgebaut
       hat. „Wer hat Fragen zum Islam?“, ruft er in die Menge. Doch die
       Glückssträhne ist vorbei. „Gibt es wirklich keine Nichtmuslime mehr?“
       Schließlich wagt sich ein Mann ans Mikrofon, zögert aber lange und
       entschließt sich, noch nicht überzutreten. Auch zwei offensichtlich
       nichtsaudische Teenager, die zufällig an der Menge vorbeikommen, haben
       anderes im Kopf. „No, no“, winken sie ab und ziehen ihres Weges.
       
       Zeit, einen Anreiz zu geben: „30 saudische Rial für eine Frage zum Islam“,
       ruft Jamil und hält drei Prepaidkarten in die Höhe. Sein Kollege steckt ihm
       zwei weitere zu. „50 Rial Handyguthaben für eine Frage zum Islam!“
       Tatsächlich meldet sich einer aus der Menge: „Was ist der Unterschied
       zwischen Muslimen und wiedergeborenen Christen?“, will er wissen. Jamil
       holt weit aus, am Ende seiner Predigt landet er beim Koran und der Bibel.
       „Die Bibel“, sagt er, „wurde von Autoren geschrieben. Der Koran ist das
       Wort Gottes.“
       
       Der Mann nickt und steckt die fünf Prepaidkarten in die Hosentasche.
       Vielleicht kommt er am nächsten Freitag wieder. Jamil jedenfalls wird mit
       seinen Kollegen wieder da sein.
       
       1 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
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