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       # taz.de -- Eröffnung des Musikfests: Der Klang der Tausend
       
       > Homogene Hörer für vielfältige Klänge: Mit der „Großen Nachtmusik“ rund
       > um den Markt ist das Musikfest Bremen in seine 26. Saison gestartet.
       
   IMG Bild: Menschenmengen aus offenbar erfolgreichen 50-plus-Paaren bei der Musikfest-Eröffnung.
       
       BREMEN taz | Nur wenige Festivals können es sich leisten, schon bei ihrer
       Eröffnung mit 27 Konzerten aufzuwarten, verteilt auf drei Zeitschienen in
       acht Veranstaltungsorten.
       
       Das Musikfest Bremen, das immerhin drei Wochen Zeit hat, seine dieses Jahr
       fast tausend Mitwirkende auftreten zu lassen, praktiziert diesen
       quantitativ opulenten Auftakt auf hohem Qualitätsniveau: Mit der „Großen
       Nachtmusik“ rund um den Markt begann am Samstag die 26. Saison.
       
       Das Festival finanziert sich zu über 80 Prozent aus eigenen Einnahmen und
       Sponsorenmitteln – eine Quote, die seit seiner Gründung 1989 kontinuierlich
       gewachsen ist. Der öffentliche Anteil liegt derzeit noch bei 550.000 Euro,
       bei den Koalitionsverhandlungen wurde bereits über weitere Absenkungen
       diskutiert.
       
       Eine oft vorgebrachte Kritik am Musikfest bezieht sich auf die Homogenität
       des Publikums, wie sie besonders am Eröffnungsabend augenfällig ist: Es
       besteht ganz überwiegend aus ökonomisch offenbar erfolgreichen
       50-plus-Paaren.
       
       Aber auch dieses pekuniär-demographische Bevölkerungssegment vermag
       derartige Menschenmengen zu generieren, dass die Innenstadt von einer sonst
       selten zu erlebenden abendlichen Betriebsamkeit erfüllt wird.
       
       ## Verweilanlässe für die Innenstadt
       
       Eine unbestreitbare Qualität der „Großen Nachtmusik“ besteht also darin,
       dass sie Verweilanlässe für Orte in der Innenstadt schafft, etwa für den
       versteckt gelegenen Platz neben der Böttcherstraße. Nur ein vergessenes
       gelbes Schild erinnert daran, dass neben ihm mal ein interessanter
       Backsteinbau stand: „Privatparkplatz des Senators für Häfen, Wirtschaft und
       Verkehr“, ist noch an der Wand zu lesen, doch das dazugehörige Gebäude
       wurde für ein Bremer Hotel abgerissen, das „Atlantic Grand Hotel“.
       
       Dafür opferte die Stadt faktisch auch den früheren Bredenplatz – mit dem
       vom Bahnhof bekannten Argument, erst durch eine bauliche „Einfassung“
       bekomme der öffentliche Raum Qualität. Übrig blieb ein Parkstreifen.
       
       Allerdings hat man gar nicht lange Lust, über stadtplanerische Pannen zu
       sinnieren: Denn nun legt neben dem Hotel das Peter Edwards Trio los. Und
       dessen Drummer Moses Boyd schwingt sich derart leichthändig selbst durch
       komplexeste Rhythmen, dass sich das Nachdenken über Bausünden schnell
       verflüchtigt.
       
       ## Akustisch ausgetrocknet
       
       Gegenprogramm in der oberen Rathaushalle: Optisch ist sie eine Pracht,
       akustisch aber ähnlich ausgetrocknet wie das alte Schnitzwerk. Trotzdem
       schafft es die Accademia Bizantina, hier aus ihrem Barock-Repertoire
       interpretatorische Funken zu schlagen. Die Italiener gastieren seit 2006
       fast jährlich auf dem Musikfest. Solche Kontinuitäten gehören, neben jedes
       Jahr neu eingeführten KünstlerInnen, zum Konzept von Festivalmacher Thomas
       Albert.
       
       Ein alter Bekannter ist auch der katalanische Kammerchor „Cor de Cambra del
       Palau“, vor dessen drei Konzerten lange Warteschlangen am Dom entstehen.
       Die Katalanen haben die Bremer schon als Opernchor begeistert, 2014 in
       Glucks „Orfeo ed Euridice“. Nun zeigen sie ihre ursprünglichen Qualitäten:
       A cappella bieten sie reine Chormusik.
       
       Sehr alte von Alonso Lobo bis zu aktuellen Kompositionen des Chorleiters
       Josep Vila i Casañas selbst. Klanglich immer ein bisschen übersättigt vom
       phon-orientierten und tendenziell forcierenden spanischen Gesangsfuror –
       aber eben auch in der Lage, das weitverzweigte Dom-Innere mit Vokalwellen
       zu durchfluten.
       
       Viele der „Nachtmusik“-Künstler sind während der Musikfest-Wochen in einem
       abendfüllenden Auftritt zu erleben. Die Mega-Eröffnung bietet also eine Art
       animierende „Aperitif-Struktur“, ohne kulinarisch im Sinn von „leicht
       konsumierbar“ zu sein. Denn das ist Intendant Alberts ökonomische
       Transferleistung: In großem Umfang privates Geld zu aktivieren, das
       hochkarätige Kultur in einer Dichte nach Bremen bringt, wie sie exakt
       einmal im Jahr zu erleben ist: Beim Musikfest.
       
       30 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Henning Bleyl
       
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