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       # taz.de -- Profitfreier Spätkauf in Berlin: „Und was kostet das Bier hier?“
       
       > Jurek Katz will mit vielen Mitstreitern den ersten solidarischen und
       > profitfreien Späti gründen. Sie suchen dafür per Crowdfunding nach
       > Geldgebern.
       
   IMG Bild: Wer noch fix an den See raus will zum Schwimmen, kriegt beim Späti immer ein bisschen Proviant zu kaufen.
       
       taz: Herr Katz, fast alle, denen ich schon von ihrem solidarischen Späti
       erzählt habe, hatten eine Frage, die ich an Sie weitergeben möchte: Wird
       das Bier dort billiger sein als anderswo? 
       
       Jurek Katz: (lacht) Es ist noch nicht ganz klar, um ganz ehrlich zu sein.
       
       Warum? 
       
       Um uns herum sind ja dann viele andere Spätis – wenn wir mit den Preisen
       sehr viel niedriger sind und denen viel Kundschaft abziehen, ergibt das
       keine schöne Nachbarschaft. Abgesehen davon wollen wir natürlich niemanden
       ruinieren. Auf jeden Fall wollen wir eine Solikasse machen, damit dank
       mancher, die mehr zahlen, andere weniger zahlen können.
       
       Was macht Ihren geplanten Späti sonst noch solidarisch? 
       
       Wir wollen darauf achten, dass wir bei den Sachen, die wir anbieten, eine
       gute Mischung hinkriegen. Es gibt also nicht nur bio, regional und so
       weiter, sondern auch Sterni [Sternburg-Bier, d. Red.] und andere, eher
       günstige Sachen, damit man niemanden verliert und wirklich offen bleibt.
       Sonst bastelt man sich da eine kleine Enklave, wo doch immer wieder nur
       dieselben Leute auftauchen.
       
       Warum ist es ausgerechnet ein Späti, der solidarisch und profitfrei sein
       soll? 
       
       Das ist ziemlich konkret umsetzbar. Man hätte auch einen Supermarkt machen
       können, aber dafür braucht es sehr viel mehr Aufwand und sehr viel mehr
       Geld. Wir wollen nicht gleich mit einem Hirngespinst anfangen, sondern mit
       einem realistischen, kleinen Projekt – und dann daraus langsam wachsen.
       
       Aber warum ein Späti? 
       
       Wir wollen zeigen, dass man nicht nur Kneipen oder Klubs anders
       organisieren kann – nicht, um sich abzuheben, sondern um den Gedanken
       freizusetzen, dass alles anders machbar ist. Darum nehmen wir etwas, was es
       so noch nicht gibt, um zu sagen: Alles, was gerade kapitalistisch da ist,
       könnte man auch anders machen. Außerdem ist ein Späti ein besonderer Ort,
       wo man die Leute bei einer sehr alltäglichen Sache immer wieder trifft, sie
       vielleicht ein bisschen kennenlernt, wo Leute vorbei laufen und sich
       fragen: was heißt profitfrei? Zu guter Letzt sind wir ein relativ bunter
       Haufen, und ein Späti kann auch von vielen Leuten relativ unkompliziert
       betrieben werden: Alles, was man sich gegenseitig zeigen muss, ist, wie die
       Kasse funktioniert.
       
       Wie groß ist denn Ihr bunter Haufen? 
       
       Wir sind 17 Leute. Die kannten sich nicht alle untereinander und sind aus
       relativ vielen verschiedenen Kreisen. Da sind Studenten dabei und Leute,
       die jetzt schon selber Projekte oder Festivals machen, genauso wie
       Handwerker, Gärtner und Bauern. Alle sind etwa Mitte 20. Es ist noch keine
       fest zusammengefügte Truppe, aber mit Absicht.
       
       Wieso? 
       
       Jeder kann nur 200 bis 250 Euro pro Monat im Späti verdienen – im
       Idealfall! Es geht nicht darum, seinen Lebensunterhalt dort zu
       erwirtschaften, sondern Leute zusammenzubringen und zu zeigen, dass so ein
       Projekt gelingen kann. Deswegen wollten wir für den Späti einen wirklich
       bunt gemischten Haufen haben.
       
       Läden, die im Kollektiv betrieben werden, gibt es ja schon einige. Was ist
       das Neue bei Ihnen? 
       
       Von dem Ansatz, wie wir ihn uns vorstellen, gibt es noch extrem wenig. Es
       gibt bio, es gibt halbwegs demokratisch organisierte Kollektive, es gibt
       auch wirklich schön organisierte Kollektive. Aber was noch fehlt, ist der
       Gedanke, vom Profit wegzukommen. Unsere Hauptidee besteht aus vier
       Prinzipien, die alle miteinander verwoben sind.
       
       Ich bin gespannt. 
       
       Als Erstes: Lebens- und Arbeitswelten selbst bestimmt und selbst
       organisiert machen wollen. Das heißt, niemand von uns besitzt die
       Lebenswelt anderer Menschen und bestimmt über diese, auch nicht als Gruppe.
       Als zweites: profit- und zinsfrei in jeder Form. Geld verdient man nur
       durch das, was man tut, und nicht durch Besitz oder Vermietung. Der dritte
       Punkt, mit der wichtigste: akkumulationsfrei und solidarisch – dass man
       sich nicht mehr nimmt, als man braucht. Das Ziel ist also nicht, immer mehr
       anzuhäufen, sondern dass man sich überlegt: Wie viel brauche ich wirklich?
       Der Rest soll an Projekte weiter gegeben werden, die genauso funktionieren.
       
       Und wie soll das bei Ihrem Späti konkret aussehen? 
       
       Diese drei Punkte lassen sich, wenn man das nur an einem Ort macht, relativ
       schwer umsetzen. Und deshalb soll daraus eine Bewegung, ein Netzwerk
       werden. Damit wollen wir ein Umfeld schaffen, in dem transparent ist, wie
       viel weitergegeben wird. Das Netzwerk funktioniert so: Es gibt Haufen und
       Machereien – Machereien sind Kollektive oder Projekte, ein Haufen ist
       einfach eine Gruppe von Menschen, die das Projekt betreibt. Unser Späti
       wäre die erste Macherei dieses Netzwerks. Jeder Haufen kann für sich selber
       entscheiden, wie man sich zusammensetzt, nach welchen Regeln man neue Leute
       aufnimmt. Und innerhalb dieser Haufen können weitere Regeln entstehen, zum
       Beispiel, dass nur vegan produziert wird. Aber, und das ist das vierte
       Prinzip: Wir wollen kein zentrales Entscheidungsorgan. Es gibt keine
       Kontrollen, es läuft über Vertrauen, aus Prinzip.
       
       Zurück zu Ihrem Späti: Für den sammeln Sie jetzt per Crowdfunding Geld.
       Aber bei den einschlägigen Crowdfunding-Plattformen im Netz sucht man Sie
       vergeblich. 
       
       Aus zwei Gründen: Erstens, weil die meisten von uns selbst dort nicht
       spenden würden. Normale Plattformen laufen meist so, dass Provision
       genommen und Profit gemacht wird für jene Leute, die dahinter stehen.
       Zweitens wollen wir PayPal nicht unterstützen, aus den gleichen Gründen.
       Wir wollen zugänglicher bleiben, darum haben wir die eigene Seite
       bildet-haufen.de aufgebaut. Man kann uns Geld überweisen oder einfach
       vorbeibringen – wir sind jeden Samstag im Görlitzer Park. Dort bieten wir
       die Möglichkeit, vorbeizukommen, sich zu unterhalten, ein Gespür dafür zu
       bekommen, was für Leute wir sind.
       
       Wie viel Geld brauchen Sie? 
       
       Knapp 20.000 Euro insgesamt. 10.000 Euro für sechs Monatsmieten Kaution,
       zusätzlich wollen wir drei Monatsmieten als Rücklage haben, dass wir nicht
       gleich am Anfang gegen die Wand fahren. Wir gehen schon davon aus, dass
       innerhalb der drei Monate mindestens die Miete reinkommt. Falls nicht,
       müssten wir eine zweite Finanzierungsrunde starten. Außerdem brauchen wir
       1.000 bis 2.000 Euro für die Einrichtung, die wir aber relativ simpel
       halten, also viel selbst bauen. Als Crowdfunding-Dankeschön haben wir uns
       erst mal ein Sterni überlegt, das man sich samstags im Görli abholen kann.
       
       Sonst kommt von Ihrer Seite nichts? 
       
       Wir versuchen, auch selbst möglichst viel Geld zusammenzukriegen, sind aber
       alle nicht gerade reich. Es ist nicht so, dass wir jetzt die komplette
       Summe von außen holen und selber nichts dazugeben. Mal sehen, wie viel wir
       zusammenkriegen, aber eventuell 5.000 bis 10.000 Euro könnten wir selber
       stemmen. Mehr ist aber für uns nicht möglich.
       
       Sie wollen den Späti in Kreuzberg eröffnen. Warum? 
       
       Hauptsächlich, weil wir hier viel unterwegs sind. Wir wollen mit dem
       Projekt an eine zentrale Stelle, an der viele Leute vorbeikommen, und die
       Gegend am Görlitzer Park bietet sich an, weil hier viele Leute aus vielen
       verschiedenen Stadtteilen zusammenkommen.
       
       Wie realistisch ist es, dass sie den Laden, den Sie sich bereits ausgesucht
       haben, auch bekommen? 
       
       Mit dem Vermieter haben wir schon Kontakt aufgenommen, der hätte auch Bock
       auf uns. Die Frage ist, wie lange der Laden unvermietet bleibt, und wie
       schnell die Finanzierung klappt. Bevor wir die 20.000 Euro zusammenhaben,
       können und wollen wir nicht starten.
       
       Wird der profitfreie Späti schließlich so aussehen wie jeder andere? 
       
       Es gibt auf jeden Fall mehr als Kühlschränke. Bei dem Laden, den wir uns
       ausgeguckt haben, ist zwischen den Fenstern Platz, um ein Sofa nach draußen
       zu hängen. Drinnen wollen wir es für die Person, die dort arbeitet,
       gemütlich machen. Dass es mehr ganz normaler Lebensraum ist, der offen ist
       für außen.
       
       29 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaas-Wilhelm Brandenburg
       
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