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       # taz.de -- Einstufung als „sichere Herkunftsstaaten“: Politisch motivierte Zahlenspiele
       
       > Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge behauptet, eine Einstufung
       > als „sicher“ senke Asylbewerberzahlen. Das stimmt so aber nicht.
       
   IMG Bild: Seit der Einstufung als „sicher“ kommen mehr Menschen aus Serbien nach Deutschland.
       
       Berlin taz | Die umstrittene Maßnahme wirkt wunderbar. Das findet
       jedenfalls das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die
       Einstufung als „sichere Herkunftsstaaten“ habe den konstant starken Anstieg
       der Zugangszahlen beendet, sagte eine BAMF-Sprecherin der taz. Es gebe eine
       „dämpfende Wirkung“.
       
       Seitdem die Bundesregierung Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina im
       November 2014 zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt habe, habe es 23 Prozent
       mehr Asylanträge aus den drei Staaten gegeben. „Demgegenüber stieg die Zahl
       der Asylanträge aus Albanien, Kosovo und Montenegro jedoch ungebremst um
       515 Prozent“, sagte die Sprecherin. Die Große Koalition möchte auch
       Albanien, Kosovo und Montenegro als „sicher“ einstufen. Aber: So eindeutig
       wie behauptet belegen die Zahlen die Wirksamkeit dieser Maßnahme
       keineswegs.
       
       Die Asylanträge aus Serbien und Mazedonien stiegen von Dezember 2014 bis
       Juni 2015 gegenüber den sieben Monaten davor deutlich an. Aus Serbien kamen
       vor der Einstufung als „sicher“ pro Monat im Durchschnitt rund 2.400
       Menschen nach Deutschland, seither waren es knapp 2.700 (plus 12,5
       Prozent). Aus Mazedonien kamen vor der Einstufung monatlich im Schnitt 750
       Asylsuchende, danach gut 1.000 (plus 33,3 Prozent). Die Menschen in den
       betroffenen Staaten finden Deutschland sogar attraktiver, seit ihre Heimat
       als „sicher“ eingestuft wurde.
       
       Richtig ist, dass die Zahl der Asylbewerber aus Albanien und dem Kosovo
       noch rasanter wuchs. Aus dem Kosovo kamen zwischen Mai und November 2014
       durchschnittlich 740 Menschen pro Monat nach Deutschland, zwischen Dezember
       2014 und Juni 2015 waren es 4.700. Aus Albanien kamen in derselben Zeit
       monatlich erst 650 Menschen, dann knapp 3.300. Asylanträge aus Montenegro
       fallen kaum ins Gewicht.
       
       ## Etiketten beeindrucken nicht
       
       Die Gründe für die Anstiege sind vielschichtig. Maßgeblich sind vor allem
       innenpolitische Entwicklungen in den Ländern selbst. Ein von der deutschen
       Regierung verliehenes Etikett dürfte sie kaum beeinflussen.
       
       Die Einreise aus Albanien ist vergleichsweise einfach, seitdem die EU Ende
       2011 die Visumpflicht aufhob. Jetzt reicht ein biometrischer Reisepass.
       Dagegen sank die Antragszahl aus dem Kosovo seit dem Frühjahr stark,
       nachdem die dortige Regierung massiv vor falschen Versprechen der Schlepper
       gewarnt hatte.
       
       Entscheidend ist aber: Die Einreise, auch für Menschen aus sicheren
       Herkunftsstaaten, ist eine rationale Strategie, weil sie trotz Ablehnung
       überwiegend in Deutschland bleiben können. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe
       ermittelte laut Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung, dass in den
       vergangenen Jahren kaum 15 Prozent der rechtskräftig abgelehnten
       Asylbewerber tatsächlich ausreisten oder abgeschoben wurden.
       
       24 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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