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       # taz.de -- Debütalbum von Schnipo Schranke: Das google ich dann später
       
       > Das Pop-Duo trifft mit seiner Feier des Peinlichen einen Nerv: Niemand
       > kriegt ähnlich gute Rumpelfüßler-Songs über Herzschmerz und Beischlaf
       > hin.
       
   IMG Bild: Das Leben ist kein Kaffeekränzchen, aber mit Schnipo und ein bisschen Ironie geht‘s besser.
       
       Die Fenster sind gekippt, damit der blaue Dunst abziehen kann. Auf dem
       Tisch stehen Erdbeeren, Wasser und Kaffee. „Ich bin voll auf Kaffee“,
       bemerkt Fritzi Ernst, schenkt sich noch eine Tasse ein und steckt sich eine
       Zigarette an. Zusammen mit ihrer Bandpartnerin Daniela Reis sitzt Ernst
       entspannt im Besprechungsraum des Büro ihres Labels Buback, unweit der
       Reeperbahn in Hamburg-St. Pauli.
       
       Zusammen sind die beiden Schnipo Schranke – kurz für Schnitzel, Pommes
       (Schnipo), Ketchup und Mayo (Schranke). Gründe für einen frohgemuten Blick
       auf ihre Lage haben die beiden allemal. Lange bevor heute ihr Debütalbum
       „Satt“ erscheint, avancierte ihr Song „Pisse“ zum Hit: eine tragikomische
       Hymne übers Schlussmachen. „Brauche Liebe / Brauche Halt – und einen, der
       mich knallt.“ Startschwierigkeiten von Newcomern, diesen Zustand kennen
       Schnipo Schranke nur vom Hörensagen.
       
       Ganz im Gegenteil, Existenzsorgen und Nöte verarbeiten die beiden jungen
       Frauen zu lustvoll-originellen Popsong-Rumpelfüßlern. „Wir machen uns mit
       der Musik nackig“, gibt Daniela Reis unumwunden zu. Sie und Ernst singen
       mit Vorliebe von Gefühlen, die den meisten Hörern für eine Zurschaustellung
       auf der Bühne zu peinlich wären.
       
       „Die Stellung kenn ich nicht / Das google ich dann später“, heißt es etwa
       in dem Song „Schrank“. Er handelt von einer verzweifelten und
       aufopferungsvollen Beziehung, für die der Schrank als Metapher fungiert.
       Reis gibt sich als Eingesperrte aus, bis sie am Ende einfach den Schrank
       öffnet und geht. „Kernaussagen unserer Songs tragen autobiografische Züge“,
       sagt Ernst.
       
       „Die Kunst ist es, diese in den Texten ordentlich durch den Kakao zu
       ziehen.“ Dieser Verfremdung begegnen Schnipo Schranke musikalisch mit
       schmissigen Melodien und benutzen dafür simple Werkzeuge: gerade Drumbeats,
       Instant-Synthie-Hooks und Klavierakkorde. „Ich halte nichts von schräger
       Musik“, erklärt Reis selbstbewusst. „Eingängig muss es sein, am besten wie
       ein Ohrwurm.“
       
       ## Trendige Selbstironisierung
       
       Zur Themenfindung bedienen sich die beiden der ultimativen Schamquelle:
       Liebesleid. Unglückliche Affären und Sex, auch in wüsten Varianten: „Komm
       in meine Arme / komm in meinem Mund / Nimm mich an die Hand / Nimm mich an
       der Wand“, singt Ernst auf „Intensiv“ zu perlenden Klavierakkorden. Schnipo
       Schranke sind mit ihrer Thematisierung von Stromschnellen des jungen
       Erwachsenenalters Teil eines größeren Pop-Trends zur Selbstironisierung.
       
       Statt die großen gesellschaftspolitischen Fragen zu stellen, loten Schnipo
       Schranke das Private in Form von Adoleszenzproblemen aus. Ähnlich wie die
       Grenzerfahrungs-Saufgelage bei den Trance-Dance-Kollegen von Deichkind und
       die Zurschaustellung von unperfekten Körpern und gescheiterten Beziehungen,
       wie es die Schauspielerin Lena Dunham in der HBO-Serie „Girls“ macht. Auch
       Schnipo Schranke treffen mit ihrer Feier des Peinlichen einen Nerv.
       
       So lustig die Resultate klingen, so ernsthaft ist ihre Arbeit an den Songs:
       Lange feilen die Künstlerinnen an Texten und Sounds, bis alles
       zusammenpasst. Dass die beiden so gar nicht pop-sozialisiert sind, man mag
       es kaum glauben. Spontan würde man ihnen eine Jugend zwischen Pudel-Club
       und „Hamburger Schule“ glauben. Doch weit gefehlt. Die jungen Frauen,
       Jahrgang 1989 und 1988, kennen sich von der Musikhochschule Frankfurt am
       Main. Ernst studierte Blockflöte, Reis Cello. Ihre Jugend war von der
       Perspektive „Orchester“ geprägt. Bald merkten die beiden, dass sie nicht in
       dieses Schema passten. „Da ging es nur darum, ein Klassik-Repertoire
       vorzuweisen und es möglichst perfekt zu spielen“, sagt Ernst und resümiert:
       „Total unkreativ.“
       
       Also fingen die beiden an, gemeinsam Musik zu machen. Durch ihre
       Erfahrungen am Konservatorium wussten sie immerhin, was sie auf keinen Fall
       wollten: Cello und Blockflöte. Vorbilder aus der Popmusik hatten sie auch
       keine. „Wir kannten die Hamburger Pop-Bands gar nicht“, versichert Reis.
       Ihr erster YouTube-Hit, „Beste Freunde“ (2012), eine Art Rap, ließ bereits
       aufhorchen. Im Video spielen die beiden vierhändig Klavier und tanzen in
       Jogginghosen Polonaise durch Ernsts Studentenbude. „Wir waren anfangs
       Gesangsmuffel“, erklärt Ernst.
       
       ## Miese Kerle, miese Erlebnisse
       
       Und dann drückten sie Rocko Schamoni bei einer Lesung doch eine CD mit
       Songs in die Hand. „Um mit ihm ins Gespräch zu kommen“, sagt Reis. Und
       tatsächlich hat er die Künstlerinnen weiterempfohlen. Und dann nahmen die
       Dinge ihren Lauf. Ihr Bühnendebüt gaben Schnipo Schranke 2013 in Berlin.
       Frank Spilker von den Sternen wurde aufmerksam und fragte Schnipo Schranke,
       ob sie nicht Lust hätten, am Sterne-Album „Flucht in die Flucht“
       mitzuwirken und die anstehende Tour zu begleiten.
       
       „Satt“, das Schnipo-Schranke-Debütalbum, wurde von Ted Gaier (Goldene
       Zitronen) produziert. „Die Hamburger Musikszene hat uns freundlich
       aufgenommen“, sagt Reis. Längst sind die beiden in den Norden gezogen.
       „Wenn ich zu Aldi einkaufen geh, kann ich den Hafen sehen“, schwärmt Reis.
       „In Frankfurt gibt es überhaupt keine Szene, niemand geht auf Konzerte“,
       schimpft Ernst.
       
       Bleibt zu hoffen, dass Schnipo Schranke das alte Frankfurter Leben mit
       miesen Kerlen und mit miesen Erlebnissen nicht allzu schnell vergessen, um
       es weiterhin fürs Komponieren fruchtbar zu machen. Damit auch zukünftig
       Zeilen wie diese entstehen: „Dein Handy mit den Arschbacken gehalten / Um
       dich zu unterhalten / Dacht‘,du findest so was komisch / Seitdem liebst du
       mich platonisch.“
       
       3 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carla Baum
       
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