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       # taz.de -- Eigensinnige Konzertplakate: Handverlesen
       
       > Als ausgerechnet im krachigeren Teil des Musikgeschäfts der Wert von
       > Handarbeit und kleiner Auflage wiederentdeckt wurden: eine sehenswerte
       > Ausstellung in Hamburg.
       
   IMG Bild: Hanmade: Konzertplakate im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.
       
       Wieder den Fahrstuhl nicht gefunden, also die Treppen hoch in den dritten
       Stock. Wir sind noch nicht alt, aber auch nicht mehr richtig jung und
       kommen schon mal aus der Puste. Gehört dazu – so, wie es dazugehört, dass
       man Geschichten erlebt hat, die man jüngeren Menschen erzählen muss – falls
       sie sich denn überhaupt dafür interessieren. Vor einigen Jahren erwähnte
       der US-amerikanische Konzeptkünstler Allen Ruppersberg seinen Studierenden
       gegenüber das Gedicht „Howl“ von Allen Ginsberg. Und musste erstaunt
       feststellen, dass denen das Gedicht aber auch so gar nichts sagte. „Howl“,
       diese die „Beat Generation“ prägende Anklage an die modern-zerrissene Welt
       – Fragezeichen. Überhaupt, schon Ginsberg – Fragezeichen.
       
       Also setzte sich der Professor hin und entwarf, 2005 und damit 50 Jahre
       nach Ginsbergs erstem öffentlichen „Howl“-Vortrag, eine dreiteilige
       grafische Arbeit, bestehend aus Dutzenden von neonfarbenen Drucken: die
       einzelnen Textzeilen mal kreuz, mal quer gesetzt; mal auf den Kopf
       gestellt. Diese Neon-Wand empfängt die BesucherInnen nun am Ende des
       Treppenaufgangs im dritten Stock des Hamburger Museums für Kunst und
       Gewerbe; sie knallt ihnen entgegen, dass es eine wahre Freude ist: Einfach
       dank einiger Seiten Papier, greller Druckerfarbe, verschiedener Typografien
       – und natürlich alles auf Basis des wundervollen Gedichtes, das die
       Grundlage von Ruppersbergs Arbeit „The Singing Posters I–III“ bildet.
       
       ## Zurück in die 80er
       
       Entsprechend gestimmt, betritt man also die Ausstellung des Titels „Poster
       Rock. Gig-Poster und die Flatstock Convention“. Die führt zunächst zurück
       in die frühen und dann die mittleren 80er-Jahre, als sich die bis dahin
       erfrischend-ungelenken Fanzines aus dem Copyshop in „richtige“
       Musikmagazine auf Hochglanzpapier verwandeln; der Nichts-als-Musik-Sender
       MTV auf Sendung geht – und anfangs rüde Musikgenres wie der Punk oder
       experimentierfreudigere Sparten des Indierock langsam, aber sicher
       glattgeschmirgelt werden; bis aus denen, die keine Stars werden wollten,
       doch wieder welche werden.
       
       Nicht alle machten diesen Zirkus damals mit: Einige MusikerInnen und die
       ihnen Verbundenen verweigern sich der auch ästhetischen Kommerzialisierung
       und fingen an, Konzertplakate zu entwerfen und selbst zu drucken: per
       klassischem Siebdruck, sodass jedes Poster in Handarbeit entsteht. Waren
       die beteiligten KünstlerInnen anfangs nur lose verbandelt, schlossen
       etliche sich im Jahr 2000 zusammen und errichteten mit www.gigposters.com
       eine gemeinsame Plattform, auf der sich heute mittlerweile mehrere tausend
       KünstlerInnen tummeln. Zwei Jahre später gründete sich im kalifornischen
       San Francisco die „Flatstock Poster Convention“, deren Aktive sich fortan
       am Rande ausgewählter Rockmusikfestivals verabredeten, austauschten und die
       weiterhin überwiegend per Siebdruck produzierten Poster den Fans feilboten.
       Wobei ein „American Poster Institute“, ansässig in Austin/Texas, darüber
       wachte, dass auch die Regeln befolgt werden.
       
       Denn wichtig ist: Die Auflagen sind klein und bleiben es. Die Motive sind
       mit den MusikerInnen und Bands abgesprochen. Und die in der Regel
       handsignierten Plakate widmen sich allein Auftritten auf den einzelnen
       Festivals oder einzelnen Konzerten; es geht nicht um das Bewerben großer,
       gar weltumspannender Tourneen. Weshalb sich längst eine illustre
       Sammlerszene gebildet hat, in der auch mal tiefer in die Tasche gegriffen
       wird, um das eine oder andere fehlende Stück zu ergattern; sei es, dass man
       nach MusikerInnen und Bands sammelt, sei es, nach den KünstlerInnenn, von
       denen einige inzwischen, nun ja, Kultstatus erreicht haben: der auf
       Spielzeugfiguren spezialisierte Frank Kozik, der an Bernd und Hilla Becker
       geschulte Dan MacAdam oder der Eichhörnchenliebhaber Jay Ryan.
       
       Hatte es dort zuvor schon die eine oder andere einschlägige Ausstellung
       gegeben, kam 2006 Hamburg richtig ins Spiel. Das dortige Reeperbahnfestival
       wurde die Bühne für das erste „Flatstock“-Treffen außerhalb der USA. Dieses
       Jahr nun ist die Hansestadt wieder dabei, diesmal gemeinsam getragen von
       Reeperbahnfestival, der lange schon um diese Poster-Art sich bemühende
       Galerie Feinkunst Krüger und eben dem Museum für Kunst und Gewerbe.
       
       ## Ästhetische Vielfalt
       
       Und was ist da nun alles zu sehen, wenn man erst vorbei ist an Ruppers- und
       Ginsberg? Kommt drauf an: Man kann sich einfach treiben lassen, kann sich
       anregen lassen von Farben, Motiven und Stilen. Oder man kann systematisch
       Plakat nach Plakat abschlendern. So oder so: Man wird eintauchen in eine
       zeichnerische Welt, die sich bei allem gemeinsamen Eigensinn stilistisch
       durchaus aufsplittet: Mal werden B-Movie-Filmplakate zitiert, bei Derek
       Hess etwa, dessen Motivwelten seinerseits in die Tattoo-Szene Eingang
       gefunden haben; dann wieder finden sich doppelbödige Anklänge etwa an die
       „Hello Kitty!“-Welt; anderes wieder orientiert sich erkennbar am Jugendstil
       und seiner feingliedrigen Zeichensprache.
       
       Und die Motive? Nick Cave begegnet einem, die Melvins, Sonic Youth,
       Throbbing Gristle und Green Day. The Fall sind mit einem vergleichsweise
       minimalistischen Poster von Tara McPherson vertreten – ein gefesseltes Herz
       schlägt in einer bandagierten Brust; auch dem Sänger Beck hat McPherson ein
       Plakat gewidmet: Ein verschlagen grinsender Junge steckt Totenkopfpflanzen;
       Abteilung: hintergründige Bosheit.
       
       Aus Deutschland haben es einzig die Düsseldorfer Postpunker Fehlfarben an
       die Museumswand geschafft, mit einer lichtblauen Arbeit des Zeichnerduos
       Lotz/Jahnke: Sie zeigen den Auftrittsort der Band, die Hamburger
       Markthalle, auf textilem, gewebten Untergrund, versehen mit einer
       klassischen Waschanweisung – dies hier kann geschleudert und getrocknet
       werden, und gewaschen bei 95 Grad.
       
       10 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Keil
       
       ## TAGS
       
   DIR Ausstellung
       
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