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       # taz.de -- Kindeswohl statt Bootcamp-Terror: „Kinder brauchen eine Ombudsstelle“
       
       > Nach Schließung der „Friesenhof“-Heime: Schleswig-Holsteins
       > Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) will Heime künftig besser
       > regulieren.
       
   IMG Bild: Kristin Ahlheit will die Betreiberrechte ans Kindeswohl anpassen, statt wie bisher umgekehrt.
       
       taz: Frau Alheit, am Donnerstag beschließt der Kieler Landtag einen
       Untersuchungsausschuss zur Friesenhof-Affäre. Eins scheint nicht mehr
       strittig: Sie haben vor Mai 2015 nichts von Problemen im Friesenhof
       gewusst. 
       
       Kristin Alheit: Das ist richtig.
       
       Am 3. Juni wurden die Heime geschlossen. Angenommen, Sie wären früher
       informiert gewesen, was hätte das am Ablauf geändert? 
       
       Ich hätte früher Rückendeckung für ein mutigeres und forciertes Vorgehen
       der Heimaufsicht zum Schutz der Jugendlichen gegeben. Seit 2007 schickt das
       Jugendamt vor Ort in Dithmarschen keine Kinder mehr dort hin, erst in 2014
       gab es Kontrollen und härtere Auflagen erst 2015.
       
       Im Juni wurde die Sache publik und prompt folgte die Schließung. War das
       eine politische Entscheidung? 
       
       Nein. Die zeitliche Abfolge ist anders. Es war nicht so, dass es öffentlich
       wurde und dann wurde geschlossen, sondern die rechtlichen Voraussetzungen
       lagen zu diesem Zeitpunkt vor, weil der Schutz der Jugendlichen in der
       Einrichtung nicht mehr gewährleistet war. Es stimmt, es gab schon seit 2007
       Hinweise, dass es da auch schwierig ist. Das hat aber 2014 eine andere
       Qualität bekommen. Die Beschwerden hatten eine andere Häufung.
       
       Die Betreiberin klagt. Mit Chancen? 
       
       Unserer Ansicht nach lagen die Schließungsvoraussetzungen vor. Wir sind
       zuversichtlich, dass das Gericht das bestätigt.
       
       Die Vorwürfe der Mädchen gehen über Anschreien, stundenlanges Aussitzen,
       Strafsport, Entwürdigung. Wo liegt die Grenze? Darf man Kinder zum Sport
       zwingen? 
       
       Jugendhilfe soll Kinder selbstständiger machen, sie befähigen
       selbstverantwortliche junge Erwachsene zu werden. Das ist die Orientierung.
       Alles, was die Würde dieser Jugendlichen angreift und was dem nicht dient,
       das darf nicht sein. Was das im Konkreten ist, sollte Politik nicht im
       Detail entscheiden.
       
       Also dürfen Pädagogen Liegestütze zur Pflicht machen? 
       
       Wenn es um Entwicklung geht und nicht um Umerziehung, dann ist nach dem,
       was ich der Fachdebatte entnehme, ein breites Spektrum an Ansätzen möglich.
       Ob das auch Liegestütze beinhaltet, müssen Fachleute entscheiden.
       
       Sie haben einen Entwurf für eine Verordnung „zum Schutz von Kindern und
       Jugendlichen in Einrichtungen“ vorgelegt. Unter anderem wollen Sie
       Kontaktverbote an die Zustimmung eines Familiengerichts knüpfen. 
       
       Wichtig ist, dass Einrichtungen so etwas nicht alleine entscheiden. Es soll
       ein Familiengericht mitentscheiden, um auszuschließen, dass sachfremde
       Erwägungen eine Rolle spielen. Dabei muss man den Einzelfall angucken. Bei
       dem einen Kind kann dies völlig überflüssig sein, für das andere kann eine
       Trennung aus seinem Milieu sinnvoll sein.
       
       Ihr Entwurf regelt auch, dass Minderjährige abschließbare Schränke haben
       sollen. Heimbetreiber nennen das bürokratisch. Bleibt‘s dabei? 
       
       Es ist ein Entwurf, die Endfassung kann ich nicht vorweg nehmen. Aber ein
       Ziel ist, dass Kinder und Jugendliche in Einrichtungen ihre Dinge sicher
       verwahren können. Was zum Beispiel auch gegeben ist, wenn sie ihr Zimmer
       abschließen können.
       
       Die Heimaufsicht soll schon viel früher fachliche Bedenken gegen den
       Friesenhof gehabt haben, sich aber in dem Dilemma gesehen, dass eine
       Schließung juristisch schwierig sei. Sind gesetzliche Änderungen nötig? 
       
       Landesjugendämter brauchen bei Beschwerden mehr Handlungsmöglichkeiten.
       Auch die Frage des Entzugs der Betriebserlaubnis muss eindeutiger geregelt
       werden. Da sind wir uns in der Koalition in Schleswig-Holstein und auch auf
       Bundesebene einig. Alle Länder sagen, dass die Heimaufsicht weitere
       Befugnisse braucht, damit konsequenter zu Gunsten der Kinder gehandelt
       werden kann.
       
       Das hörte man schon 2013 bei der Schließung der Hasenburg Heime. Nun prüft
       bis Ende 2015 eine Bund-Länder Arbeitsgruppe Vorschläge. Das klingt
       zögerlich. Ist es der Politik wirklich ernst? Oder immer nur dann, wenn es
       einen Skandal gibt?
       
       Nein. Alle wollen das vernünftig regeln. Das wird nicht verzögert.
       
       Einige Heime haben interne Beschulung. Ist dies ein Risikofaktor? Kinder,
       die nicht mal zur Schule gehen, haben keine alternativen Kontakte um sich
       zu artikulieren. 
       
       Heimbeschulung ist im Ausnahmefall sinnvoll, wenn Kinder sonst nicht
       beschulbar sind. Aber das muss mit dem Ziel erfolgen, das Kind
       baldmöglichst an eine Schule zu bringen, und nicht als Teil des Apparates
       Heimeinrichtung.
       
       In der Kritik stehen auch sogenannte Phasenmodelle. Gerade die führten in
       der Praxis zur Einschränkung von Freiheitsrechten. 
       
       Phasenmodelle sind nicht per se zu verurteilen. Es kann Jugendliche geben,
       denen so ein Rahmen hilft. Aber die Rechte der Kinder und Jugendlichen
       dürfen nicht eingeschränkt werden.
       
       Ein Heidelberger Rechtsinstitut hat zu ihrem Entwurf einen Ergänzungspassus
       vorgelegt. Heime, die im Laufe des Betriebs zunehmend von Freiheitsentzug
       Gebrauch machen, sollten diese Änderung dem Landesjugendamt melden und
       dafür die Betriebserlaubnis einholen. Ist das ein Einfallstor für
       geschlossene Heime? 
       
       Es ist andersrum. Nach geltendem Bundesrecht können die Länder geschlossene
       Unterbringung mit richterlicher Genehmigung nicht verbieten, wenn ein
       Träger das anbieten will. Der Vorschlag legt mit einer spezifizierten
       Betriebserlaubnis die Hürde höher als sie jetzt ist
       
       Wenn jetzt ein Träger sagt: ja, Freiheitsentzug kommt bei uns vor, wir
       melden das und fordern die Betriebserlaubnis, dann hat Schleswig-Holstein
       ein geschlossenes Heim? 
       
       Die Bundesgesetze sind so, dass man es im Moment nicht verwehren könnte.
       
       Nicht per Landesgesetz? 
       
       Nein.
       
       Die Opposition hat scharf kritisiert, dass Sie nichts wussten. Haben Sie
       noch Spaß am Amt? 
       
       Ich weiß nicht, ob hier Spaß die richtige Kategorie ist. Aber ich bin
       motiviert, die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen zu
       stärken.
       
       Zum Beispiel wie? 
       
       Wir sind wie gesagt auf Bundesebene aktiv. Und ich möchte eine Ombudsstelle
       einrichten, an die sich Kinder und Jugendliche in Einrichtungen wenden
       können, die sich eindeutig einsetzt und positioniert. Obwohl ja das
       Jugendamt im Sinne der Kinder arbeitet, wird es nicht als die Stelle
       empfunden, an die man sich wendet. Da brauchen wir eine politische
       Entscheidung, was den Haushalt angeht. Ich möchte damit 2016 an den Start
       gehen.
       
       15 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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