URI: 
       # taz.de -- Astronomie und Schokoriegel: Unser Universum ist süß und klebrig
       
       > Mars, Orion, Milky Way: Warum werden Schokoriegel eigentlich so oft nach
       > Sternen und Co. benannt? Hier einige mögliche Antworten.
       
   IMG Bild: Supernova ... so heißt noch kein Schokoriegel. Kommt aber vielleicht noch.
       
       Die Kinder der westlichen Welt lernen die Milchstraße als Schokoriegel
       kennen, ein Kern aus Zucker-Eiweiß-Masse umhüllt von Schokolade: Milky Way.
       Mars wiederum offenbart sich dem Bewusstsein zunächst als Mix aus
       Zucker-Eiweiß-Masse, Karamel und Schokolade, und erst dann als roter
       Planet. Am Anfang ist unser Universum süß und klebrig.
       
       Milky Way und Mars sind die einzigen Himmelskörper, die es auf den
       deutschen Schokoriegelmarkt geschafft haben. Um der obskuren Verbindung
       zwischen Astronomie und Schokoriegeln weiter zu folgen, muss man auf andere
       Länder ausweichen. In Großbritannien etwa gibt es den eleganten
       Galaxy-Riegel. Seine einzige Ingredienz: Schokolade.
       
       Das britische Zuckerhaus Cadbury produziert in seiner irischen Filiale den
       Starbar, den Sternenriegel, bestehend aus Karamel, Schokolade und
       Erdnüssen.
       
       Die tschechische Filiale von Nestlé wiederum verkauft in slawischen Ländern
       diverse Derivate unter dem Label Orion. Manche schmecken nach Kokosnuss,
       andere nach Himbeere oder Banane. Kundenmeinungen zu den Orion-Riegeln
       reichen von „sehr schmackhaft“ über „seltsam“, und „künstlich“ bis hin zu
       „furchtbar“.
       
       ## Wie kam der Himmel in die Schokoriegel?
       
       Nói Síríus, eine isländische Schokoladenmanufaktur, stellt unter dem Label
       Sirius die Schokoriegel Pipp und Nizza her, die außerhalb Islands
       weitgehend unbekannt sind. Vielleicht liegt es daran, dass die isländische
       Schokolade immer ein wenig so schmeckt, als werde sie „aus
       eingeschmolzenen, leicht gesalzenen Schokoladennikoläusen“ hergestellt, wie
       Kathrin Passig im Jahr 2008 mutmaßte.
       
       Die Namen unserer fünf Kandidaten decken alle typischen Objekte ab, die man
       am gestirnten Himmel findet. Mars, der Planet, nur ein paar Millionen
       Kilometer von der Erde entfernt. Sirius, der hellste Stern am Nachthimmel.
       Galaxie, der generische Begriff für Systeme, die hundert Milliarden Sterne
       enthalten. Milchstraße, unsere Heimatgalaxie. Und Orion, das Sternbild, der
       mythologische Jäger am Winterhimmel. Seit Tausenden von Jahren verfolgt er
       den Stier und kommt kein bisschen näher.
       
       Wie aber kam der Himmel in die Schokoriegel? Sowohl in Form und Ausdehnung
       als auch in ihrer chemischen Zusammensetzung haben Himmelskörper wenig mit
       den nach ihnen benannten Riegeln zu tun. Sterne bestehen zu 90 Prozent aus
       Wasserstoff und fast der gesamte Rest ist Helium. Zwar enthalten
       Schokoriegel wie Starbar und Sirius ebenfalls ziemlich viele
       Wasserstoffatome, aber ihr Anteil an der Masse der Riegel liegt unter zehn
       Prozent. Das meiste Gewicht steckt in Kohlenstoff und Sauerstoff.
       
       Die Schokoriegelnamensforschung beginnt mit Mars, der benannt ist nach
       Forrest Mars senior, der wiederum der Sohn von Frank Clarence Mars war, dem
       Schokoriegelmagnaten, Frank Mars gründete 1920 die Firma Mar-O-Bar, die
       wenig später zu Mars Incorporated mutierte. Während der Planet aber nach
       dem Kriegsgott benannt ist, stammt der Familienname Mars vom altenglischen
       „marsc“, übersetzt Sumpf. Mars, der Riegel, kommt etymologisch gesehen aus
       dem Morast.
       
       ## Mars, die europäische Version von Milky Way
       
       Mars war keine neue Erfindung, sondern eine Kopie von Milky Way –
       meistverkaufter Schokoriegel der 1920er Jahre. Die Entstehungsgeschichte
       von Milky Way ist ein großes Geheimnis, vor allem, weil es zwei Versionen
       gibt: die von Frank und die von Forrest Mars. Als sicher gilt, dass die
       Inspiration für den Geschmack und den Namen von einem Schoko-Malz-Getränk
       kam. „Why don’t you put this chocolate malted drink in a candy bar?“, soll
       Forrest seinem Vater geraten haben.
       
       Im Jahr 1929, sechs Jahre nach der Erfindung von Milky Way, produzierte die
       neue Fabrik in Chicago zwanzig Millionen Schokoriegel. Frank Mars kaufte
       ein Flugzeug und eine Pferdefarm. Aber Forrest wollte mehr, er wollte die
       Weltherrschaft, Schokoriegel in jedem Laden auf dem Planeten. Anfang der
       1930er Jahre zerstritten sich Vater und Sohn endgültig. Forrest erhielt die
       Erlaubnis, Milky Way in Europa zu verkaufen, ging nach England, produzierte
       Milky Way mit englischer Schokolade und warf das „neue“ Produkt als
       Marsriegel unters Volk. Am Anfang der Schokoriegelzeiten war Mars die
       europäische Version von Milky Way.
       
       Und so blieb es bis heute – in Amerika. Jeder, der schon einmal die
       Vereinigten Staaten von Amerika bereiste, wird sich an den schockierenden
       Moment erinnern: Man kauft ein Milky Way, freut sich auf die reine Füllung,
       beißt hinein und bleibt in klebrigem Karamel hängen. Das europäische Milky
       Way hingegen, den vertrauten Standard ohne Karamelschicht, verkauft Mars
       Inc. in Amerika unter dem unkosmologischen Namen „Three Musketeers“.
       
       ## Es handelt sich um „frittiertes Hundefutter“
       
       Die Globalisierung bringt es mit sich, dass man manchmal das amerikanische
       Milky Way neben dem europäischen Mars im selben Regal findet. Ein Stück
       Vergangenheit, das in die Gegenwart fällt, ein Wurmloch, das in eine andere
       Zeit führt. Gleichzeitig eine Ahnung von der großen vereinheitlichenden
       Theorie, Planet und Galaxie nach demselben Rezept zusammengerührt. Und um
       die Schraube des Irrsinns noch weiterzudrehen, verkaufte Mars Inc. unter
       dem Namen Mars eine Weile ein Snickers mit Mandeln, bevor man sich
       entschied, dieses Derivat „Snickers Almond“ zu nennen.
       
       Mittlerweile arbeitet sich das traditionelle Milky Way in bizarren
       Defektmutationen durch die kapitalistische Konsummaschine. Man kann eines
       ohne Nougat kaufen, getauft „Simply Caramel“. Außerdem erhöhte man den
       Farbkontrast durch die Kombination von weißem Nougat und dunkler Schokolade
       und nannte es „Milky Way Midnight“. Über „Milky Way Crispy Rolls“, einem
       Keksprodukt, das sich selbst mit „Mars Delight“ Konkurrenz macht, schrieb
       Wolfgang Herrndorf im Jahr 2002, es handle sich wohl um „frittiertes
       Hundefutter“.
       
       Schließlich hat die Firma Mars begriffen, dass kein Himmelskörper die Form
       eines Riegels hat (nicht mal Rigel). Seitdem geistern die Kuriositäten
       „Milky Way Magic Stars“ und „Mars Planets“ durch die Regale, wobei die
       erstgenannte eine Sternform hat.
       
       ## Fünf, nicht vier Zacken
       
       Die restlichen Kandidaten sind schnell abgehandelt. Galaxy wird vermarktet
       als Schokolade für „me-time, Genuss, Weiblichkeit und Sinnlichkeit“, eine
       genderisierte, feminine Schokoladenabart. Das Logo von Orion wiederum ist
       ein Stern mit vier Zacken. Eine einfache Google-Suche beweist, dass Sterne
       fünf Zacken haben, nicht vier. Auf dem Starbar stimmt zwar die Anzahl der
       Zacken. Aber wie ernst kann man einen Sternenriegel nehmen, der unter
       Pseudonymen wie „Moro Peanut“ oder „Wunderbar“ durch die Läden tingelt?
       
       Und schließlich ist Sirius von Island aus fast nicht sichtbar. Der Stern
       steigt in Reykjavík nicht einmal zehn Grad über den Horizont, so niedrig,
       dass er praktisch immer von einem Vulkan oder einem Pony verdeckt ist.
       Keine einzige der 1.184 wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit dem
       Stern Sirius befassen, wurde von einem isländischen Astronomen verfasst.
       
       Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die türkische Süßwarenfirma
       Ülker ein Produkt anbietet, das nach dem Halley’schen Kometen benannt ist.
       Das Branding ist perfekt – vom „y“ des Namens zieht sich ein Kometenschweif
       zu einem fünfzackigen Stern. Leider ist Halley kein Schokoriegel, sondern
       ein Keks.
       
       13 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Scholz
       
       ## TAGS
       
   DIR Mars
   DIR Astronomie
   DIR Heult doch!
   DIR Sonne
   DIR Genuss
   DIR Astronomie
   DIR Astronomie
   DIR Universum
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne Heult doch!: Eis oder Staub?
       
       Ist doch eigentlich schön, wenn Kinder langweilige Fragen wie die, wie es
       auf dem Spielplatz war, einfach ignorieren. Und eigene Themen einbringen.
       
   DIR Wenn die Sonne verglüht: Oh, wow, Weltuntergang
       
       Ständig wird über sie geredet. Wie viel sie scheint oder wie wenig. Dabei
       ist die Sonne in ein paar Milliarden Jahren ohnehin hinüber. Schade.
       
   DIR Nächtliches Fressen: Einfach dampfende Spaghetti
       
       In Italien, wenn es schon spät und jeder betrunken ist, gibt es oft eine
       „Spaghettata“. Mit Knoblauch, Öl und Peperoni – oder dem, was eben da ist.
       
   DIR Meteoren über Berlin: Alles so schön schnuppe
       
       In der Nacht zum Donnerstag soll der jährliche Sternschnuppenschauer der
       Perseiden seinen Höhepunkt erreichen. Die taz liefert alle Infos zu dem
       Naturspektakel.
       
   DIR Erster Pluto-Besuch einer irdischen Sonde: „Wir haben es geschafft“
       
       Nach mehr als neun Jahren und fünf Milliarden Kilometern erreicht die „New
       Horizons“ den Zwergplaneten Pluto. Die ForscherInnen sind außer sich.
       
   DIR Suche nach außerirdischen Signalen: Ein fast religiöses Motiv
       
       Astrophysiker und Alienjäger Seth Shostak vom Seti-Institut in Kalifornien
       sucht im All nach Aliens. Er glaubt, dass es sie gibt.