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       # taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Verstörende Kost
       
       > Ein israelisches Juniorenfußballteam hat während eines Trainingslagers in
       > Bulgarien Magenprobleme bekommen. Nun kursieren Vorwüfe.
       
   IMG Bild: Wo der Rest der Übelkeit landet.
       
       Eine Meldung, die auf den Magen schlägt: Eine Jugendmannschaft des
       israelischen Klubs Makkabi Petah Tikwa wurde neulich während eines
       Trainingslagers in Bulgarien fast komplett Opfer einer
       Lebensmittelvergiftung. Das Team war in einer Sportschule des bulgarischen
       Fußballverbandes in Sofia abgestiegen. Etliche Spieler kamen ins
       Krankenhaus.
       
       Prompt kursierten Gerüchte, es könne sich um einen Anschlag handeln. „Wir
       haben das Gefühl, dass es da jemandem nicht gefallen hat, dass wir am
       Freitagabend hebräische Lieder gesungen haben“, sagte Avi Luzon, Präsident
       von Makkabi Petah Tikwa, und verwies darauf, dass es zum Kiddusch passiert
       sei. Das mache einen antisemitischen Hintergrund zumindest möglich. Luzon
       bat den bulgarischen Verband, eine Untersuchung zu veranlassen.
       
       So ganz und gar ungeprüft möchte man Luzons Vermutungen nicht zurückweisen.
       Erst jüngst, bei einem Freundschaftsspiel des israelischen Erstligisten FC
       Ironi Ashdod bei ZSKA Sofia, hatten bulgarische Fans den Platz gestürmt und
       die Gastelf vor sich hergetrieben. Die Israelis konnten sich nur auf einer
       leeren Gegentribüne in Sicherheit bringen und mussten von der Polizei aus
       dem Stadion eskortiert werden. Es gibt also Antisemitismus, nicht zu knapp.
       
       Andererseits kann man aber auch fragen: Ist es nicht möglich, dass das
       Essen, das über den Kantinentresen einer bulgarischen Sportschule gereicht
       wird, nicht mit Blick auf das Mindesthaltbarkeitsdatum ausgesucht wurde? Ob
       das Essen koscher war, wie der Verweis auf den Kiddusch nahelegt, wurde in
       israelischen Medien nicht mitgeteilt. Ohne bulgarischen Kantinenköchen zu
       nahe treten zu wollen: Das hätte eine weitere kochtechnische und
       wareneinkäuferische Herausforderung bedeuten können.
       
       ## Leipzig, Dresden, Sofia
       
       „Essen und Fußball“ war schon immer ein Thema. 1973, zu einem
       Europapokalspiel von Bayern bei Dynamo Dresden, nahmen die Münchner ihr
       eigenes Essen mit. Uli Hoeneß, damals Spieler, begründete es so: „Beim
       Uefa-Jugendturnier in Leipzig hatten starke Westmannschaften Probleme mit
       Erkrankungen und Durchfällen gehabt. Es gab die Vermutung, dass etwas ins
       Essen getan wurde.“
       
       Leipzig, Dresden, Sofia. Fußballfans eines gewissen Alters packen diese
       Ortsnamen gern in die Rubrik Ostblock. Das ist da, wo abgehört, gestört,
       vergiftet wurde oder wird. Oder, anders gesagt: Da hat der Fußball noch
       einen ganz anderen Stellenwert. Denn um überhaupt auf die Idee zu kommen,
       dem Gegner etwas ins Essen zu tun, muss man dem Sieg im Wettkampf schon
       eine sehr hohe Bedeutung beimessen. Beispielsweise ihn zum Werkzeug einer
       vermeintlich noch wichtigeren Sache aufbauschen: die Sache des Friedens,
       des Sozialismus, des irgendwas.
       
       Aaaaber: Es könnte natürlich auch sein, dass dem Gegenüber – stellen wir
       uns bildlich ruhig die Bayern 1973 vor – der Sieg so wichtig war, dass
       dieser auch unter Zuhilfenahme der Diskreditierung des Gegners (“Die wollen
       uns vergiften”) erreicht werden sollte.
       
       Was nun richtig ist, liegt – leider – einzig im Auge des Betrachters und
       ist von keinem Faktencheck zu trüben: Liebt man Bayern, hält man die zweite
       These für absurd, hat man etwas gegen Antikommunismus, gilt das
       Unverständnis der ersten These.
       
       ## Für besseres Essen
       
       Schon sind wir wieder in Bulgarien. Selbstverständlich ist es möglich, dass
       Judenhasser Zugang zu einer Küche haben, glauben, ihren Antisemitismus im
       Magendarmtrakt des Gegenübers ausleben zu müssen. Selbstverständlich ist es
       aber auch möglich, dass die Lebensmittelvergiftung der Jugendfußballer von
       Petah Tikwa eine Ursache hat, die man in Bereichen, für die es Begriffe wie
       Hygiene, Lebensmittelqualität und Verfallsdatum gibt, suchen sollte.
       
       Weil beides möglich ist, sollte man keines von beiden ausschließen. Weder
       „paranoide Juden“ noch „dreckige Bulgaren“ sind Kategorien, mit denen man
       jemals irgendetwas erklären sollte. Sinnvoll ist diese Forderung: für
       besseres Essen, gegen jeden Antisemitismus, für guten Fußball!
       
       10 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
       ## TAGS
       
   DIR Bulgarien
   DIR Israel
   DIR Fußball
       
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