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       # taz.de -- Merkel stellt Schröder-Biografie vor: Lobhudeleien für 35 Euro
       
       > Bei der Biografie-Vorstellung ihres Vorgängers spricht die Kanzlerin. Sie
       > spricht Merkel-Sätze und stellt sich als die bessere
       > Schröder-Analytikerin heraus.
       
   IMG Bild: Wer ist Koch, wer ist Kellner?
       
       Nein, den Titel eines Hofbiografen gibt es im Bundeskanzleramt noch nicht,
       aber wenn Merkel ihn jemals ausschreiben würde, wäre er dafür ein
       hervorragender Bewerber: Gregor Schöllgen, Jahrgang 1952, Professor beim
       Zentrum für Angewandte Geschichte (ZAG) an der Universität
       Erlangen-Nürnberg. Schöllgen betreibe mit dem ZAG eine Apologetik-Agentur,
       hat die Historikerin Cornelia Rauh einmal über seine Unternehmenshistorien
       geschrieben: also eine, die Geschichte rechtfertigt statt untersucht.
       
       Die richtigen Themen besetzen kann er jedenfalls. Der Professor aus
       Erlangen hat die erste Gerhard-Schöder-Biografie geschrieben, am gestrigen
       Dienstag Buchpräsentation in Berlin: Schöllgen in der Mitte, links von ihm
       der Exkanzler, rechts Angela Merkel, die die Laudatio zum Buch hielt.
       Hinten: großer Medienauftrieb. Für Merkel ein willkommener PR-Termin,
       einer, bei dem man anders als bei Schulklassenbesuchen nicht viel falsch
       machen kann. Und zudem einer, mit dem sie sich noch einmal bei dem Mann
       bedanken kann, der sich durch die vorgezogenen Wahlen 2005 selbst
       hochgesprengt und sie ins Amt gehievt hat.
       
       Merkel spricht Merkel-Sätze: „Das Buch umfasst 1.038 Seiten.“ Und: „Das
       Buch ist es wert, von A bis Z gelesen zu werden.“ Deutlicher: „Schröder hat
       sich mit der Agenda um Deutschland verdient gemacht.“ Dazwischen ein paar
       eingestreute Merkel-Schröder-Anekdoten: Zur Elefantenrunde 2005 nach der
       Bundestagswahl: „Ich war dankbar, dass jemand den Drang hatte, mehr zu
       sprechen als ich.“ Schröder wiederholte, was er schon über seine
       testosterongesteuerten Auftritt gesagt hat: Der sei ebenso „lustvoll wie
       suboptimal gewesen“.
       
       Schöllgen konnte nichts Besseres passieren. Alle interessierten sich für
       Anekdoten, niemand für sein Buch. Es verspricht die Auswertung von
       Schröders Akten, bietet aber nichts wirklich Neues über die politischen
       Prozesse während seiner Amtszeit. Und wenn der Biograf und der Biografierte
       bei der Buchvorstellung zusammensitzen, hat der Biograf meist etwas falsch
       gemacht.
       
       ## Kritik nur in Detailfragen
       
       Schöllgen bewundert Schröder. Die sich ihm von links in den Weg stellten,
       sind für ihn Querulanten. Der Rücktritt Lafontaines: „der Schlussstrich
       unter ein ihn offensichtlich überforderndes Kapitel seines politischen
       Lebens“. Die Montagsdemonstranten gegen Hartz IV: ein „Etikettenschwindel“.
       Schließlich seien die Montagsdemos in der DDR „Proteste zunächst weniger
       mutiger, dann zahlreicher Menschen gegen ein Regime, das sich gegen
       überfällige Reformen stemmte“ gewesen. Die Anti-Agenda-Proteste dagegen von
       „schlecht Informierten, zudem häufig gar nicht Betroffenen“ getragen
       worden, die „eingeleitete überfällige Reformen blockieren“ wollten.
       
       Kritik an der Schröder-Politik gibt es nur in Detailfragen: Der Antrag für
       ein NPD-Verbot war falsch, das Schröder-Blair-Papier zu lang. 34,99 Euro
       für den Band sollte nur ausgeben, wer noch einmal den Duktus des
       Mainstreams der Schröder-Jahre nachempfinden möchte.
       
       Der Exkanzler konnte sich deshalb gestern auffallend zurückhalten. Auch zu
       Gazprom fragte ihn niemand, sodass er aufs Persönliche kommen konnte:
       „Meine Mutter hat im Laufe ihres Lebens kaum Liebe erfahren, war aber immer
       in der Lage, Liebe zu geben. Wir sind nie geschlagen worden.“
       
       ## Parallelen zwischen Merkel und Schröder
       
       In der Politik müsse man „das Risiko eingehen, das Amt auch zu verlieren“.
       Da hätte es fast noch einmal spannend werden können. Die Parallelen
       zwischen Schröder und Merkel drängen sich derzeit ja auf: Opfert sich die
       Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage genauso für als notwendig erkannte
       Reformen wie Schröder damals für die Agenda? Der Frage wich Merkel gleich
       zweimal aus. Schröder legte der CDU jedenfalls ein neues
       Einwanderungsgesetz nahe.
       
       Zum Schluss korrigierte Merkel Schöllgen, als er noch einmal Schröder
       lobte: Der habe 2005 mit der Agenda 34 Prozent geholt. Das sei für die SPD
       heute „ein Traum“, so Schöllgen. Schröder habe „im Wahlkampf nicht von der
       Agenda geredet“, entgegnete Merkel, sondern das Herz der SPD gewärmt.
       Merkel ist eben nicht nur länger Kanzlerin als ihr Vorgänger, sondern auch
       eine bessere Schröder-Analytikerin als sein Biograf.
       
       22 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reeh
       
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