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       # taz.de -- Waffenexporte aus Deutschland: Gewehrdeals außer Kontrolle
       
       > Heckler&Koch-Waffen landeten in Regionen Mexikos, für die es keine
       > Genehmigung gab. Die Bundesregierung wusste das – und förderte den
       > Export.
       
   IMG Bild: Ein G36 von Heckler&Koch.
       
       BERLIN taz | Als er gefunden wurde, war der Student Julio César Mondragón
       kaum mehr zu erkennen. Seine Peiniger hatten ihn gefoltert, ihm die Augen
       ausgerissen und die Haut vom Gesicht gezogen. Er wollte flüchten, erzählen
       seine Kommilitonen, aber die Polizisten schnappten ihn. Kurz darauf war der
       22-Jährige tot. Mit ihm starben an jenem 26. September 2014 fünf weitere
       Menschen in der mexikanischen Stadt Iguala. 43 Studenten verschwanden. Von
       ihnen fehlt jede Spur.
       
       Nach dem Massaker, das Sicherheitskräfte gemeinsam mit Kriminellen
       anrichteten, wurden über 100 Personen verhaftet. Unter ihnen war der
       Polizist Luis Francisco Martínez. Er soll am Mord an Mondragón beteiligt
       gewesen sein.
       
       Nach der Tat fanden die Ermittler in der Polizeibehörde von Iguala die
       Waffe, mit der Martínez im Dienst war: ein Sturmgewehr vom Typ 36 der
       deutschen Rüstungsschmiede Heckler&Koch. An der Seite ist eine Nummer
       eingraviert: 83-012601.
       
       Fragt man beim Bundeswirtschaftsministerium nach, stellt sich heraus: Gemäß
       der Exportgenehmigung 550/07 wurde ein Gewehr mit dieser Kennnummer im Jahr
       2007 vom schwäbischen Oberndorf am Neckar in eine Region im Norden Mexikos
       geliefert. Iguala aber liegt im südlichen Bundesstaat Guerrero. Dort hätte
       das G36 nicht landen dürfen, denn für eine Lieferung in die Region haben
       die Waffenbauer keine Genehmigung erhalten. Ebensowenig wie für die drei
       Bundesstaaten Chiapas, Chihuahua und Jalisco.
       
       ## Ministerium war im Bild
       
       Weil dennoch etwa 4.700 von 10.000 zwischen 2005 und 2010 gelieferten
       Sturmgewehren in diesen Regionen landeten, läuft gegen Heckler&Koch seit
       fünfeinhalb Jahren ein Ermittlungsverfahren bei der Stuttgarter
       Staatsanwaltschaft. Die Firma soll Exportpapiere geschönt haben, um auch in
       die „verbotenen“ Regionen liefern zu können. Die Dokumente seien so
       angepasst worden, dass Waffen, die real etwa nach Chiapas gingen, auf dem
       Papier in einem genehmigten Bundesstaat landeten.
       
       Nun stellt sich heraus: Im Wirtschaftsministerium wusste man nicht nur von
       der Umverteilung – hohe Beamte machten sich sogar aktiv für Heckler&Koch
       stark, um den Export zu ermöglichen. Das bestätigen Dokumente, die der taz,
       dem Südwestrundfunk und Bayrischen Rundfunk vorliegen.
       
       Nachdem das Auswärtige Amt wegen der schlechten Menschenrechtslage Bedenken
       angemeldet hatte, wirkte das Wirtschaftsministerium auf die Waffenbauer
       ein, nur Anträge für sichere Bundesstaaten zu stellen – nicht für die
       kritischen. Dabei war selbst dem zuständigen Ministerialrat klar, dass mit
       der Differenzierung eines Staates in belieferbare und nicht belieferbare
       Regionen jede Kontrolle verloren geht.
       
       Eine solche Einschränkung zu überprüfen entziehe sich den
       Einflussmöglichkeiten des Ministeriums, räumte er bei einer
       Zeugenvernehmung im Rahmen der Ermittlungen ein. Es habe sich aber um ein
       „besonderes Verfahren“ gehandelt. Normalerweise werde eine solche
       Aufteilung nicht vorgenommen.
       
       ## Beihilfe zum illegalen Export
       
       Auch das Wirtschaftsministerium teilt mit, es gebe keine Unterteilung in
       Regionen. In jedem einzelnen Fall werde geprüft, wer vor Ort der konkrete
       Empfänger sein soll. So sei man auch bei den Mexiko-Exporten vorgegangen.
       Aber: Um das Geschäft zu ermöglichen, waren die Beamten sogar bereit,
       rechtliche Risiken einzugehen.
       
       Ob das Vorgehen überhaupt rechtlich zulässig sei, sei bis dato nicht
       problematisiert worden, gestand der Ministerialrat, der auch heute unter
       Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) für die Kriegswaffenkontrolle
       zuständig ist. „Es ist durchaus vorstellbar“, erklärte er, dass eine
       „innerstaatliche Verwendungsbeschränkung“ für ein Land „völkerrechtliche
       Probleme aufwerfen könnte“. Genehmigt wurde trotzdem.
       
       Für den Rechtsanwalt Holger Rothbauer bestätigen die Aussagen einen lange
       gehegten Verdacht. Der Jurist hat 2010 die Anzeige gegen Heckler&Koch
       eingereicht, im November 2012 erweiterte er sie auf Mitarbeiter des
       Wirtschaftsministeriums sowie das Bundesausfuhramt. Sein Vorwurf: Beihilfe
       zum illegalen Export. Nun erwägt Rothbauer, die Anzeige auch wegen des
       Verdachts der Vorteilsnahme zu stellen. „Regelungen wie die, einige
       Bundesstaaten auszuschließen, sind nichts als Etikettenschwindel, um eine
       Rüstungsexportkontrolle zu simulieren, die es nicht gibt.“
       
       ## Keine Bedingungen auferlegt
       
       Ob der mexikanische Partner jemals offiziell erfuhr, dass in einige
       Bundesstaaten nicht geliefert werden durfte, ist fraglich. Der damalige
       Heckler&Koch-Handelsvertreter in Mexiko, Markus Bantle, sagte der taz, ein
       formelles Schreiben vonseiten der Bundesregierung habe es nie gegeben.
       
       Anfänglich versuchte das Auswärtige Amt, das Unternehmen zumindest auf eine
       „Neu für Alt“-Regelung zu verpflichten. Doch auch da wollte das
       Wirtschaftsministerium nicht mitziehen. Der Grundsatz, nach dem der Kunde
       für jede gelieferte Waffe eine alte verschrotten muss, sei nicht angewandt
       worden, weil Heckler&Koch keinen Einfluss darauf habe, sagt der
       Ministeriumsbeamte.
       
       Im Klartext: Anstatt einfach keine Genehmigung auszustellen, weil die
       Voraussetzungen für einen verantwortbaren Export fehlen, verzichtet man
       lieber darauf, Heckler&Koch einschränkende Bedingungen aufzuerlegen.
       
       Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wird in den nächsten Wochen
       entschieden, ob man Anklage gegen Heckler&Koch erhebt. Im Prozess könnte
       das G36-Gewehr mit der Kennnummer 83-012601 eine besondere Rolle spielen.
       „Wenn sich bestätigt, dass der Polizist für Entführung und Tod dieses
       Studenten verantwortlich ist und dabei tatsächlich ein G36 eingesetzt hat,
       muss eine deutsche Staatsanwaltschaft auch die strafrechtliche
       Verantwortung von Heckler&Koch untersuchen“, sagt der Experte für
       internationale Strafjustiz, Wolfgang Kaleck, der taz.
       
       22 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf-Dieter Vogel
       
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