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       # taz.de -- Basketball-EM: „In der NBA machen wir das nicht“
       
       > 29 Punkte erzielt, eine „super Leistung“ erbracht und den Trainer
       > kritisiert: Basketballer Dennis Schröder wird zum Führungsspieler.
       
   IMG Bild: Dennis Schröder steigt hoch zum Korb.
       
       Berlin taz | Chris Fleming weiß sehr gut, was von einem Aufbauspieler
       verlangt wird. Er war früher selbst einer. Er musste das Spiel lesen und
       lenken. Das ist so ähnlich wie bei einem Zehner im Fußball, dem
       Führungsspieler.
       
       Fleming, der als Spieler nie auf der ganz großen Bühne gestanden hat, im
       College bei der University von Richmond und in Deutschland in Quakenbrück,
       ist seit fast einem Jahr Basketball-Bundestrainer, und nach der Niederlage
       seines Teams im EM-Vorrundenspiel gegen Italien am Mittwochabend
       attestierte er seinem Aufbauspieler Dennis Schröder eine „super Leistung“.
       
       Der Junge habe seine Sache hervorragend gemacht. 29 Punkte hatte Schröder
       in der Arena am Ostbahnhof erzielt. Trotzdem ging das Spiel in der
       Verlängerung verloren, mit 82:89. Flemings Team müsste am Donnerstag gegen
       Spanien (ARD, 17.30 Uhr) gewinnen, um sich noch für die Knock-out-Runde
       dieser Europameisterschaft zu qualifizieren.
       
       Fleming sagte bei allem Lob aber auch, dass er es gerne gesehen hätte, wenn
       sein Team den Ball in der entscheidenden Phase mehr „bewegt“ hätte. Das
       kann man durchaus als Kritik an Dennis Schröder verstehen, dem Spieler, der
       mit gerade mal 21 Jahren in die Rolle des Teamleaders geschlüpft ist. Wenn
       die Pässe also hin und her geflogen wären, und der Gegner nicht mehr
       gewusst hätte, auf welche Weise die Deutschen den Korb attackieren, dann
       wäre vielleicht auch der so wichtige Sieg herausgesprungen, glaubte der
       Coach wohl.
       
       Aber die Italiener wurden nicht wirklich überrascht von den deutschen
       Offensivspielern, denn fast immer konnten sie damit rechnen, dass Dennis
       Schröder auf den Korb losstürmt und versucht, den Ball in der Reuse zu
       versenken. Das hat verdammt oft geklappt. Schröder narrte seine
       Gegenspieler immer wieder mit seinem torpedoartigen Antritt und
       überraschenden Korblegern.
       
       ## Kritik am Trainer
       
       Doch Schröder, der nach zwei Jahren NBA bei den Atlanta Hawks ein etwas
       hypertrophes Selbstbewusstsein entwickelt hat und seinen Mitspielern in der
       DBB-Auswahl mit seiner Attitüde manchmal ziemlich auf den Geist geht,
       würzte seine überragende Punktausbeute eben auch mit sechs Ballverlusten
       und teilweise vogelwilden Pässen. Als es drauf ankam, verwarf er einen
       Freiwurf. Und nach dem Spiel beging Schröder ein Sakrileg: Er kritisierte
       den Trainer. Schröder findet, er sei schon in einer Position, in der er
       sich so etwas machen kann.
       
       Trainer Fleming habe in der Schlussphase die falsche Entscheidung
       getroffen: Deutschland lag 24 Sekunden vor Schluss mit drei Punkten vorn,
       die Italiener hatten den Ball – und wurden von den Deutschen so lange
       gefoult, bis ein Italiener an die Freiwurflinie schritt. Flemings Kalkül:
       So können die Italiener nur zwei Punkte erzielen, das deutsche Team bleibt
       vorn und hat bei eigenem Ballbesitz noch einmal die Möglichkeit zu treffen.
       
       Das ist so üblich im europäischen Basketball, aber nicht in der NBA. Dirk
       Nowitzki, der solide spielte und 14 Punkte erzielte, bestätigte das nach
       der Partie: „In der NBA machen wir das nicht, aber hier in Europa macht das
       jeder.“
       
       „Wir hätten vielleicht unserer Defense vertrauen sollen. Die Entscheidung
       zu foulen, finde ich nicht smart. Ich habe dem Coach abgeraten“, sagte
       Schröder. Es ist vielleicht auch diese Unangepasstheit – manche meinen:
       seine grenzwertige Arroganz –, die Schröder so weit gebracht haben.
       
       Er ist ja relativ spät in die Vereinsstrukturen des Basketballs
       eingestiegen, wurde in Braunschweig auf einem Freiplatz entdeckt und
       startete sehr schnell in der Bundesliga durch. Er zockt lieber, als dass er
       ein Spiel verwaltet. Er zieht lieber zum Korb, als dass er den x-ten
       Alibipass zum Nebenmann spielt. In Schröder brodelt immer noch das wilde
       Temperament eines Freiplatz-Spielers.
       
       ## Eine extrem schwere Bürde
       
       So einer lässt sich nicht immer domestizieren und einbinden in Strukturen,
       die von Basketball-Trainern so gern vorgegeben werden. Das Ungezügelte
       hilft Schröder sicherlich, in der NBA voranzukommen. Im europäischen
       Verbandsbasketball wird es da schon schwieriger, zumal Schröder in der NBA
       nur ein Ergänzungsspieler ist, in der Auswahl des deutschen
       Basketball-Bundes aber die ultimative Verantwortung übernehmen muss. Selbst
       ein Dirk Nowitzki, der sehr deutlich im Herbst seiner Karriere steht, hat
       Schröder die Rolle des Leader zuerkannt. Das ist eine extrem schwere Bürde,
       an der sich der 21-Jährige bisweilen verhebt.
       
       Seine Defizite sind offenkundig. Er trifft zu schlecht von der
       Dreipunktlinie. In den NBA-Playoffs lag seine Trefferquote aus der Ferne
       bei 23,5 Prozent – wobei er nur etwa zwei Dreier pro Spiel überhaupt
       versuchte. Bei der Basketball-EM hat der 1,88 Meter große Schröder in vier
       Spielen 13 Dreier geworfen, aber nur drei rutschten durch den Korb. Das
       entspricht einer Quote von 23,1 Prozent. Das ist viel zu wenig.
       
       In kniffligen Situationen verliert Schröder zu oft die Übersicht, trifft
       falsche Entscheidungen. In Internetforen wird ihm unterstellt, ihm fehle
       die Spielintelligenz, um ein ganz Großer zu werden. Auffällig ist auch,
       dass seine Quoten, verglichen mit der regulären NBA-Saison, in den Playoffs
       leicht gesunken sind.
       
       Schröder mag auf dem Parkett vorangehen, außerhalb des Spielfeldes
       verheddert er sich noch zu oft in einem Geflecht aus übergroßen Ansprüchen
       an sich selbst, einer gewissen Hybris und Unerfahrenheit. Sein Berater
       Ademola Okulaja, den Schröder als „Vater und großen Bruder“ bezeichnet, ist
       gut damit beschäftigt, seinen Schützling auf dem Boden der Realität zu
       halten.
       
       ## Zu viel des Guten
       
       All das führt auch zu einer Disbalance im deutschen Team, wo sich die Frage
       auftut, wer denn nun das Sagen hat: Die älteren Spieler um Nowitzki und
       Heiko Schaffartzik oder der junge Überflieger Schröder? Nowitzki ist nach
       den Niederlagen gegen Italien, Serbien und die Türkei und dem teaminternen
       Hickhack mittlerweile so frustriert, dass er auch einen Spieler kritisiert,
       der gar nicht im deutschen Team steht: Daniel Theis.
       
       Der Flügelspieler aus Bamberg hatte sich im Frühjahr an der Schulter
       operieren und für die EM entschuldigen lassen. Dass Theis jetzt aber in
       Vorbereitungsspielen für seinen fränkischen Klub aufläuft und nicht im
       Trikot der Nationalmannschaft, empfindet Nowitzki als „Frechheit“. Okulaja,
       der auch Theis vertritt, sagt nun seinerseits: „Es ist eine Frechheit, dass
       der Junge da hineingezogen wird.“
       
       All diese größeren und kleineren Streitereien werden Schröder nicht
       aufhalten. Der Sohn eines Deutschen und einer gambischen Mutter weiß, was
       er will. Dennis Schröder möchte ein Star werden. Dirk Nowitzki ist mit
       Demut und konstant gutem Spiel in diese Rolle hineingewachsen, Schröder
       geht einen etwas anderen Weg.
       
       Man kann über den Mann mit der blonden Strähne im krausen Haar sagen, was
       man will: Er hat stets riesengroße Fortschritte gemacht: Mit elf Jahren
       stand er noch auf einem Freiplatz im Braunschweiger Prinzenpark, mit 20 für
       die Atlanta Hawks in 82 Spielen 49-mal auf dem Parkett. In der letzten
       NBA-Saison machte er im Schnitt zehn Punkte. Und jetzt erwartet alle Welt,
       dass er den eher durchschnittlichen deutschen Basketball rettet. Das ist,
       zumindest im Jahr 2015, noch zu viel des Guten. Das weiß auch Coach Chris
       Fleming. Man muss noch etwas Geduld haben mit diesem Dennis Schröder.
       
       10 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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