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       # taz.de -- Papstbesuch in den USA: Die päpstliche Methode
       
       > Begeistert lauschen die USA den Reden von Papst Franziskus. Der legt den
       > Finger in US-amerikanische Wunden.
       
   IMG Bild: Die USA im Papstrausch: Begeisterter Jubel in der St.-Patrick-Kathedrale.
       
       NEW YORK taz | Zwei Amerikaner stehen vor der Südwiese des Weißen Hauses.
       Der eine ist in Hawaii geboren, der andere in Buenos Aires. Der eine führt
       eine Supermacht von 300 Millionen. Der andere ist geistliches Oberhaupt von
       über 1,2 Milliarden. Sie haben unterschiedliche Sprachen und Religionen.
       Aber sie spielen sich die Bälle zu wie ein eingeübtes Team: Einwanderung,
       soziale Ungleichheit, Klimapolitik. Die Sonne strahlt. Die Welt blickt auf
       sie. Für beide Männer ist es ein großer Tag.
       
       Nie war die [1][US-Reise eines religiösen Würdenträgers] triumphaler. Die
       großen Sender übertragen sechs Tage lang live die 18 Reden von „Pope
       Francis“ in den USA. Sie verfolgen jede Windböe, die seine
       eierschalenfarbene Soutane verweht. Sie berichten davon, dass er mit
       Obdachlosen isst, anstatt sich wie andere Staatsoberhäupter bei Empfängen
       bewirten zu lassen. Sie zeigen ihn stehend im seitlich offenen Papamobil.
       Und sitzend auf der Rückbank des winzigen Fiat 500 L, mit dem er – verdeckt
       von den tonnenschweren, breiten und hohen SUVs des Secret Service – an den
       Freitreppen der Washingtoner Prunkbauten vorfährt.
       
       „Pope Francis“ bekommt Respekt. Selbst im hartgesottenen Kongress wechseln
       sich andächtiges Schweigen und Rührung ab, während er seine 50-minütige
       Moralpredigt hält. „Wir Menschen auf diesem Kontinent haben keine Angst vor
       Fremden“, sagt er vor den Abgeordneten von Repräsentantenhaus und Senat,
       vor vier der neun Obersten RichterInnen und dem katholischen Teil der
       US-Regierung, „denn die meisten von uns sind einmal Fremde gewesen“. Der
       78-Jährige ist zum ersten Mal in seinem Leben in den USA. Das Englische, in
       dem er seine politischen Reden in Washington hält, kommt nur zäh über seine
       Lippen. Aber „Pope Francis“ ist spürbar zu Hause.
       
       ## 22 Prozent katholisch
       
       Er sagt im Kongress Dinge, für die jeder andere ausgebuht würde. Und er
       legt den Finger in US-amerikanische Wunden. Darunter Waffenhandel,
       Todesstrafe, bewaffnete Konflikte, Klimaskepsis, Armut.
       
       In dem Washington, das Franziskus besucht, sind nur 22 Prozent der
       Bevölkerung katholisch. Doch in den Institutionen der Macht sind Katholiken
       heute stark repräsentiert. 31 Prozent der Kongressabgeordneten gehören zur
       katholischen Kirche. Sechs der neun Obersten RichterInnen. Und sechs der
       republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Bei den Demokraten ist
       Vizepräsident Joe Biden der oberste Katholik. Und auch er denkt über eine
       Präsidentschaftskandidatur 2016 nach.
       
       Die katholische Kirche wächst durch die Zuwanderung aus Lateinamerika. Die
       EinwandererInnen sind jene, die an Sonntagen die katholischen Kirchen in
       den USA füllen. Sie sind es auch, die dem Papst in den USA am Straßenrand
       zujubeln. Aber in direkten Kontakt mit ihm kommen wegen der extremen
       Sicherheitsvorkehrungen nur wenige.
       
       In Washington klettert ein fünfjähriges Mädchen, Tochter von Papierlosen
       aus Mexiko, über die Absperrung. Der Papst im Papamobil sieht Sophie Cruz
       und winkt sie zu sich. Ein ganz in Schwarz gekleideter Mann vom Secret
       Service trägt das Mädchen zum Papst. Der segnet sie. Sie übergibt ihm einen
       Brief, in dem sie von ihrer Angst vor der Abschiebung ihrer Eltern
       schreibt.
       
       ## Appelle an den Menschenverstand
       
       Im Kongress wird der Papst ab dem ersten Satz, in dem er über das „Land der
       Freien und der Heimat der Mutigen“ spricht, 30-mal von Applaus – oft
       stehendem – unterbrochen. Zuvor hatte [2][„Speaker“ John Boehner] die
       Abgeordneten gebeten, auf Unterbrechungen der Rede zu verzichten.
       
       Als das vergessen ist, führt Boehner selbst mehrfach ein Taschentuch über
       seine feuchten Augen. Dabei ist er Republikaner, und der Papst spielt
       deutlich mehr demokratische Bälle. Er tut es in einer Rede, die pastoral,
       politisch und selbstbewusst ist. Gespickt mit Appellen an den gesunden
       Menschenverstand und Erinnerungen an „goldene Regeln“, wie jene, „andere so
       zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden möchten“.
       
       Der Papst vermeidet die Reizworte, die in Washington für Spaltung und
       Lähmung sorgen. Dass er für eine globale Klimapolitik eintritt, hat er
       schon in seiner Enzyklika „Laudato si“ klar gemacht. Weswegen prominente
       RepublikanerInnen prophylaktisch erklärt haben, der Papst sei lediglich in
       religiösen Fragen, nicht aber in der Politik unfehlbar.
       
       Doch der Papst nimmt den SkeptikerInnen den Wind aus den Segeln. Er benutzt
       das [3][Stichwort „Klimawandel“] kein einziges Mal. Stattdessen spricht er
       von dem „Schutz der natürlichen Ressourcen“. Anstatt die
       [4][gleichgeschlechtliche Ehe zu kritisieren], spricht er von der „Rolle
       der Familie“. Und er verdammt nicht das [5][Recht auf Abtreibung], sondern
       erwähnt den „Schutz des menschlichen Lebens in jeder Phase seiner
       Entwicklung“.
       
       ## Sklavin der Ökonomie
       
       Von dort allerdings spannt er den Bogen zu seiner „Überzeugung, dass die
       Todesstrafe weltweit abgeschafft“ gehört. In einem anderen, selten
       radikalen Moment für den US-Kongress sagt der Papst, „der Waffenhandel muss
       aufhören“. Die Mehrheit der Abgeordneten vor ihm hat die Rückendeckung der
       Waffenlobby NRA. Alle wissen, was gemeint ist.
       
       Die päpstliche Methode in den USA ist Symbolik. Ein Kleinwagen gegen die
       Ölverschwendung. Eine Obdachlosenküche gegen ostentativen Luxus. Und Worte
       wie „Brüderlichkeit“ und „Menschlichkeit“ gegen den politischen Kleinkrieg.
       Den schärfsten Satz aus seiner schriftlichen Vorlage für die Rede vor dem
       Kongress liest er nicht. Der Satz lautete: „Politik kann keine Sklavin von
       Ökonomie und Finanzen sein.“
       
       Seine Sympathien zeigt der Papst anhand von vier US-AmerikanerInnen, deren
       Leben er als vorbildhaft beschreibt. Präsident Abraham Lincoln, dessen Name
       für Freiheit und für die Abschaffung der Sklaverei steht, sowie der
       schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King sind heute weitgehend
       Konsensfiguren.
       
       Doch die 1980 verstorbene Dorothy Day, Gründerin der Bewegung „Catholic
       Workers“ und christliche Sozialistin, sowie der 1968 verstorbene
       Trappistenmönch Thomas Merton, ein sozialer Aktivist, waren in der
       katholischen Kirche ihres Landes als zu radikal marginalisiert. Als der
       Papst sie auf den Sockel hebt, jubelt der demokratische Sozialist Bernie
       Sanders.
       
       ## Missbrauchsopfer fordern mehr
       
       Weiter links stehenden PapstkritikerInnen fällt auf, dass er auch in seinen
       Elogen für Dorothy Day und Martin Luther King nicht deren Engagement gegen
       Militarismus und Kriege erwähnt. Enttäuscht sind sie auch darüber, dass der
       Papst den Franziskanermönch Junípero Serra heilig gesprochen hat. „Serra
       steht für den Völkermord und die Zwangschristianisierung der Ureinwohner
       dieses Kontinents“, sagt Luis Ramos, der zu einer Protestveranstaltung mit
       anderen UreinwohnerInnen nach New York gekommen ist.
       
       Unzufrieden sind auch Opfer der sexuellen Gewalt katholischer Priester, die
       jahrelang von der Kirchenhierarchie gedeckt wurde. Sie wollen, dass der
       Papst den Tätern jede Rückendeckung entzieht. Stattdessen zeigt er in der
       St.-Patrick-Kathedrale in New York Mitgefühl für andere Priester und
       Nonnen, die unter dem Stigma leiden, das der sexuelle Missbrauch ausgelöst
       hat.
       
       Doch Gastgeber Barack Obama zeigt bei dem Besuch ein Lächeln quer über das
       Gesicht. Kein anderer Staatsgast hat seine Politik so unterstützt wie
       Franziskus. Zum Dank überreicht er seinem Gast eine Tauben-Skulptur, die
       rund um ein Stück Metall aus der Freiheitsstatue gebaut ist.
       
       Im Kongress hingegen währt der Frieden nur so lange wie die Anwesenheit des
       „Heiligen Vaters“. Kaum ist er abgereist, planen RepublikanerInnen in
       bekannter Blockadehaltung den nächsten Shut-down der Regierung: Sie
       verlangen die Streichung aller staatlichen Mittel für
       Familienplanungszentren. Falls sie das nicht bekommen, wollen sie den
       kompletten Haushalt der Regierung blockieren.
       
       25 Sep 2015
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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