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       # taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Kritische Medien unerwünscht
       
       > Die Istanbuler Staatsanwaltschaft hat die türkische Zeitung „Hürriyet“
       > wegen Terrorpropaganda angeklagt. Die Grünen zeigen Solidarität.
       
   IMG Bild: Treffen in Istanbul: Rebecca Harms, Cem Özdemir und der Chefredakteur der „Hürriyet“, Sedat Ergin.
       
       ISTANBUL taz | Sechs Wochen vor den für den 1. November anberaumten
       Neuwahlen in der Türkei verschärfen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und
       seine AKP-Übergangsregierung den Druck auf die letzten kritischen Medien
       des Landes.
       
       Im Fokus steht dabei die größte säkulare Mediengruppe, die Doğan-Holding
       mit ihrem Flaggschiff Hürriyet und den populären Fernsehsendern Kanal D und
       CNN-Türk. Nachdem ein von der AKP organisierter Mob Anfang September
       zweimal versucht hatte, das Verlagshaus von Hürriyet zu stürmen und die
       Journalisten tätlich bedroht wurden, hat jetzt die Istanbuler
       Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen „Propaganda für eine terroristische
       Organisation“ gegen Hürriyet und Kanal D eingeleitet.
       
       „Die Vorwürfe sind ein schlechter Witz und ganz klar Teil einer politischen
       Kampagne“, sagte Hürriyet-Chefredakteur Sedat Ergin am Mittwoch, als der
       deutsche Grünenvorsitzende Cem Özdemir und die Ko-Chefin der europäischen
       Grünenfraktion, Rebecca Harms, Hürriyet aus Solidarität besucht hatten.
       
       Grundlage für den Vorwurf der Terrorpropaganda ist der Artikel eines
       regierungsnahen Boulevardblattes, das behauptet hatte, Hürriyet zeige „tote
       Soldaten aber keine toten PKK-Terroristen“. Für Hürriyet ist die Kampagne
       gegen sie ein Schock. In den 60 Jahren, in denen die Zeitung erscheint, hat
       sie sich immer als staatstragendes Medium begriffen, dem nichts ferner
       liegt, als radikale Oppositionelle oder gar „Terroristen“ zu unterstützen.
       
       ## Plattform der Opposition
       
       Das hatte auch Cem Özdemir in früheren Jahren zu spüren bekommen, als er in
       der Europaausgabe der Hürriyet als „Vaterlandsverräter“ angegriffen wurde,
       weil er als Grüner die türkische Regierung kritisiert hatte.
       
       Heute ist Hürriyet froh über seine Unterstützung. Auf die Frage, ob sie
       noch einmal mit einem tätlichen Angriff auf die Redaktion rechnen, sagt
       Sedat Ergin resigniert: „Wir haben uns schon nach dem ersten Angriff nicht
       vorstellen können, dass das noch einmal passiert. Wie sollen wir da jetzt
       ausschließen können, dass es auch noch ein drittes Mal passiert?“
       Tatsächlich hat er allen Grund, weiterhin alarmiert zu sein.
       
       Der AKP-Abgeordnete Abdurrahim Boynukalin, der bei dem ersten Angriff auf
       Hürriyet den Mob mit einer scharfen Rede anfeuerte, wurde bei dem
       außerordentlichen Parteitag der AKP am letzten Wochenende als Anerkennung
       für seine eifrige Unterstützung Tayyip Erdoğans ins Präsidium der Partei
       gewählt.
       
       Hürriyet ist nicht die einzige Zeitung die sich derzeit heftigen Angriffen
       ausgesetzt sieht – aber die größte. Das Wochenblatt Nokta etwa druckt
       gerade einmal 10.000 Exemplare, während Hürriyet mit rund 400.000
       Exemplaren immer noch eine der größten Auflagen hat und das unbestrittene
       Leitmedium der säkularen Hälfte der türkischen Gesellschaft ist. Vor allem
       sind die Doğan-Medien die wichtigste Plattform für die Politiker der
       Opposition. Sowohl der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu als auch der
       Kovorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaș, finden auf CNN-Türk und Kanal D
       noch die Möglichkeit, Stellung zu nehmen.
       
       Sollte es Erdoğan gelingen, die Doğan-Familie so weit einzuschüchtern, dass
       Oppositionspolitiker auch dort keinen Raum mehr bekommen, wird es Kritik an
       ihm nur noch in kleinen Zeitungen und sozialen Medien geben. Über diese
       Aussicht sind nicht nur die Grünen, sondern selbst die Regierung der USA
       besorgt. Wenige Minuten nachdem Cem Özdemir sich von Hürriyet verabschiedet
       hatte, rauschte dort die Wagenkolonne des US-Botschafters John Bass vor.
       
       17 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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