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       # taz.de -- Tanztreffen der Jugend: Make it beautiful! Let‘s get wild!
       
       > Zwischen Performance, Campus-Programm und Mal- und Bastelecke: das
       > Tanztreffen der Jugend im Haus der Berliner Festspiele.
       
   IMG Bild: Erst vorsichtig, dann wild: das Stück „Feuerblume“ der Kindertanzcompany Berlin von Sasha Waltz & Guests.
       
       Zaghaft gehen die neun Jugendlichen aufeinander zu, bis sie sich in der
       Mitte der Tanzfläche treffen. Ganz nah kommen sie sich. Ihre Schultern und
       Arme berühren sich. Dann gleiten sie an den Rand zurück. Der Tanzlehrer Tom
       Bünger zeigt ihnen, wie sie „mit Magie“ rückwärts laufen können, sodass es
       aussieht, als würden sie schweben. „Wie in Hogwarts“, kichert Stella, die
       mit ihrem Tanzkollegen Fabi Harry Potter spielt. „Ron Weasley, you little
       fool“, tadelt sie ihn.
       
       Es ist Dienstagmorgen. Der fünfte Tag beim Tanztreffen der Jugend beginnt.
       Eine Woche lang treffen sich die jungen TänzerInnen zwischen 13 und 24
       Jahren, die beim zweiten Bundeswettbewerb der Berliner Festspiele gewonnen
       haben. Tanzgruppen aus ganz Deutschland haben sich mit 68 Produktionen
       beworben. Die sieben besten Ensembles lud die Jury nach Berlin ein. Ein
       wichtiges Kriterium bei der Auswahl war, dass die Kinder und Jugendlichen
       das Stück aktiv mitgestaltet haben.
       
       Beim Tanztreffen selbst findet kein Wettkampf mehr statt. Stattdessen steht
       der Austausch im Vordergrund. Tagsüber bieten die Berliner Festspiele den
       TeilnehmerInnen ein vielfältiges Campus-Programm, das perfekt organisiert
       ist. Der Ablauf ist klar strukturiert. Ansprechpersonen beantworten alle
       Fragen. Es gibt eine Mal- und Bastelecke und einen Raum mit Hängematten.
       Jederzeit können sich die TeilnehmerInnen im Foyer etwas zu trinken und zu
       essen holen.
       
       Jeden Tag finden Gespräche statt, in denen die Kinder und Jugendlichen über
       ihre Erfahrungen, Sorgen und Wünsche reden können. Auch für die
       Choreografen gibt es ein Forum, in dem sie sich Lob und Feedback geben
       können. Der Leiterin Christina Schulz ist es wichtig, dass sich alle
       kennenlernen und wohl fühlen.
       
       ## Dramatische Posen
       
       Morgens finden die sogenannten Intensiv-Workshops statt, bei denen die
       Jugendlichen über mehrere Tage an sich arbeiten. Tom Bünger vermittelt in
       seinem Kurs „Movement Principles of Dance“ verschiedene Tanztechniken:
       Drehungen und Sprünge, wie sie sowohl im klassischen Tanz wie auch in der
       Folklore vorkommen. Es läuft Musik von Eric Clapton und der schwedischen
       Band Amason. Bünger motiviert die Kinder mit Sprüchen auf Englisch wie
       „Make it beautiful!“ oder „Let‘s get wild!“. Gegen Ende fordert er sie mit
       einer rhythmisch komplizierten Abfolge von Schritten. „Ich weiß, es ist
       advanced, aber es ist schön“, ermutigt er Stella.
       
       In den Workshops treffen die Mitglieder der verschiedenen Ensembles
       aufeinander, doch das merkt man kaum. Die Atmosphäre unter den Kindern und
       Jugendlichen ist vertraut. Der Zusammenhalt ist groß. In den Pausen albern
       und turnen sie herum, zeigen sich gegenseitig Moves.
       
       An den Nachmittagen können sie sich bei „Impuls-Workshops“ inspirieren
       lassen. Am Dienstag findet neben einer House- und HipHop-Session ein
       Unterricht zu „Urban Dance Health“ statt. Sophie Manuela Lindner bringt den
       Jugendlichen Grundschritte des Breakdance bei und macht ihnen vor, wie sie
       ihre Gelenke und Muskeln schonen. Mit einem Skelettarm zeigt sie, wie man
       sich am besten mit den Händen abstützt. „Presst sie nicht auf den Boden!“,
       warnt sie. Erst am Vortag hat sich ein Kind beim Parkour-Workshop verletzt.
       
       Extravagant ist der Kurs zu „Voguing“, der zur selben Zeit im ersten Stock
       stattfindet. Beim Voguing imitieren TänzerInnen die Körpersprache und die
       Posen von Models. Bei Georgina Philp alias Leo Melody lernen sie, wie sie
       beim Catwalk ihre Hüften und Schultern bewegen müssen. Mit dramatischen
       Posen treten sie gegeneinander an. Als sie in der Hocke vorwärts tanzen
       sollen, stöhnen und lachen sie zugleich. Es ist anstrengend, aber nur
       wenige geben auf.
       
       ## Fließende Bewegungen
       
       Am Abend führt die Kindertanzcompany Berlin Sasha Waltz & Guests das Stück
       „Feuerblume“ auf. Der Choreograf Gabriel Galindez Cruz erklärt der taz
       mittags im Hof der Berliner Festspiele, dass es sich dabei um eine
       energetische Beschreibung handelt. Manchmal tanzt der Kolumbianer auch
       einfach vor, statt zu reden. „Tanz ist eine Sprache, an die ich mehr glaube
       als an die verbale.“ Das Stück sei eine strukturierte Improvisation. Die
       Kinder folgen einer Reihe von Aufgaben, innerhalb derer sie viele
       Freiheiten haben. Cruz lässt die Kinder viel selbst entscheiden und sammelt
       ihre Ideen. Er hofft, dass die Kinder durch ihre Tanzerfahrung Kreativität
       in die Gesellschaft einbringen und sie dadurch toleranter wird.
       
       Zwei Songs der Band Bukahara bilden den Ausgangspunkt der 25-minütigen
       Vorführung. Die vier Musiker spielen live auf der Bühne. Es ist eine
       außergewöhnliche Mischung aus Jazz, Folk und Reggae. Am Anfang stehen die
       Kinder in vier Reihen vor den Musikern. Mit immer schneller und größeren
       Bewegungen brechen sie aus der Ordnung aus. Sie stehen in stetiger
       Beziehung zueinander, zum Raum und zur Musik. Ihr Tanz ist wunderschön
       fließend. Nach dem Auftritt holen die Kinder andere TeilnehmerInnen aus dem
       Publikum auf die Bühne. Sie bilden einen Halbkreis, in dem einer nach dem
       anderen vortanzt. Das Publikum und die anderen TänzerInnen klatschen und
       feuern sie an.
       
       1 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julika Bickel
       
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