# taz.de -- Schwedisch-marokkanische Diplomatie: Spannungen um Westsahara
> Die Regierung in Stockholm plant, das marokkanisch besetzte Gebiet als
> Staat anzuerkennen. Marokko droht mit einem Boykott von Ikea & Co.
IMG Bild: 2010 räumten marokkanische Sicherheitskräfte ein Protestcamp in der Westsahara.
STOCKHOLM taz | Es begann mit Ikea. In einem Vorort von Casablanca sollte
am Dienstag vergangener Woche deren erstes von fünf geplanten Möbelhäusern
in Marokko eingeweiht werden. Doch einen Tag vor dem Eröffnungstermin
stellte das Innenministerium in Rabat fest, dass eine erforderliche
Genehmigung fehlte. Schwedische Medien vermuteten, dass dies in
Wirklichkeit eine Reaktion auf Pläne Stockholms sein könnte, als erstes
EU-Land die Westsahara diplomatisch anzuerkennen.
Diese Vermutung hat sich nun bestätigt. Am Donnerstag erklärte ein Sprecher
der marokkanischen Regierung, dass „wir uns in Richtung eines Boykotts
schwedischer Unternehmen bewegen“. Dies sei nach dem „Prinzip der
Gegenseitigkeit“ eine Reaktion auf schwedische Kampagnen gegen
marokkanische Firmen und darauf, dass Schweden „systematisch“ die
Interessen Marokkos verletze.
Hintergrund ist, dass in Stockholm schon länger eine diplomatische
Anerkennung der von Marokko völkerrechtswidrig besetzten Westsahara auf der
Tagesordnung steht. Schweden hatte sich bereits der Verlängerung des
EU-Fischereiabkommens mit Marokko widersetzt, weil dieses auch
Meeresgebiete der Westsahara umfasst. Im Januar verurteilte die Regierung
Probebohrungen nach Öl in diesen Gewässern scharf. Und schon im Dezember
2012 hatte eine Mehrheit des schwedischen Parlaments beschlossen, dass die
„Demokratische Arabische Republik Sahara“ (DARS) anerkannt werden solle.
Vor allem die Grünen und Sozialdemokraten setzten sich dafür ein; ihre
Parteitage verabschiedeten entsprechende Entschließungen.
Mit dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition im Herbst 2014 war eine
schnelle Umsetzung dieser Beschlüsse erwartet worden. Dies umso mehr, als
die neue Regierung in einer ihrer ersten außenpolitischen Amtshandlungen
Palästina offiziell anerkannte und die neue Außenministerin Margot
Wallström als ein zentrales Element der von ihr verkündeten „feministischen
Außenpolitik“ das Prinzip „Aus Unrecht darf kein Recht entspringen“,
nannte. Deshalb dürften illegale Okkupationen und
Menschenrechtsverletzungen nicht unterstützt werden.
## Anerkennung in der Prüfungsphase
Für Lena Thunberg, Chefredakteurin der Zeitschrift Västsahara ist es nicht
nachvollziehbar, dass die Anerkennung der Westsahara noch nicht erfolgt
ist: „Schweden ist doch in einer Position, aus der heraus man viel
offensiver agieren könnte.“ Es bestehe kein Zweifel an den massiven
Verletzungen der Menschenrechte durch Marokko in der Westsahara. Alle
Kriterien, die Stockholm für die völkerrechtliche Anerkennung eines Staates
aufgestellt habe, seien bei der DARS erfüllt.
War jüngst noch davon die Rede, Stockholm werde die Anerkennung der
Westsahara im Februar 2016 vollziehen, gibt sich Außenministerin Wallström
derzeit zugeknöpft: Eine mögliche Anerkennung sei noch „in der
Prüfungsphase“. Sie liege noch nicht auf ihrem Tisch und es sei deshalb
auch noch kein Beschluss gefasst worden. Im übrigen könne man auch
Palästina und die Westsahara nicht vergleichen. Sie halte es für wichtiger,
einen Dialog zu führen als einen Konflikt zu eskalieren und begrüße es
deshalb, dass eine marokkanische Regierungsdelegation einen Besuch in
Stockholm angekündigt habe.
Julia Finér, Vorsitzende der für westsaharische Flüchtlinge aktiven
Hilfsorganisation Emmaus, hat zwar nichts dagegen, dass Stockholm sich mit
der EU abstimmt. Sie warnt aber davor, sich von Marokko mit
Boykottdrohungen einschüchtern zu lassen. Wie Rabat nun agiere, sei jedoch
„aggressiv“ und „schlicht und ergreifend Erpressung“. Dies beweise aber
auch, dass man in Marokko sehr wohl wisse, wie bedeutsam der Schritt einer
diplomatischen Anerkennung durch Stockholm wäre: Andere EU-Länder würden
vermutlich folgen, „die Machtverhältnisse würden sich radikal zum Nachteil
Marokkos verschieben“. Dies könnte den Druck auf Rabat erhöhen, an den
Verhandlungstisch zurückzukehren.
Der Völkerrechtsprofessor Pål Wrange merkt in diesem Zusammenhang an, dass
die EU keine konsequente Linie mit dem Umgang mit illegalen Okkupationen
und Annexionen habe: Krim, Palästina, Westsahara – Sanktionen hier,
außerordentlich gute Beziehungen und sogar privilegierte Zusammenarbeit
dort.
5 Oct 2015
## AUTOREN
DIR Reinhard Wolff
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