URI: 
       # taz.de -- Kommentar Bsirskes Wiederwahl: Reine Abnickveranstaltung
       
       > Vom Verdi-Bundeskongress in Leipzig geht kein Signal der Erneuerung aus.
       > Doch genau das bräuchte die Gewerkschaft.
       
   IMG Bild: Bsirkse wird seit 2001 immer wieder als Vorsitzender gewählt
       
       Er mutet an wie die Hauptversammlung eines Konzerns mit einigen nölenden
       Kleinaktionären: der Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi
       in den Messehallen Leipzig. Um die Stimmung zu heben, gibt es gut zu essen
       und zu trinken. Die Mehrheiten stehen von vornherein fest, es ist eine
       reine Abnickveranstaltung. Auch das Alter der meisten Teilnehmer ist
       vergleichbar, 53 Jahre ist das Durchschnittsalter der knapp über 900
       Delegierten.
       
       Die Gewerkschaft ist eine solide Interessenvertretung für die Gesättigten.
       Das macht Verdi immer wieder bei Tarifabschlüssen deutlich, wenn die
       älteren, gut Verdienenden am besten abschneiden – während die jüngeren oder
       prekär Beschäftigten mit wenig abgespeist werden oder gar leer ausgehen.
       
       Aber: Vielen Verdi-Mitgliedern ist der Kurs ihrer Gewerkschaft zutiefst
       suspekt. Es rumort an allen Ecken und Kanten. Ökologisch Orientierte sind
       erbost über den Pro-Kohlekurs von Verdi-Chef Frank Bsirske. Aus dem
       Einzelhandel sind viele verbittert, weil die Gewerkschaft hilflos auf
       Tarifflucht von Supermarktketten wie Real und die Inflation von
       Teilzeitverträgen reagiert. ErzieherInnen schimpfen über den
       Schlichtungsvorschlag, den die Gewerkschaftsspitze annehmen wollte.
       Beschäftigten der Post empört der Tarifabschluss, den die Verdi-Verhandler
       über ihre Köpfe hinweg abgeschlossen hat.
       
       „Tarifromantiker“ und „Illusionisten“ seien jene, die keinen Kompromiss,
       sondern eine 100-prozentige Durchsetzung ihre Forderung wollten, kanzelte
       der mit 88,5 Prozent wiedergewählte Bsirske die Kritiker der Post- und
       Kita-Arbeitskämpfe ab, die er in „interessierten Kreisen“ in den Medien
       verortet. Beim Bundeskongress sind skeptische Stimmen eine Randerscheinung.
       Drei Minuten Redezeit haben Delegierte bei der Generalaussprache, nach den
       wenigen Kritikern sprechen Redner mit völlig anderen Anliegen. Die bitter
       nötige Diskussion darüber, wo Verdi steht und wo die Gewerkschaft hin will,
       kann so nicht entbrennen.
       
       ## Die Spitze will kein kritisches Kollektiv
       
       Das Schlimme ist: Sie soll auch nicht entstehen. Die Spitze will kein
       kritisches Korrektiv. Statt auf die Auseinandersetzung mit der eigenen
       Strategie und Rolle in einer sich immer schneller veränderten Arbeitswelt
       setzt die Verdi-Spitze auf Selbstbeschwörung. „Wir sind eine tolle
       Gewerkschaft! Wir sind die Guten“, rief die stellvertretende
       Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis eine der Lieblingsparolen der
       Verdi-Funktionäre – und erhielt trotz des in ihrem Verantwortungsbereich
       liegenden Postdesasters 90,24 Prozent der Stimmen bei ihrer Wiederwahl.
       
       Vom Leipziger Bundeskongress geht kein Signal des Aufbruchs und der
       Erneuerung aus. Doch die Gewerkschaft braucht genau das. Mit einem
       einfachen „Weiter so“ wird die Gewerkschaft nicht, wie ihre Funktionäre
       meinen, „noch stärker“, sondern immer schwächer. Seit der Gründung 2001 hat
       Verdi fast ein Drittel der Mitglieder verloren. Ohne Kurskorrektur, einer
       innergewerkschaftlichen Demokratisierung und neuen Ideen für das digitale
       Zeitalter wird der gesellschaftliche Bedeutungsverlust weitergehen.
       
       Dabei sind starke Gewerkschaften gerade in diesen Zeiten wichtig. Das zeigt
       das Beispiel Post, bei der ein Konzernvorstand mit brachialer Gewalt seine
       maßlosen Renditeerwartungen auf Kosten der Beschäftigten durchprügelt.
       
       23 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Krüger
       
       ## TAGS
       
   DIR Verdi
   DIR Frank Bsirske
   DIR Kita-Streik
   DIR Verdi
   DIR Verdi
   DIR Verdi
   DIR Frank Bsirske
   DIR Streik
   DIR Post AG
   DIR Verdi
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommentar Einigung im Kita-Streik: Bsirskes Ergebnis
       
       Wesentliche Verbesserungen hat Verdi nicht verhandelt. Dass der
       Arbeitskampf trotzdem endet, kann sich Frank Bsirske als Erfolg anrechnen.
       
   DIR Verdi-Frau Welskop-Deffaa: Ein langer Weg in die Spitze
       
       Im Familienministerium für Gleichstellung zuständig, in den einstweiligen
       Ruhestand versetzt und nun bei Verdi weit oben: Eva Maria Welskop-Deffaa.
       
   DIR Andrea Nahles beim Verdi-Kongress: Bemühte Harmonie
       
       Verdi und Arbeitsministerin Andrea Nahles fordern den Mindestlohn auch für
       Asylbewerber. Strittige Themen werden nicht angesprochen.
       
   DIR Bundeskongress von Verdi: Happy Gewerkschafter
       
       Verdi-Chef Bsirske stand mehrfach in der Kritik. Dennoch wird er
       wiedergewählt. Bei der Gewerkschaft ist man zufrieden mit sich.
       
   DIR Verdi vor dem Bundeskongress: Ausgelaugte Gewerkschaft
       
       Die aktuelle Verdi-Führung gibt eine schlechte Figur ab – konzeptionslos
       und müde. Ein Neuanfang ist jedoch nicht in Sicht.
       
   DIR Der Poststreik geht in die dritte Woche: „Täglich wächst der Druck“
       
       Verdi-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis wirft der Arbeitgeberseite vor,
       ausschließlich Kapitalmarktinteressen zu bedienen.
       
   DIR Kommentar Poststreik: Die Bürde der Boten
       
       Verdi nutzt seine Streikmacht, doch es bleibt ein reiner Abwehrkampf.
       Entscheidend wäre, den Druck auf die Post-Konkurrenz zu erhöhen.
       
   DIR Kommentar Verdi: Streiken aus reiner Verzweiflung
       
       Schlichtung im Kitastreik, bald Streik bei der Post – Verdi gibt sich
       kämpferisch. Das sieht stark aus, ist aber in Wahrheit schiere
       Verzweiflung.