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       # taz.de -- 319. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: „Lobe den Herrn, meine Seele“
       
       > FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka ruft in seinem Schlusswort Gott an.
       > Er hat „eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg“.
       
   IMG Bild: Ignace Murwanashyaka, hier zum Auftakt des Prozesses in Stuttgart vor vier Jahren.
       
       STUTTGART taz | Der Präsident spricht als letzter. Für sein „Letztes Wort“
       am letzten Verhandlungstag des mehr als vierjährigen Prozesses gegen ihn
       vor dem Oberlandesgericht Stuttgart hat sich Ignace Murwanashyaka etwas
       Besonderes ausgedacht: Er verliest nur Anfang und Ende seines
       handschriftlichen Statements; den großen Mittelteil, wo es um politische
       und juristische Details geht, überlässt er seiner Verteidigerin Ricarda
       Lang. Er selbst konzentriert sich auf das Persönliche und Religiöse.
       
       „Lobe den Herrn, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen / Lobe
       den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“: Mit
       dieser Passage aus dem 103. Psalm eröffnet der FDLR-Präsident am 16.
       September seine große Rede zum Prozessabschluss.
       
       Und er erklärt auch gleich, warum: „Mitten im Gefängnis, in Bedrängnis und
       in ausweglos scheinender Situation ist Gott am Werk und verteidigt den, der
       ihn ehrt, wie seine eigene Ehre. Dass der Angeklagte heute noch am Leben
       ist, ist nur Gottes Barmherzigkeit zu verdanken.“
       
       Murwanashyaka sieht sich als unschuldiges Opfer einer politischen Intrige.
       Seine Festnahme sei „aus rein politischen Motiven“ erfolgt, er werde als
       „Störfaktor“ angesehen, wie überhaupt alle Gegner der ruandischen
       „Militärdiktatur“. „Jeder, der sagt, dass Völkermord Blankoscheck für
       Völkermord der Mehrheit durch die Minderheit geworden ist, stört. Jeder,
       der sagt, dass friedliches Zusammenleben aller ruandischen Ethnien nicht
       möglich ist, solange die ganze Wahrheit nicht ans Licht kommt, stört.“
       
       ## Opferzeugen „nicht glaubwürdig“
       
       Nach dieser eindeutigen, sehr radikalen Positionierung der FDLR demoliert
       Murwanashyaka die Anklage und die Belastungszeugen. Dabei geht er sehr
       selektiv vor. Die vielen ehemaligen ruandischen FDLR-Soldaten, die in
       Stuttgart ausgesagt haben, schont er, mit einer Ausnahme. Die sechs
       kongolesischen Opferzeugen, die anonym und per Videovernehmung unter
       Ausschluss der Öffentlichkeit über fürchterliche Verbrechen der FDLR
       berichtet haben, finden beim Präsidenten der FDLR keine Gnade.
       
       Ihre Aussagen seien „von Widersprüchen gekennzeichnet“, vieles „nicht
       glaubhaft“, so manche Geschichte „erfunden“, sagt Murwanashyaka über die
       Berichte der kongolesischen Frauen von Vergewaltigungen durch die FDLR. Zu
       manchen Fragen hätten sie die Aussage verweigert, sie seien nicht zu Ende
       befragt worden. „Die kongolesische Zivilbevölkerung ist von Krieg und Armut
       gebeutelt; sie hat Anreiz, Unwahrheiten zu sagen, um in den Genuss von
       ärztlicher Versorgung zu kommen“, wischt er die Aussagen der
       Vergewaltigungsopfer beiseite.
       
       Eine Zeugin hat es dem FDLR-Präsidenten besonders angetan: Anneke van
       Woudenberg von „Human Rights Watch“, deren Recherchen zu FDLR-Verbrechen im
       Jahr 2009 eine wichtige Grundlage für die deutschen Ermittlungen waren. Sie
       sei „Zeugin vom Hörenhörensagen“, übernimmt Murwanashyaka eine Formulierung
       seiner Verteidigerin. „HRW hat nur Zeugenaussagen aufgenommen, ohne sie
       nachzuprüfen... Wie Amen in der Kirche soll man HRW Glauben schenken.“ Und
       insgesamt: „Es ist nicht bewiesen, dass es die Opfer gab; dass es
       Zivilisten waren; dass FOCA schoss“. FOCA ist der bewaffnete Arm der FDLR.
       
       ## Busurungi: Kein Befehl erwiesen
       
       Vor diesem Satz hat Murwanashyaka ausführlich den schwersten Anklagevorwurf
       behandelt: das Massaker von Busurungi, als FDLR-Soldaten in der Nacht zum
       10. Mai 2009 das Dorf niederbrannten und laut Anklage mindestens 96
       Zivilisten töteten. Für jemanden, der angeblich nicht in die militärischen
       Entscheidungsprozesse eingebunden war, weiß der FDLR-Präsident erstaunlich
       gut Bescheid darüber, was damals ablief.
       
       „Busurungi bestand aus neun Siedlungen“, erklärt Murwanashyaka und zählt
       sie alle auf. „Vier wurden angegriffen. Bewohner der anderen fünf können
       keine Augenzeugen sein.“ Die toten Zivilisten könnten auch kongolesische
       Mai-Mai-Milizionäre gewesen sein; dass Menschen in Häusern verbrannten, sei
       kein Beweis für ein vorsätzliches Niederbrennen eines bewohnten Hauses.
       
       Es sei nicht erwiesen, dass der Befehl zum Angriff auf Busurungi vom
       Oberkommando gekommen sei. ein solcher Befehl wäre nicht logisch gewesen:
       „Warum FOCA nicht den Befehl erteilt hat, Zivilisten ohne FARDC-Schutz
       anzugreifen, ist unverständlich. FOCA besaß schwere Waffen, die von weitem
       Busurungi zerstören können, ohne Kämpfe, FOCA hätte also von Weitem schwere
       Geschosse auf Busurungi werfen können. Schwere Waffen kamen als letzte
       Lösung in Betracht, obwohl sie einsatzbereit waren. Warum? Die Schonung des
       Lebens der FOCA-Soldaten war sicher nicht das Ziel des Verzichts: der
       Major, der den Busurungi-Einsatz leitete, ist gefallen.“
       
       ## „Wie passt das zusammen?“
       
       Der Vorwurf der Anklage lautet, die Angriffe auf Busurungi und die anderen
       im Frühsommer 2009 seien einem Befehl der FDLR-Führung gefolgt, im Ostkongo
       eine „humanitäre Katastrophe“ anzurichten, um Kongos Regierung zur
       Beendigung ihrer laufenden Offensiven gegen die Miliz zu zwingen. Das weist
       Murwanashyaka zurück und zeigt in seiner Antwort ebenfalls, wie gut er
       informiert ist über die damaligen Vorgänge:
       
       „Wenn es Ziel der FOCA gewesen wäre, eine humanitäre Katastrophe
       anzurichten, hätte sie überall wo sie ist, über 50 groupements, Zivilisten
       angegriffen. Die Vorwürfe betreffen nur 3 benachbarte groupements, nicht
       die anderen über 47. Mehr als 90 Prozent aller Vorwürfe betreffen diese 3
       groupements: Walualanga, Ufamandi, Mugugu. Da war die Reservebrigade und
       die PM (Militärpolizei). Sämtliche Angriffe sollen durch sie durchgeführt
       worden sein, andere Einheiten nicht. Wie passt das mit dem Befehl einer
       humanitären Katastrophe zusammen?“
       
       ## Wie der Widerstand gegen Hitler
       
       Am Ende wird Murwanashyaka wieder grundsätzlicher. Er kritisiert ein
       vermeintlich unfaires Verfahren. Die Bundesanwaltschaft sei „Sprachkanal
       des politischen Gegners, der heutigen ruandischen Militärdiktatur“. Die
       FDLR sei eine politische Opposition, vergleichbar mit Stauffenberg und
       Bonhoeffer und die Weiße Rose in der Nazizeit in Deutschland - „sind es
       nicht Leute, die als Terroristen zum Tode verurteilt wurden?“
       
       Besonders empört wirkt der FDLR-Präsident darüber, dass die
       Bundesanwaltschaft ihm in ihrem Plädoyer vorwarf, er würde sich „wie Moses“
       darstellen, aber sein religiöser Glauben sei nur „Fassade“. „Die
       Behauptung, der Angeklagte würde sich als ein Moses darstellen, wird
       zutiefst zurückgewiesen“, erklärt er . „Ein kleines Gänseblümchen kann doch
       nicht den Anspruch erheben, Auge in Auge mit einer großen Lilie zu sein.“
       
       ## „Mit Gottes Hilfe und ohne Whisky“
       
       Er erinnert daran, dass er bei seinem Besuch bei der Truppe 2005 noch mit
       FOCA-Oberkommandant Sylvestre Mudacumura bis in die Nacht hinein Whisky
       trank, im Jahr darauf aber stattdessen lieber betete. Er zitiert die von
       einem Zeugen vorgebrachte Aussage Mudacumuras dazu: ‚Wenn der Hund kein
       Fleisch mehr essen will, ist sein Ende nah‘ - und schließt: „Aber zehn
       Jahre später lebt der Angeklagte noch, mit Gottes Hilfe und ohne Whisky.“
       
       Und am Ende vergleicht er den Vorsitzenden Richter des 5. Strafsenats,
       Jürgen Hettich, mit Pontius Pilates, der Jesus dem Volk zum Kreuzigen
       auslieferte, obwohl er keinen Grund sah, ihn zu verurteilen. Den Vergleich
       zwischen sich selbst und Jesus erspart er sich. Er sagt nur, er werde im
       Falle einer Verurteilung den Saal „gelassen verlassen, in der Zuversicht,
       dass er zwar eine Schlacht, nicht aber den Krieg verloren hat.“
       
       Am Ende dann noch einmal Psalm 103: „Lobe den Herrn, meine Seele, und
       vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“
       
       Am Montag, den 28. September, fällt das Urteil.
       
       24 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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