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       # taz.de -- Flüchtlinge in Frankfurt: Ohne Freiwillige geht gar nichts
       
       > Die Organisation „Welcome Frankfurt“ kümmert sich um Flüchtlinge. Ihre
       > Mitglieder sehen sich als Helfer – und als politische Aktivisten.
       
   IMG Bild: Kein Fotoshooting, sondern die sogenannte „Erkennungsdienstliche Behandlung“ eines 16-jährigen Afghanen am Frankfurter Hauptbahnhof.
       
       Frankfurt taz | Es ist Mittwochabend. Annette Ludwig von der
       Flüchtlingsinitiative „Welcome Frankfurt“ sitzt mit AktivistInnen am
       Tischkreis des DGB in Frankfurt. Junge Frauen in Strickpullis, ältere
       Männer im roten Pullunder, ein Student mit MacBook, die Notizblöcke vor
       sich aufgeschlagen. Der Koordinationsrat der Initiative tagt. Wöchentlich,
       teilweise öfter seit Gründung Anfang September.
       
       Im August, als Ludwig hört, dass in Frankfurt Flüchtlinge in einer
       Sporthalle untergebracht werden, ist sie empört: „In so einer reichen Stadt
       mit so viel Leerstand.“ Politisch nicht hinnehmbar sei das für sie und
       Welcome Frankfurt.
       
       Noch bevor Welcome Frankfurt offiziell gegründet wird, ruft sie mit anderen
       zum „Umsonstflohmarkt“ und zur Begegnung mit Geflüchteten auf. Mit Erfolg.
       Etwa 150 Menschen kommen zu der Aktion an der Sporthalle.
       
       Hallen als Unterkünfte sind heute Alltag in Frankfurt. Insgesamt sechs
       Standorte gibt es. Dort schlafen 850 Menschen, Pritsche an Pritsche, in
       Massenunterkünften. Wann diese aufgelöst werden, ist nicht absehbar. Obwohl
       Initiativen wie Welcome Frankfurt fordern, Büroräume umzufunktionieren. Die
       Stadt sagt, das gehe oft nicht. Meist seien die Kosten für den Umbau zu
       hoch.
       
       ## „Es ist gut hier“
       
       Im Norden der Stadt, im Dornbusch, befindet sich eine der Hallen. Draußen
       sitzt eine Gruppe minderjähriger Flüchtlinge. Ein Junge im Trainingsanzug
       grinst. Englisch spricht er nicht. „Libya“ kann er sagen. Alaa, ein
       16-jähiger Syrer, sagt: „Es ist gut hier.“ Aber ihm sei langweilig. Er kann
       gut Englisch und übersetzt für die anderen geflüchteten Jungen und Männer,
       die Arabisch sprechen. Professionelle Dolmetscher sind an dem Tag nicht da.
       
       Auch die Angestellten eines Wachdienstes, von denen einige einen
       Migrationshintergrund und die oft übersetzt haben, sagen sie dürften das
       nicht mehr. Das habe Ärger gegeben, weil Klagen der Flüchtlinge über die
       Feldbetten und das Essen an die Öffentlichkeit gedrungen seien.
       
       Eigentlich hatte das Deutsche Rote Kreuz (DRK), das auch Träger dieser
       Einrichtung ist, gefordert, dass jedem Menschen mindestens neun
       Quadratmeter zustehen. In der Halle im Dornbusch gibt es einen Schlafraum
       für 140 Menschen. „Viel mehr ist zurzeit nicht möglich, leider“, sagt
       Thomas Wolff, Sprecher des DRK Hessens. Er ist nicht sehr optimistisch,
       dass sich bald etwas ändere. Vergangene Woche habe man Feldbetten aus
       Kanada geliefert bekommen. Die seien in Deutschland ausgegangen.
       
       Im Rosa-Luxemburg-Raum des DGB hat gerade die Sitzung von Welcome Frankfurt
       begonnen. „Wir müssen einen Flyer machen mit Informationen, wie das
       Asylverfahren abläuft und was die Menschen zu beachten haben“, sagt die
       Vertreterin der AG Recht. Wie viele andere Mitstreiter bei Welcome ist auch
       sie noch in einer anderen Initiative aktiv, bei Pro Asyl.
       
       ## Schuhe vom Betreuer abgenommen
       
       Die AktivistInnen tauschen sich über ihre Erlebnisse aus. „Ich werde immer
       wieder gefragt, wie lange die Menschen hier sein werden, wie der aktuelle
       Stand sei und wie lange die Registrierung dauere“, sagt einer. „Mir hat ein
       Flüchtling erzählt, dass ihm die neuen Schuhe von einem Betreuer abgenommen
       worden seien, weil sonst Neid entstehe. Wie kann das sein?“, fragt eine
       Aktivistin aus der AG Dolmetscher. Und überhaupt: Überall fehlten
       Dolmetscher.
       
       Es gibt so viele Fragen der Engagierten, die sich nach ihrer Tätigkeit als
       Sozialpädagoge, kaufmännische Angestellte oder Student zusammensetzen. Die
       versuchen aufzufangen, was woanders nicht geleistet wird.
       
       Ehrenamtliches Engagement ist in Hessen wichtig. Ministerpräsident Volker
       Bouffier (CDU) lobte in seiner Regierungserklärung, wie fast alle seine
       Amtskollegen, die ehrenamtlichen Helfer. „Ohne sie würden wir das gar nicht
       packen“, sagt auch Thomas Wolff vom DRK Hessen. Wer ehrenamtlich
       Deutschunterricht geben will, den verweist die Stadt an Teachers on the
       Road, eine freiwillige Organisation. „Die haben das beste Know-how“, sagt
       Manuela Skotnik vom Sozialdezernat in Frankfurt.
       
       Aber zumindest Ludwig von Welcome Frankfurt will nicht „Ehrenamtlerin“
       sein. Primär sei sie eine politische Aktivistin. „Wir können den Staat
       nicht aus der öffentlichen Daseinsvorsorge entlassen. Es geht nicht, dass
       hoheitliche Aufgaben auf EhrenamtlerInnen übertragen werden”, sagt sie.
       
       ## Jeans und Wasser
       
       Während der Sitzung von Welcome Frankfurt müssen einige früher los, andere
       kommen später. Das ist für diese Art Arbeit nichts Ungewöhnliches. Manche
       melden sich erst für Aufgaben und tauchen doch nie mehr auf. Andere kommen
       aus dem Nichts und springen ein.
       
       Auch nicht alle Hauptamtlichen sind immer glücklich mit der Arbeit der
       Freiwilligen. Gerade wenn diese spontan mit zwei paar Jeans oder Wasser
       vorbeikommen. „Das gibt schlimmstenfalls Streit, wer die Sachen haben
       kann“, sagt Pilar Madariaga, die für die AWO Flüchtlingsunterkünfte managt.
       Es sei besser, vorher zu fragen, was wo gebraucht würde.
       
       Am Ende der Sitzung sieht Annette Ludwig müde aus. Fast drei Stunden lang
       hat man beraten und ausgetauscht. „Können wir morgen telefonieren?“, fragt
       sie. Schon am nächsten Tag sieht man sie wieder bei einer Demo.
       
       Seit Freitag vergangener Woche haben die Hauptamtlichen des Frankfurter
       Vereins für soziale Heimstätten den Empfang der neu ankommenden Flüchtlinge
       am Bahnhof übernommen.
       
       Am selben Tag kündigt Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) die
       Einrichtung einer eigene Stabsstelle mit bis zu 25 Mitarbeitern an. Ab dem
       1. November organisieren sie Ankunft, Unterbringung und Integration der
       ankommenden Menschen. Die Stadt beginnt zu handeln.
       
       17 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Leimbach
       
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