URI: 
       # taz.de -- Protestkultur bei Pegida: Ein einziges Mittelalterfest
       
       > Ein Galgen bei Pegida in Dresden, eine Guillotine bei der Anti-TTIP-Demo
       > in Berlin – ist das die Rückbesinnung auf traditionelle deutsche Werte?
       
   IMG Bild: Zur Rechtschreibung sagen wir diesmal nichts
       
       Montagabend in Dresden. Einmal mehr haben sich Tausende aufrechte und
       besorgte Bösmenschen versammelt, um ihr sächsisches Sodom fremdenfrei zu
       halten und den Reden eines unterbelichteten Kleinkriminellen zuzujubeln.
       Das übliche Bild, doch diesmal wird die fröhliche Reminiszenz an die 30er
       Jahre noch ergänzt durch einen hölzernen Galgen, der aus der Menge ragt:
       „Reserviert Siegmar ‚das Pack‘ Gabriel“ und „Reserviert Angela ‚Mutti‘
       Merkel“ steht auf zwei Schildern, die am Galgen hängen.
       
       Zur Rechtschreibung sagen wir diesmal nichts. Das ist uns zu billig. Denn
       wo es genügend Argumente gibt, ist es kontraproduktiv, auf Eigenschaften
       hinzuweisen, für die die Menschen oft nichts können: mangelnde Bildung.
       Dummheit. Hässlichkeit. All diese Dinge. Damit begeben wir uns doch nur auf
       die unsachliche Ebene des Gegners herab.
       
       Der, das muss der faire Sportsmann zugeben, schließlich ja auch vieles
       richtig gemacht hat: Obwohl ein irre langes Wort mit ganz vielen
       verschiedenen Buchstaben, ist „Deutschland“ völlig korrekt geschrieben. Das
       steht nämlich hinten auf dem Galgen drauf und lässt Raum für Spekulationen:
       Heißt der Galgen „Deutschland“? Ist der Galgen Deutschland, an dem Merkel
       und Gabriel symbolisch aufgehängt werden sollen? Vertritt der Galgen
       Deutschland, so wie die Pegida-Anhänger glauben, Deutschland zu vertreten?
       Oder handelt es sich um das Markenzeichen „Made in Germany“, das den
       deutschen Galgen anpreist wie den deutschen Volkswagen?
       
       Apropos Volkswagen. Archaische oder bedrohlich wirkende Requisiten sieht
       man ja bei öffentlichen Umzügen immer öfter. Attrappen von
       Sprengstoffgürteln beim Karneval. Riesige, aufgeblasene Schwänze beim CSD.
       Galgen auf dem wöchentlichen Rosenmontagszug der Dresdner Narren. Und auf
       der TTIP-Demonstration am Wochenende wurde eine Guillotine präsentiert mit
       der Aufschrift „PASS blos auf SIGMAR!“ (Auch hier wieder kein unredliches
       Wort zur Rechtschreibung!). Auf das Rad, den Scheiterhaufen, die Steinigung
       warten wir noch. Das Leben ist ein einziges Mittelalterfest und eine
       Rückbesinnung auf traditionelle deutsche Werte nicht auf ein oder zwei
       Jahrtausende beschränkt.
       
       Noch unklar ist die strafrechtliche Relevanz der Sache. Entscheidend könnte
       hierbei sein, ob es sich um eine „Galgen-Attrappe“ ([1][Zeit Online])
       handelt oder um einen echten, funktionsfähigen Galgen, der somit eine
       potenzielle Bedrohung für die Delinquenten darstellen könnte.
       
       Die Gefahr wäre auch deshalb nicht zu unterschätzen, da moderne
       Sicherheitsbeamte zwar für Pistolen- oder Messerattentate geschult sind,
       doch fälschlich überkommen geglaubte Bedrohungsszenarien in der Ausbildung
       vernachlässigt werden: die Befreiung von Schutzbefohlenen aus einem
       Lynchmob heraus und von der Richtstatt herunter; das Durchschießen des
       Stricks à la Robin Hood, an dem bereits die Kanzlerin baumelt; das
       Entflechten aus dem Rad; das Entschärfen der Guillotine; der Schutz vor
       brennendem Pech, das von den Zinnen einer Dresdner Sehenswürdigkeit auf die
       Köpfe der Angreifer wider die sächsische Tugend und Wachsamkeit gekippt
       wird. Das alles hat man verlernt, wie auch die Abwehr böser Hexensprüche.
       
       Der Galgen sieht stabil aus. Wie bei Ikea gekaufte und zusammengeschraubte
       Massenware. Nachfrage und Moral sind nun mal nicht die besten Freunde. Was
       Heckler & Koch recht ist, scheint dem schwedischen Möbelmacher billig, und
       wer das Kellerregal „Billy“ für voll funktionstüchtig erklärt, muss dies
       folgerichtig auch mit dem Politikergalgen „Stranglen“ aus der Abteilung
       „Aufbewahrung“ tun. Folgt die Dresdner Staatsanwaltschaft dieser Logik,
       könnte sie Anklage gegen den verantwortlichen Pegida-Anhänger erheben. Doch
       am Ende fällt wohl wieder nur der unbürokratische Beschluss, dass der Tropf
       mit seiner eigenen Blödheit schon genug bestraft ist.
       
       13 Oct 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-10/dresden-pegida-galgen-attrappe-demonstration
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Hannemann
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt TTIP
   DIR Nationalismus
   DIR Schwerpunkt Pegida
   DIR Dresden
   DIR Zivilgesellschaft
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Pegida
   DIR Fremdenfeindlichkeit
   DIR Morddrohungen
   DIR Niedersachsen
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Pegida
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Flucht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Forschungsobjekt Protestkultur: Zivile Gesellschaft im Fokus
       
       Am Berliner WZB entsteht ein neues Forschungszentrum, das die neuen
       Protestbewegungen untersuchen und analysieren soll.
       
   DIR Ermittlungen gegen Tatjana Festerling: Verleumdung und Volksverhetzung
       
       Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling nennt Flüchtlinge „angreifende Horden“
       und „Invasoren“. Nun ist sie ein Fall für die Staatsanwaltschaft.
       
   DIR Ein Jahr Pegida in Dresden: Mahnung zur Gewaltfreiheit
       
       Pegida will sich am Montag feiern. De Maizière nennt die
       Pegida-Organisatoren „harte Rechtsextremisten“ und spricht sich gegen einen
       Grenzzaun aus.
       
   DIR Pegidas Galgen-Träger verteidigt sich: Alles nur „Satire“
       
       Tagelang ist der Galgen-Träger bei einer Pegida-Demonstration ein Phantom.
       Nun bekennt sich ein Mann aus dem Erzgebirge als Urheber.
       
   DIR Pegida und Anti-Pegida: Dresdner Interventionen
       
       Hier nahm Pegida ihren Anfang. Warum tun sich die Dresdner so schwer, ihr
       etwas entgegenzusetzen? Erkundungen in der linken Szene.
       
   DIR Ermittlungen wegen Pegida-Galgen: Morddrohungen gegen Staatsanwalt
       
       Ein Dresdener Staatsanwalt hat Morddrohungen erhalten. Er ermittelt wegen
       des Galgens für Merkel und Gabriel auf der Pegida-Demonstration von Montag.
       
   DIR Ausschluss abgelehnt: Pegida-Mann bleibt im Elternrat
       
       Die GEW bittet den niedersächsischen Landeselternrat, ein Mitglied wegen
       rassistischer Äußerungen auszuschließen – bislang vergeblich.
       
   DIR Pegida in Dresden: Galgen für Merkel und Gabriel
       
       Fast 10.000 demonstrieren bei Pegida. Lutz Bachmann wirft der Kanzlerin
       vor, Europa in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Frontfrau Festerling
       propagiert den „Säxit“.
       
   DIR Pegida-Protest in den Niederlanden: Polizei schreitet in Utrecht ein
       
       Pegida-Anhänger in Utrecht gehen auf einer Demo am Sonntag die
       Gegendemonstranten an und zünden eine Rauchbombe. Zehn Menschen werden
       festgenommen.
       
   DIR Die Angst vor Rechts: Das hässliche Land
       
       Ja, in kaum einem Land wurden Geflüchtete so herzlich empfangen wie hier.
       Aber es ist noch da, das rassistische Deutschland. Immer noch.
       
   DIR Geplante Flüchtlingsunterkunft in Meißen: Brandstifter im bürgerlichen Ambiente
       
       In Meißen herrscht nach dem Anschlag eine gespaltene Stimmung. Wer an der
       Tat beteiligt war, ist noch unklar. Das Haus soll schnell saniert werden.