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       # taz.de -- Die Wahrheit: Geschichte lernen mit Gunter Gabriel
       
       > In der Weltstadt Barsinghausen bei Hannover tritt der große Barde der
       > Country-Musik auf und verkündet seine sehr eigene Sicht der
       > Weltereignisse.
       
   IMG Bild: Gunter Gabriel zeigt seine Lieblingsgeste. Das Foto wurde 2013 in Berlin aufgenommen
       
       Ist es so, dass der Zweck die Mittel heiligt oder doch eher der Zwerg die
       Kittel reinigt? Muss man sich für eine gute Sache alles gefallen lassen,
       sogar Gunter Gabriel? Anscheinend ja. Sonst wäre es nicht zu erklären, dass
       ich im Konzert „Rock for Refugees“ in der Weltstadt Barsinghausen bei
       Hannover in der ersten Reihe stehe und begeistert mit dem Fuß wippe,
       während Gunter „The Voice“ Gabriel für den guten Zweck Johnny Cashs „Ring
       of Fire“ ins Mikrofon röhrt.
       
       Der Mann hat immer noch Stimme, sieht aber aus wie etwas, dass man im
       Fundus der „Muppet-Show“ vergessen und dann rasch entstaubt und wieder
       aufgebügelt hat. Na ja, er ist schließlich nicht mehr der Jüngste. „Dass
       ich mit 75 hier noch stehe, ist doch toll!“, ruft er begeistert. Nach
       Aktenlage ist er übrigens erst 73. Wir im Publikum sind trotzdem bereit,
       das ganz toll zu finden.
       
       Dann erzählt er von seinen jungen Jahren, von Auftritten mit Rex Gildo, Roy
       Black und Drafi Deutscher: „Und die sind alle längst tot, und ich stehe
       hier!“ Wohlwollender Applaus brandet auf, fürs nackte Überleben. Die
       Musiker der Band dagegen schauen betroffen drein. Werden sie die nächsten
       sein, die Gunter ins Grab singt?
       
       Er bemüht sich um ein paar Worte zum Anlass, Krieg, ja, er sei ein
       Kriegskind. Krieg sei Scheiße, der Hitler damals, der habe 60 Millionen
       Leute auf dem Gewissen, aber der sei es ja nicht allein gewesen. Der
       Geschichtslehrer neben mir und ich nicken müde zustimmend, das kann man
       wohl so sagen.
       
       Doch Gunter verblüfft uns: „Die Briten, die Amerikaner, die Franzosen – die
       haben alle Schuld daran.“ Nähere Erläuterung? „Ist genau wie mit dem
       Winterkorn bei VW. Auf dem hacken jetzt auch alle rum. Dabei war der das
       gar nicht.“ Aha. Der Geschichtslehrer und ich einigen uns darauf, dass man
       heutzutage ungestraft jeden Quark behaupten kann; Hauptsache, die
       Amerikaner sind irgendwie schuld.
       
       „Und jetzt kommt ein Lied für die wichtigsten Männer in unserem Land, ohne
       die nichts laufen würde.“ VW-Arbeiter? Profi-Fußballer? Martin Winterkorn
       und Adolf Hitler? Nein, die Trucker natürlich. Die Trucker und Albert
       Schweitzer, den er verehrt, und die Liebe sei das Wichtigste, aber
       unerträglich. Ja, sehe ich auch so. Wie? Ach so, ohne Liebe sei das Leben
       unerträglich. Na dann. „Ich habe Respekt vor jedem Leben.“ Ein
       Zwischenrufer aus dem Publikum krakeelt irgendwas. „Halt’s Maul, du
       Arschloch! Ich habe Respekt vor jedem Leben“, kontert Gunter. Übrigens habe
       er die Gabe, Unglück in Glück zu verwandeln. Fragt sich nur, für wen.
       
       Johnny Cash, schwafelt der Künstler weiter, habe ihn auf dem Totenbett
       beauftragt, seine Songs ins Deutsche zu übertragen. Den hat er also auch
       auf dem Gewissen. Jetzt singt er was vom „Ring aus Feuer“, das sich dann
       auf „Abenteuer“ reimt. Ich denke an meine Dorfjungs, die das Lied vor
       Jahren schon eingedeutscht haben. Auf niedersächsisch lautet der Refrain
       „Voll in die Eier“, was ich bisher immer doof fand. Aber plötzlich gefällt
       er mir.
       
       13 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Fischer
       
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