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       # taz.de -- Rechtsextreme beim Verfassungsschutz: Aufklärer widmen sich V-Mann
       
       > Nach der Enthüllung eines weiteren Spitzels mit NSU-Verbindung wollen
       > sich Parlamentarier das Helfer-Netzwerk genauer anschauen.
       
   IMG Bild: Auf der Suche nach der Wahrheit: der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses in Baden-Württemberg
       
       Berlin taz | Am Freitag wurde Roland Sokol beerdigt, am Sonntag als V-Mann
       des Verfassungsschutzes enttarnt – jetzt wird der Karlsruher Neonazi auch
       Thema in den NSU-Untersuchungsausschüssen in Baden-Württemberg und im Bund.
       
       Roland Sokol werde in der Aufklärung „eine Rolle spielen“, sagte Wolfgang
       Drexler (SPD), Vorsitzender des Ausschusses in Stuttgart, am Montag der
       taz. Ein Schwerpunkt des Untersuchungsauftrags sei es, die „vielfältigen
       möglichen Beziehungen des NSU nach Baden-Württemberg aufzudecken“. Dazu
       gehörten neben Sokol eine Reihe weiterer Namen. Vorerst, so Drexler, werde
       sich der Ausschuss aber weiter der Aufklärung des NSU-Mordes an der
       Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn 2007 widmen.
       
       Am Sonntag hatten die taz und die Antifa Freiburg enthüllt, dass Sokol seit
       mindestens 2009 dem Verfassungsschutz Informationen aus der rechten Szene
       lieferte. Der 43-Jährige gehörte zu den gewaltbereiten Hammerskins und dem
       „Blood & Honour“-Netzwerk und war bestens in der Szene vernetzt. Er
       verstarb im September an Krebs.
       
       Das Brisante: Als der NSU 2011 aufflog, bekam Sokols Onlinehandel, der
       Patria-Versand, als bisher einzig bekannter rechtsextremer Empfänger die
       Bekenner-DVD der Terrorgruppe. Sokol hatte die Übernahme des Versands erst
       wenige Tage vor Eingang der DVD eingefädelt.
       
       Auch im Bundestag, wo im November ein zweiter Untersuchungsausschuss zu den
       NSU-Verbrechen startet, will man sich nun Sokol widmen. „Das wird ganz
       gewiss Thema werden“, sagte Petra Pau, designierte Obfrau der
       Linksfraktion. Dies gelte auch für die Hammerskins, die zum Netzwerk der
       NSU-Helfer gehörten. „Es stellt sich wieder die Frage, ob die Behörden
       nicht mehr über das Treiben des NSU wussten“, so Pau. Der
       Bundestagsausschuss will die Kontakte des NSU zur organisierten
       Kriminalität beleuchten – in die viele Hammerskins verstrickt sind.
       Hinterfragt werden soll auch nochmal die Rolle der Sicherheitsbehörden und
       der V-Leute.
       
       ## Beate Zschäpe schweigt
       
       Der Verfassungsschutz Baden-Württemberg äußerte sich auch am Montag nicht
       zu Roland Sokol. Das Bundesamt bekundete nur, man äußere sich nicht zu
       „Einzelheiten der operativen Arbeit“.
       
       Somit bleibt offen, warum der NSU 2011 ausgerechnet den Patria-Versand
       anschrieb. Der bayerische Neonazi Franz G., der das Geschäft damals gerade
       an Sokol übergab, sagte der taz am Montag, die zeitliche Nähe sei
       „vermutlich Zufall“. Sokol sei ihm vorher nicht bekannt gewesen. Er selbst
       habe vom NSU bis zu dessen öffentlichem Bekanntwerden nie etwas gehört.
       
       Allerdings gab es bereits im Oktober 2010 – mehr als ein Jahr vor
       Aufdeckung des NSU – eine Durchsuchung von G.s Versand. Die Polizei fand
       dabei zwei CDs der Neonazi-Band „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“.
       Darauf ein Song: „Dönerkiller“. „Neun Mal hat er es jetzt schon getan, die
       SoKo Bosporus, sie schlägt Alarm“, heißt es in dem Lied – zu einem
       Zeitpunkt, als die Öffentlichkeit noch nichts vom NSU-Trio wusste. Die
       rechte Szene aber schon? Und Franz G. selbst unterhielt laut
       Sicherheitsbehörden Kontakte zum Produzenten der CD: einem Chemnitzer, der
       wiederum mit dem als NSU-Waffenbeschaffer angeklagten Ralf Wohlleben
       bekannt ist. Das sächsische Chemnitz war 1998 der erste Untertauch-Ort des
       NSU.
       
       Hier lebte das Trio zwei Jahre, überfiel acht Geschäfte und erhielt die
       Waffe für ihre neun Morde an Migranten, eine Ceska Zbrojovka 83. Franz G.
       bleibt dabei: Der NSU sei ihm „kein Begriff“ gewesen. Auch der Chemnitzer
       Musikproduzent sei „nur ein Geschäftskollege gewesen, sonst nichts“. Die CD
       mit dem „Dönerkiller“-Song habe er nie gehört. Auch vermutet G., dass sein
       Versand nur als einer von vielen in der rechten Szene die DVD empfing. „Ich
       war nur der einzige, der sie zur Polizei brachte.“ Was davon
       Schutzbehauptung ist, bleibt unklar. Die Sicherheitsbehörden jedenfalls
       kennen keinen weiteren Szene-Adressaten. Sicher weiß das jedoch nur eine:
       Beate Zschäpe. Die aber schweigt seit ihrer Verhaftung 2011.
       
       5 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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