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       # taz.de -- Fremdenfeindlichkeit beim Gassigehen: Deutsche Seele auf Hunderunde
       
       > Zwischen Wiese, Wald und Landesaufnahmebehörde für Asylbewerber ist von
       > Willkommenskultur wenig zu spüren.
       
   IMG Bild: Hunde kennen keinen Rassismus. Ihre HalterInnen dagegen schon
       
       Das Kapitel „Spaziergang“ fehlt bei Thea Dorn/Richard Wagners Bestseller
       „Deutscher Seele“ – dieser Suche nach Begriffen „in denen uns das Deutsche
       am deutlichsten aufzublitzen scheint“, wie im Vorwort erklärt wird.
       
       Kein „Spaziergang“ also, dafür aber „Wanderlust“. Die Erbauung der Seele
       mit Wanderstock und Hund vorweg. Aber wer wandert noch? Zeitgemäßer wäre
       heute die „Hunderunde“, diese Mischung aus kleiner und großer
       Geschäftsreise und Bewegungstherapie fürs Tier. Dauer: zwischen einer
       halben und zwei Stunden.
       
       Bereits die Herkunft vieler Hunderassen erzählt etwas über die besondere
       Beziehung der Deutschen zu ihren Hunden: Spitz, Rottweiler, Dackel,
       Deutscher Schäferhund, Deutsche Dogge – vom reinen Arbeits- zum Haus-,
       sogar zum Schoßhund.
       
       Nun ist der Autor hier selbst Halter einer weißen Schäferhündin namens
       „Erna“ – also ein Hunderunde-Geher. Ernas Heimatrevier ist einer der
       Außenbezirke einer norddeutschen Großstadt von 250.000 Einwohnern. Eine
       kleinere Vorstadtsiedlung aus vornehmlich kleinen Häuschen, 1936 gebaut für
       die neuen Volkswagen-Werker. Die Hundewiesen liegen nicht weit entfernt,
       ein kleiner Fluss schlängelt sich querbeet und auch die lichten Wälder
       werden in die Hunderunden regelmäßig mit einbezogen. Inmitten der Wälder
       befindet sich die Landesaufnahmebehörde für Asylbewerber.
       
       Aber so weit gehen die Hundebesitzer nicht. Ausgelegt sind die Unterkünfte
       für einige hundert Suchende. Aktuell allerdings belegt mit über zweitausend
       Menschen vornehmlich aus Afrika, den Balkanstaaten und Syrien. Wenn die
       Vorstädter abfällig von „die Karawane“ sprechen, meinen sie damit den nicht
       enden wollenden Strom von Menschen, die zwischen Edeka, Aldi, Penny und
       ihrer Waldunterkunft hin und her pendeln. Viele Gruppen junger Männer, aber
       auch Familien mit Kinderwagen, beladen mit Einkaufstüten. Die Märkte haben
       Securitykräfte eingestellt, die in schusssicheren Westen im Kassenbereich
       wachen. Einmal wöchentlich kommt zusätzlich der Infobus der Polizei ins
       Problemviertel. Die Karawane der Hundebesitzer ist dagegen endlich.
       
       ## Vorurteile haben Hochkonjunktur
       
       Stoßzeiten sind vormittags zwischen 9 und 11 und Nachmittag von 15 bis 17
       Uhr. Asylbewerber haben keine Hunde. Sie gehen auch nicht einfach nur so
       zwischen Wiese und Wald spazieren. Die Natur bleibt also den Hundehaltern.
       Mal von ein paar Joggern abgesehen. Terry ist ein älterer Golden Retriever.
       Die Rasse gilt gemeinhin als kinderfreundlich. Vom Herrchen wird er, seiner
       ursprünglichen Herkunft geschuldet, nur auf Englisch angesprochen. Terry
       ist ein guter Schwimmer. Unangenehm wird bisweilen seine Distanzlosigkeit.
       Regelmäßig versetzt er Erna schon deshalb in Alarmbereitschaft, weil er
       einfach immer zu nahe herankommt. Das Gleiche gilt für Herrchen, der beim
       zufälligen Aufeinandertreffen schon mal die Laufrichtung wechselt, nur um
       seine Hunderunde in Gesellschaft weiter zu drehen.
       
       Herrchen macht immer in hundefreundlichen Pensionen an der See Urlaub. Mit
       Vollpension für beide! Dieses Jahr allerdings nicht, erklärt er mit
       aufflammendem Feuer im Blick, während Erna wieder verzweifelt Terrys
       Annährungsversuchen zu entgehen versucht. „1.300 Euro!“ Aber jetzt sei „das
       Haus sicher“.
       
       Nachgefragt stellt sich heraus, dass die beiden direkt an der
       Karawanenroute wohnen und sich am Polizeiinfowagen nützliche Tipps geholt
       haben, wie man Fenster, Terrasse und Haustür gegen Einsteiger absichert.
       Die Sache sei zwar teuer gewesen, aber ihm würde jetzt nicht mehr
       passieren, was dem Nachbarn passierte, der plötzlich um Mitternacht drei
       Georgiern in seinem Wohnzimmer gegenüberstand. Er verstände auch diese
       Gutmenschen nicht, die neuerdings jede Menge entbehrliches Wohlstandszeugs
       an die Unterkunft verschenken würden. Das wäre doch noch ein zusätzliches
       und „idiotisches Aufmerksammachen“ auf den persönlichen Wohlstand: Seiner
       sei aber dank Urlaubsverzicht und Sicherheitsaufrüstung nun unerreichbar.
       „Da müssten die schon mit einer Panzerfaust“ kommen!“, lacht er, während
       Terry gerade in den nahen Fluss springt, weil das nun mal in seiner Natur
       liegt und Erna also eine Verschnaufpause gönnt.
       
       „Come here, Terry! Cooooome hierrr!“ Oana ist eine Überlebende. Eine sehr
       schlanke, ängstliche Promenadenmischlingshündin, von einer deutschen
       Hilfsorganisation gerade noch eben einer rumänischen Hundetötungsstation
       entrissen und hierher weitervermittelt. „Erbärmliche Verhältnisse!“,
       erklärt Frauchen in ehrlicher Entrüstung. „Da kann man sich doch gar nicht
       mehr beruhigen! Was sind denn das für Menschen, die so mit Tieren umgehen?
       So schlecht kann es einem doch gar nicht gehen. Das muss im Menschen selbst
       verankert sein!“, stellt sie unumwunden fest.
       
       Womit man dann beim Thema angekommen ist: Ihr Mann hat sie vor ein paar
       Wochen „aus der Arbeit geholt“. Die Sache war nicht mehr zuzumuten. Als
       Reinigungskraft in der Landesaufnahmebehörde hätte sie Dinge gesehen, die
       man nicht erzählen kann. Als Erna auf Tuchfühlung geht, zwängt sich Oana
       ganz dicht an Frauchens Bein und klemmt ihren dünnen Schwanz zwischen die
       Hinterpfoten. Erna sucht jetzt doch lieber ein Stöckchen, Frauchen
       tätschelt den struppigen Kopf der ängstlichen Rumänin und erzählt weiter in
       wachsender Empörung: „Man kann sich das nicht vorstellen! Jedes Wochenende
       Massenbesäufnisse. Die kotzen überallhin, spucken und rotzen, wo sie gehen
       und stehen. Die machen sogar ungeniert in die Duschen, wenn die Toiletten
       besetzt sind.“ Oana hat einen hartnäckigen Durchfall aus Rumänien
       mitgebracht. Der Tierarzt weiß sich auch keinen Rat mehr. Und dann kommt
       „Bastard“ ums Eck gehechelt.
       
       Frauchen ruft mal wieder umsonst hinterher. Denn wenn Bastard Erna sieht,
       sind beide ganz aus dem Häuschen. Der schwarze Rüde ist eine französische
       Bulldogge. „Bastard“ hatte vor nicht allzu langer Zeit „Tausende Euro“
       Operationskosten verschlungen. Geschwüre – „Gott sei Dank gutartig!“ – nun
       sind die Narben verheilt und längst wieder fellüberwuchert und das kleine
       Muskelpaket tobt um Erna herum wie eh und je. Aber Leckerli gibt es
       bisweilen keine unterwegs. Der Reinrassige mit dem unpassenden Namen ist
       noch auf Diät. Und während die beiden durchs Gelände stromern, ist Zeit für
       eine Zigarettenpause.
       
       Zeit für die Feststellung, dass die Politik sich keinen Gefallen tun würde.
       Die nächsten Wahlen würden schon zeigen, was davon zu halten sei. Und
       überhaupt, diese Eltern wären doch unverantwortlich, die armen Kinder durch
       halb Europa zu schleifen oder in Schlauchbooten übers Mittelmeer zu
       schicken, nur weil man nun der irrigen Hoffnung nachhängen würde, seinen
       Teil vom europäischen Wohlstandstopf abgreifen zu können, während die
       Deutschen in unentgeltlicher Wochenendarbeit ihre Schulen streichen
       müssten, weil kein Geld mehr für die eigene Bevölkerung über sei. Dann
       lenkt ein spitzes Fiepen ab: Bastard hat sich bei einer allzu wilden
       Verfolgungsjagd überschlagen und zieht nun jammernd eine Pfote hinterher.
       „Ach der markiert nur“, erkennt Frauchen lachend. „So glaubt er doch noch
       an sein Leckerli heranzukommen.“, spricht’s und teilt für Bastard und Erna
       inkonsequent eine Hundekaustange vom Penny-Markt.
       
       ## Offen ablehnend
       
       Aber wie erklärt sich nun diese Offenheit in Sachen Einwanderungsablehnung?
       Tatsächlich verlaufen diese Hunderundengeständnisse in eine ganz andere
       Richtung, als es die Nachrichten in diesen Tagen von einer deutschen
       Haltung erzählen. Zwischen Wiese und Wald ist wenig zu spüren von einer
       deutschen Willkommenskultur. Nur eine besondere Form der Unverstelltheit
       unter Hundehaltern in der freien Natur? Hier, wo man sich noch unter
       seinesgleichen wähnt? Denn auf so einer Hunderunde gibt es zunächst einmal
       ein einvernehmliches Thema: die Hunde.
       
       Ein großer Konsens. Die Psychologie weiß, dass auf ein bestimmtes Thema
       konditionierte Menschen freier erzählen. Sind also Hunderunden ein Spiegel
       deutscher Befindlichkeiten? Müsste man zukünftig alleine spazieren, wenn
       man sich als Anhänger einer Willkommenskultur outen würde?
       Fremdenfeindlicher Gruppenzwang? Die örtlichen Hundefreunde freuen sich
       jedenfalls schon, wenn im Dezember Cesar Millan in die große Halle des
       Ortes kommt. Da gehen sie alle hin. Der prominente Hundetrainer aus den USA
       kennt die Körpersprache der Vierbeiner wie kein Zweiter. Er ist „The Dog
       Wispherer“.
       
       Kein Hunderundengänger, der sich nicht rechtzeitig eine der begehrten
       Karten im Vorverkauf besorgt hätte. Dieser Cesar Millan wurde in Mexiko
       geboren. Mit 21 Jahren wanderte er illegal in die USA ein, ohne jegliche
       Englischkenntnisse oder Bekanntschaften dort. Der längst Eingebürgerte kann
       als Paradebeispiel des amerikanischen Mythos vom Tellerwäscher zum
       Millionär bezeichnet werden. Beliebt auch unter deutschen Hundebesitzern.
       Denn Amerika ist zwar weit weg, aber hier wie dort macht der Hund einfach
       „wau“. Ein deutscher Teckel übrigens ebenso wie jeder American Stafford.
       
       12 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Wallasch
       
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