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       # taz.de -- Rechtspopulismus in Deutschland: Nazis, die zum Umsturz aufrufen
       
       > Vor einem Jahr formierte sich Pegida. Seither gibt es viele Ableger und
       > Redner. Auch die AfD schickt ihre Anhänger verstärkt auf die Straße.
       
   IMG Bild: Demonstrieren oft im Dunkeln: „Abendspaziergang“ der Pegida-Bewegung
       
       Bischofswerda/ Magdeburg taz | „Ich bin seit dem 27. Oktober 2014 bei
       Pegida in Dresden mit dabei“, wird Engelbert Merz heute Abend stolz
       erzählen. Jetzt steht der Fünfzigjährige auf einem der Granitblöcke, die
       den Marktplatz von Bischofswerda begrenzen, und wirbt für die Sache mit dem
       Lügendetektor. Alle Flüchtlinge müsse man sofort an so ein Gerät
       anschließen, fordert er. „Und sobald der Zeiger einmal ausschlägt – dann
       zurück, wo sie hergekommen sind!“ Merz macht eine Handbewegung, als würde
       er dabei tatkräftig mithelfen. „Jawoll!“, ruft es aus der Schar.
       „Abschieben! Abschieben! Abschieben!“
       
       Engelbert Merz – barocke Leibesfülle, Schal, Mantel, Filzhut – genießt
       diesen Moment. Und die etwa dreihundert Zuhörer sind höchst zufrieden mit
       ihm. Zuvor hatten schon „der Thomas“ und „die Cindy“ geredet. Thomas
       stotterte seine Rede so vom Blatt herunter, dass eine Rentnerin flugs nach
       Hause ging.
       
       Und die 20-jährige Cindy beichtete ihre Angst. Angst um ihre Mutter, um
       ihre Schwester, um sich. Angst um Deutschland, „um das, was alles noch
       passiert“, und Angst, weil die Flüchtlinge – die „angeblichen Flüchtlinge“
       korrigierte sie schnell – Krankheiten einschleppten.
       
       Engelbert Merz hingegen, der Unternehmer aus der Baubranche, verwandelt
       Ängste in Energie, bietet schlichte Lösungen und ist zudem ein Mann mit
       Unterhaltungswert. „Wir schaffen es?“, piepst Merz, schaut ins Rund, legte
       seine mächtigen Hände vor den Bauch und imitiert die „Merkel-Raute“.
       Gejohle. „Wir schaffen es, sie bis Weihnachten loszuwerden!“
       
       ## „Orbán – Yes!“
       
       Von unten rufen Plakate „Orbán – Yes!“ und „Überfremdung ist Völkermord!“
       Ein paar Deutschlandfahnen wehen träge. Auf einer steht in güldenen Lettern
       „Freital“. Dort hatte es schon im Juni Angriffe auf Flüchtlingsquartiere
       gegeben. Hier in Bischofswerda, dreißig Kilometer östlich von Dresden, war
       es im September so weit. Als das Land Sachsen eine Fabrik kurzfristig zum
       Erstaufnahmelager bestimmte, blockierten Einwohner die Zufahrt.
       
       „Wir sind mündige Bürger und keine Sklaven!“ Diese Losung hält Merz in die
       Höhe, als er sich an die Spitze des Umzuges stellt. Ein „Abendspaziergang“
       durch die Innenstadt, vorbei an der Christuskirche, wo die etwa 50 Besucher
       des Friedensgebets schweigend mit Kerzen stehen. „Volksverräter!“, gellt es
       zu ihnen herüber. Es geht vorbei an Kulturhaus, Volksbank,
       Volkssolidarität. „Wir sind das Volk!“, ruft nun auch der Zug.
       
       Was ihn am meisten ärgere? Ein hagerer Rentner stopft die Hände tiefer in
       die Taschen und überlegt. Dass die Flüchtlinge ungeniert auf den Radwegen
       laufen, schimpft er. Als Deutscher werde man mit dem Rad auf die Fahrbahn
       vertrieben. „Nee, die haben keine Kultur!“
       
       Am Ende versammelt sich die „außerparlamentarische bürgerliche Opposition“
       – so steht es am Rednerpult – erneut am Markt. Das Wort Nazi bedeute für
       ihn: nett, aufgeschlossen, zeitpolitisch interessiert – so hatte es Merz
       formuliert. Zeitpolitisch interessiert ist auch Simon Richter, dem Merz das
       Pult überlässt. Der junge Mann mit Wollmütze und Kinnbart ist aber auch
       nach herkömmlicher Lesart ein echter Nazi.
       
       ## NPD-Geist, der weht
       
       Seine Tiraden auf die „korrupte Machtelite“ und die „Landesverräter“
       triefen vor völkischer Rhetorik. Der Widerstand der Straße müsse die
       Regierung vor sich hertreiben, zivilen Ungehorsam üben und die Machtfrage
       stellen. Mit „deutschlandtreuen Kräften“ will Richter die Wende erzwingen.
       Ob einer von denen, die ihm so herzhaft applaudieren, weiß, dass Richter in
       Radeberg einen Versandhandel für „nationale Sozialisten“ betreibt? Sein
       Logo: die NSDAP-Fahne, rot mit weißem Kreis – vorerst ohne Hakenkreuz.
       
       Natürlich hat er die Fahne zu Hause gelassen. Es weht auch keine NPD-Fahne,
       aber der NPD-Geist. Und der lässt sich nicht so schnell einrollen. Simon
       Richters Appell zum Umsturz ist zumindest deutlich. Engelbert Merz hingegen
       preist das „Modell Schweiz“, bleibt sonst aber eher im Vagen. Natürlich,
       Pegida ist seine Heimat. Die Montagabende schaufelt er sich frei, um keinen
       Aufmarsch zu verpassen.
       
       Als sich Merz an diesem Abend ein letztes Mal in Rage redet, ist der
       Marktplatz fast menschenleer. Er schimpft auf Angela Merkel und ihren
       Ehemann Joachim Sauer, von dem er glaubt, dass er die Kanzlerin vollkommen
       steuere. Schnell wird es schlüpfrig. Merz reißt plötzlich Zoten, das Mikro
       ist längst abgeschaltet. Beim Reden tippt er seinem Gegenüber mit
       Zeigefinger auf Schulter und Brust. Es hat etwas Exaltiertes.
       
       ## Festerling ist erkrankt
       
       Merkwürdig, dass ihm die eigenbrötlerischen Oberlausitzer nachlaufen. Ein
       Mann mit Mercedes – „ein alter!“, wie er betont – und mit schwäbischem
       Mundwerk. Doch Merz wohnt schon über zwanzig Jahre in der Region. Die
       Werte, für die er einsteht, sind wohl eher in Stein gesetzt. Merz weist auf
       das Rathaus, die Bürgerhäuser – tadellos restauriert. „Das haben Baumeister
       erschaffen. Wir wollen, dass das erhalten bleibt!“
       
       Eigentlich sollte in Bischofswerda Tatjana Festerling reden, doch die
       Pegida-Frontfrau, so hieß es, sei erkrankt. Die Propheten eines anderen
       Deutschlands sind auf Straßen und Plätzen im Dauereinsatz, wohl mit Folgen
       für die Gesundheit. Björn Höcke, Thüringens AfD-Vorsitzender, ist tags
       zuvor von Erfurt nach Magdeburg geeilt, um den Landesvorsitzenden André
       Poggenburg bei der Demonstration gegen „Politikversagen und Asyl-Chaos“ den
       Rücken zu stärken.
       
       Auf dem Domplatz weht ein eisiger Herbstwind, es regnet. Die Dom-Gemeinde
       hat aus Protest die Beleuchtung der Kathedrale abgeschaltet, stattdessen
       läuten die Glocken. Es ist gespenstisch dunkel. André Poggenburg – Jahrgang
       1975, Wintermantel, Anzug, Krawatte, Hände vor dem Schoß – gibt im
       Scheinwerferlicht Interviews. Der Unternehmer, der eine Firma für Kühler-
       und Tankreparaturen besitzt, ist bemüht, sanfte Töne anzuschlagen. „Die
       Gewaltbereiten sind nicht unsere Klientel“, beteuert er, doch hinter ihm
       ruft es schon: „Antifa – Hurensöhne!“
       
       Demonstranten und Gegendemonstranten stehen sich da bereits wie in einer
       Arena gegenüber. Nur ein durch Polizeigitter abgesperrter Korridor trennt
       sie. Als kurz darauf ein Böller in die Menge der AfD-Sympathisanten fliegt,
       wackeln Zäune, ballen sich Fäuste. Dicht gedrängt bauen sich Polizisten auf
       – die „Herbst-Offensive“ der Alternative für Deutschland ist in Magdeburg
       angekommen.
       
       ## Hooligans unter den Teilnehmern
       
       Seit vier Wochen ruft die AfD in Erfurt auf die Straße, zuletzt bis zu
       8.000 Menschen. Nun will sie den Erfolg nach Sachsen-Anhalt tragen, hier
       finden im März Landtagswahlen statt. Gekommen sind etwa 1.400 Anhänger,vor
       allem alte und junge Männer, die wenigen Frauen gehen in der Menge fast
       unter. Überall auf dem Platz stehen Grüppchen von sportlichen, kurzhaarigen
       Typen. Rechtsextreme. Hooligans. Ihre Fahnen haben sie zu Hause gelassen,
       die AfD hatte darum gebeten. Lediglich ein Trupp von 50 Anhängern des
       örtlichen Pegida-Ablegers Magida kommt geschlossen und mit eigenen
       Transparenten.
       
       Etwas abseits steht ein Mann um die 50, seine Frau einen halben Schritt
       hinter ihm. Sein Name „tut nichts zur Sache“, aber über seine Ängste will
       er sprechen. „Es werden immer mehr. Die holen alle ihre Familien nach. Wir
       können die nicht alle aufnehmen.“ Seine Stimme überschlägt sich, er ist den
       Tränen nahe.
       
       „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“, rufen
       Sprechchöre. Der Demonstrationszug beginnt, angeführt vom Duo
       Höcke-Poggenburg. Kein einziges Mal werden sich die beiden umschauen. Der
       Zug kommt ins Stocken, als ein Dutzend AfD-Gegner kurz die Straße
       blockiert.
       
       ## Hoffnungsträger Höcke
       
       Vor dem Alten Rathaus endet der Marsch. „Ich weiß nicht, ob Herr Trümper
       heute hier ist, aber ich grüße ihn an dieser Stelle!“, ruft ein Sprecher
       ins Mikrofon. Am Vormittag hatte Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper
       seinen Austritt aus der SPD verkündet. Die Partei wolle ihm den Mund
       verbieten, weil er für eine Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen
       plädiere, hatte Trümper erklärt. „Auch wir sind hier, weil wir uns nicht
       mehr den Mund verbieten lassen wollen!“, ätzt der Redner weiter. „Denn: Wir
       sind das Volk!“
       
       Kurz darauf versucht Poggenburg gegen das Surren eines Generators und das
       Pfeifen der Gegendemonstranten anzukommen. „Unsere Heimat, unser deutsches
       Volk steht vor der größten Krise der Nachkriegszeit!“, ruft er mit
       anhaltischem Singsang. „Höcke! Höcke!“-Rufe ertönen bald in der Menge.
       
       Der 43 Jahre alte Björn Höcke ist für viele in der AfD der Hoffnungsträger.
       Noch im Mai wollte ihn der alte Bundesvorstand um Bernd Lucke hinauswerfen.
       Höcke hatte zuvor in einem Interview gesagt, dass man nicht jedes
       NPD-Mitglied als extremistisch einstufen könne. Inzwischen hat nicht Höcke,
       sondern Lucke die Partei verlassen.
       
       „Ich stehe hier und atme Geschichte“, ruft der Oberstudienrat. Höcke
       erinnert an den ersten deutschen Kaiser, Otto I., der im Magdeburger Dom
       begraben liegt. „Ihr wisst es bestimmt, dem großen König Otto gelang es 955
       mit einem Heer, das aus Sachsen, aus Bayern, aus Böhmen, aus allen
       deutschen Stämmen bestand, die Ungarn vernichtend zu schlagen und die
       Gefahr vom Abendland abzuwenden“, doziert Höcke. „Deutschland und Europa
       waren gerettet. Heute verteidigen die Ungarn Europa. Danke, Ungarn! Danke,
       Viktor Orbán!“
       
       Viktor Orbán als neuer Kaiser Otto, Joachim Sauer als Merkels Einflüsterer
       und Nazis, die auf Marktplätzen zum Umsturz aufrufen – aus den
       Pegida-Aufmärschen ist nach einem Jahr ein ganzer Strauß von Protesten
       geworden mit eigenartigen Anführern. Die Galgen letzten Montag seien
       übrigens winzig gewesen, hatte Engelbert Merz in Bischofswerda noch
       erläutert, quasi Ziergalgen. Es sollte wohl beruhigend klingen.
       
       19 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
   DIR Thomas Gerlach
       
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