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       # taz.de -- Kolumne Eben: Hakenkreuze ohne Anhaltspunkte
       
       > Keine Anhaltspunkte haben, das können Polizei und Verfassungsschutz immer
       > dann, wenn irgendwas mit Hitler ist.
       
   IMG Bild: Solte man nur durchgestrichen abbilden.
       
       Was am Wochenende in den Münchner Kammerspielen stattfand, traf den
       Geschmack des bayerischen Innenministers überhaupt nicht. Statt Kultur
       werde auf der Open Border Conference (Internationale Schleuser- und
       Schleppertagung) „fehlgeleitete Politpropaganda“ geboten, fand Joachim
       Herrmann. Und er hatte nicht ganz Unrecht.
       
       Früher, als noch Kultur war, kam der Hitler gern in die Kammerspiele.
       Heute, unter dem Neuköllner Matthias Lilienthal, steht die AfD lieber vor
       der Tür, während drinnen der Zynismus der europäischen Flüchtlingspolitik
       thematisiert wird und sogenannte Ausländer Dinge vorlesen, die sie Hate
       Poetry nennen. Ich bin ein Teil dieser Leseshow. Den Inhalt nennen wir
       rassistische Leserbriefe. Man könnte sie aber auch Ergebnisse
       fehlgeleiteter Politpropaganda nennen.
       
       Wenige Kilometer von der Maximilianstraße entfernt, spielte sich zur
       gleichen Zeit eine Szene ab, die man für eine Inszenierung aus dem Hause
       Lilienthal hätte halten können. Ein Münchner Ehepaar mit Ü im Namen stellte
       am Freitag fest, dass sein Auto mit einem riesigen schwarzen Hakenkreuz
       beschmiert worden war und rief die Polizei.
       
       Am Sonntag erklärte die Münchner Polizei, es gäbe keinen Anhaltspunkt für
       eine politisch motivierte Tat. Den Opfern erklärte sie, sie solle das
       Geschmiere schnell entfernen, da sie sonst eine Straftat begingen.
       
       ## Wo Hitler drauf ist, muss Hitler nicht drin sein
       
       Das Gespräch, das mit dem Ehepaar geführt wurde, muss in etwa so abgelaufen
       sein: „Ein Hakenkreuz? Nanu? Sie haben also ein Hakenkreuz auf dem Auto?
       Ok, ist vermerkt. Rechte? Wie kommen Sie denn da drauf? Nein, also dafür
       gibt es nun wirklich keine Anhaltspunkte. Da können Sie ganz unbesorgt
       sein. Besorgte Bürger? Ach, man muss ja nicht gleich das Schlimmste
       befürchten.
       
       Sie haben doch auch sicher schon mal beim Telefonieren so ein kleines
       Hakenkreuzchen auf die Serviette gekritzelt. Nein, nein, das muss nichts
       heißen. Das macht doch jeder mal. Aber Sie sollten das Ding schleunigst
       entfernen lassen, denn es ist streng verboten, mit einem Hakenkreuz auf dem
       Auto durch die Gegend zu fahren.
       
       Da muss ich Sie jetzt schon darauf hinweisen. Darum sollten Sie sich
       wirklich kümmern, sonst muss ich Sie auf der Stelle festnehmen lassen und
       ich kann Ihnen sagen: Also dann ist aber was los hier.“
       
       ## Ein klitzekleiner Rechter
       
       Keine Anhaltspunkte haben, das haben Polizei und Verfassungsschutz immer
       dann, wenn irgendwas mit Hitler ist. Die Vertreter deutscher Sicherheit,
       die sind nämlich sehr clever. Die denken sich: „Pfff, nur weil Hitler drauf
       steht, ist noch lange nicht Hitler drin. Das wäre ja gelacht, wenn wir uns
       so billig am Schnauzer herumführen ließen.“ So wie in diesem Film, wo
       Hitler nur drauf steht und Katja Riemann drin ist.
       
       Die deutschen Ordnungskräfte sehen für rassistische oder rechte Motive
       nicht mal dann Anhaltspunkte, wenn jemand einen Mordversuch verübt und noch
       während der Festnahme bekennt, dass er mit Ausländerfreunden ein
       Riesenproblem hat.
       
       Da muss die Ordnungsmacht erstmal gründlich recherchieren, um dann
       kleinlaut zu verkünden: Na gut, es war ein Rechter. Aber es ist nur ein
       klitzekleiner Rechter. Es ist nur eine „Randperson“. Wirklich. Eine
       Randperson im Rechtsextremismus und auch im Internet.
       
       Wenn aufgeweckte Theatermacher die Versäumnisse der europäischen
       Regierungen im Zusammenhang mit den Flüchtlingen kritisieren, dann ist das
       „fehlgeleitete Politpropaganda“. Wenn besorgte Bürger mit Messern auf
       Menschen losgehen, dann gibt es für so einen Vorwurf keinen Anhaltspunkt.
       
       19 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Doris Akrap
       
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       Halberstadt, Lübeck, Sangerhausen, Haselbachtal, Tröglitz, Freital, Bremen.