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       # taz.de -- Unterbringung von Flüchtlingen: Ordnungsrecht schafft Raum
       
       > Kommunen in den Flächenstaaten praktizieren Zwangsanmietungen, ohne dass
       > dort nach Hamburger Vorbild das Ordnungsrecht geändert wird.
       
   IMG Bild: Flüchtlingsunterkunft: lieber ein beschlagnahmtes Haus, als ein undichtes Zelt
       
       50 Flüchtlingen böte das ehemalige Kinder- und Jugendheim in Lüneburg ein
       Dach über dem Kopf – würde sein Besitzer Uwe Gerner der Stadt die
       leerstehende Immobilie zur Verfügung stellen. Das tut er aber nicht: Lieber
       will er das Haus abreißen lassen, um auf dem Gelände Neubauten zu
       errichten. Der Fall landete vorm Verwaltungsgericht, mit Erfolg für Gerner.
       Doch Lüneburg will sich das nicht gefallen lassen.
       
       „Es wird langsam eng“, sagt Suzanne Moenck, Sprecherin der Stadt. Freien
       Wohnraum gebe es nicht, Lüneburg sei eine wachsende Stadt mit viel Zuzug.
       Bald könnten nur noch Zelte Abhilfe leisten, „aber jetzt kommt der Winter“.
       Begrenzt auf sechs Monate sollte Gerners Immobilie deswegen ab dem ersten
       Oktober als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden.
       
       Gegen das Urteil des Amtsgerichts, Lüneburg müsse erst alle eigenen
       Unterbringungsmöglichkeiten ausschöpfen oder Räume anmieten, legte die
       Stadt am vergangenen Dienstag Beschwerde beim niedersächsischen
       Oberverwaltungsgericht ein. Das hat Gerner lediglich untersagt, das
       vorgesehene Gebäude vorerst abzureißen – eine Entscheidung hat es noch
       nicht gefällt.
       
       Moenck vermag nicht einzuschätzen, wie viel Aussicht auf Erfolg die
       Beschwerde hat. Das Gebäude solle jedenfalls nicht beschlagnahmt, sondern
       temporär „gegen ein angemessenes und marktübliches Entgelt“ genutzt werden.
       „Wir berufen uns dabei zum einen auf das Grundgesetz: Es geht darum,
       drohende Obdachlosigkeit bei den Flüchtlingen zu vermeiden, die wir noch
       unterbringen müssen und in dem Zusammenhang vor allem um körperliche
       Unversehrtheit.“ Gerade in der kalten Jahreszeit bestehe bei unzureichender
       Unterbringung die Gefahr schwerer körperlicher Beschwerden, „vor allem auch
       bei Familien mit kleinen Kindern“.
       
       Zum anderen bemüht die Stadt das niedersächsische Gesetz über die
       öffentliche Sicherheit und Ordnung. Damit argumentiert sie genauso wie
       Kiel, dessen Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) am vergangenen Samstag ein
       leerstehendes ehemaliges Kaufhaus in der Innenstadt beschlagnahmen ließ, um
       Schlafplätze für 300 Flüchtlinge auf der Durchreise zu schaffen. Dort
       begründet man die Maßnahme mit dem schleswig-holsteinischen Polizei- und
       Ordnungsrecht, das dort „Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land
       Schleswig-Holstein“ heißt.
       
       In beiden Gesetzestexten geht es um die öffentliche Sicherheit und die
       Gefahrenabwehr, zu deren Gewährleistung „Maßnahmen“ ergriffen werden
       dürfen, zu denen durchaus auch Sicherstellungen und Beschlagnahmungen
       zählen können. Bloß: Wenn der Immobilienbesitzer nicht mitspielt, müssen
       Gerichte entscheiden. Das kostet oft viel Zeit, die – wie in Lüneburg –
       eigentlich nicht da ist.
       
       Um das zu vermeiden, haben Hamburg und Bremen jeweils ihr Ordnungsrecht um
       ein „Gesetz zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen und
       Asylbegehrenden“ [1][ergänzt]: Die [2][neuen Paragrafen] erlauben es dem
       Staat, leerstehende Immobilien und ungenutzte Grundstücke zukünftig auch
       gegen den Willen der Eigentümer für Flüchtlinge gegen Entgelt zu nutzen.
       Das gilt für Gewerberäume, Wohnraum und Grundstücke ab 300 Quadratmetern.
       Die Eigentümer erhalten eine Entschädigung für die Zwangsanmietung.
       Widersprüche und Anfechtungsklagen haben keine aufschiebende Wirkung.
       
       Sowohl Schleswig-Holstein als auch Niedersachsen lehnen die Verabschiedung
       eines solchen Gesetzes ab. „Das ist nicht die politische Zielsetzung“, sagt
       dazu Patrick Tiede, Sprecher des Innenministeriums Schleswig-Holstein. Das
       Instrument des Verwaltungsrechts sei ausreichend, „und alles andere wäre
       die Ultima Ratio – davor kommt noch der im Grundgesetz festgeschriebene
       Schutz des Eigentums“.
       
       Matthias Eichler, Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums, sagt:
       „Entscheidungen wie die in Lüneburg sind Sache der Kommunen.“ Darüber
       hinaus setze die niedersächsische Landesregierung auf Amtshilfe jener
       Kommunen, in denen es bisher noch keine Notunterkünfte oder
       Erstaufnahmelager gebe: „Und hier ist die Bereitschaft groß, die Sache auf
       diese Art und Weise gemeinsam zu wuppen.“
       
       21 Oct 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2015-10-07_Drs-19-95_06138.pdf
   DIR [2] http://www.landesrecht-hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?nid=t&showdoccase=1&doc.id=jlr-SOGHAV8P14a&st=lr
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
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