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       # taz.de -- Rückstellungen der Atomkonzerne: Entwarnung nach Atom-Stresstest
       
       > Das Wirtschaftsministerium beruhigt: Die Konzerne haben genug Geld für
       > die Atom-Folgekosten. Doch es bleiben Fragen.
       
   IMG Bild: Was tun, wenn es sich ausgedampft hat? Atomkraft hat hohe Folgekosten.
       
       Berlin/Freiburg taz | Die deutschen Atomkonzerne sind in der Lage, die
       Kosten des Rückbaus und der Entsorgung zu tragen. Das jedenfalls schließt
       das Bundeswirtschaftsministerium aus einem Gutachten der Düsseldorfer
       Wirtschaftsprüfergesellschaft Warth & Klein Grant Thornton AG. Das Ergebnis
       dieses „Stresstests“, den das Ministerium in Auftrag gegeben hatte, war mit
       Spannung erwartet worden. Der Zeitraum der Betrachtungen reicht bis 2099.
       
       Am Wochenende wurde das Gutachten veröffentlicht, bewusst zu einem
       Zeitpunkt, als die Börsen geschlossen hatten. Denn im
       Wirtschaftsministerium herrscht offenbar große Sorge, dass der Stresstest
       die Betreiberkonzerne weiter schwächen könnten. Als Mitte September
       [1][erste Teilergebnisse des Gutachtens in die Öffentlichkeit drangen],
       brachen die Börsenkurse der Atomfirmen massiv ein.
       
       Nun soll der Stresstest Entwarnung geben. Zum Jahresende 2014 hatten die
       deutschen Atomkonzerne in der Summe 38,3 Milliarden Euro an entsprechenden
       Rückstellungen in ihren Bilanzen. Dem stehen nach Einschätzung der
       Gutachter zu aktuellen Preisen Rückbau- und Entsorgungsverpflichtungen in
       Höhe von 47,5 Milliarden Euro gegenüber. Diesen Kostenüberhang sehen sie
       allerdings nicht als Problem, weil das Vermögen der Konzerne hoch genug
       sei, um auch diese Summe zu zahlen.
       
       Aber es bleiben Unsicherheiten, auf die die Gutachter – im Unterschied zum
       Ministerium – zum Teil explizit hinweisen. So ist die Kostenschätzung für
       das Endlager für hochradioaktiven Müll von 8,3 Milliarden Euro nach Ansicht
       der Gutachter „veraltet“ und daher „unbefriedigend“. Dennoch beruhen die
       Berechnungen auf diesem Wert.
       
       ## Sechs verschiedene Szenarien
       
       Außerdem weiß niemand, wie sich Kosten, Zinsen und Vermögenswerte der
       Unternehmen in Zukunft entwickeln werden. Aus diesem Grund haben die
       Gutachter sechs verschiedene Szenarien durchgerechnet, die eine gewisse
       „Bewertungsbandbreite“ ergeben . Im ungünstigsten Szenario errechneten sie
       Einen Finanzbedarf von 77,4 Milliarden Euro. „Praxisfremd“ nannten die
       Atomkonzerne dieses Szenario am Samstag in einer gemeinsamen Erklärung.
       
       In diesem Fall wären die Rückstellungen nämlich tatsächlich zu gering. Und
       dennoch versuchen die Wirtschaftsprüfer und das Ministerium alle
       Befürchtungen zu zerstreuen, das Geld könnte knapp werden. Sie rechnen vor,
       dass das Vermögen der Unternehmen, das zur Finanzierung der Entsorgung
       herangezogen werden könnte, in der Summe bei aktuell 83 Milliarden Euro
       liegt, und damit höher ist als die Entsorgungskosten selbst im
       ungünstigsten Szenario.
       
       Diese Aussage ignoriert allerdings, dass die Konzerne dafür fast ihr
       gesamtes Vermögen aufwenden müssten und damit praktisch keine Mittel mehr
       für ihren Geschäftsbetrieb übrig blieben. Zum anderen bezieht sich die
       Angabe auf alle Konzerne zusammen. Offen bleibt damit, ob das Vermögen auch
       bei jedem einzelnen Betreiber ausreicht, um die maximalen Entsorgungskosten
       zu decken. Offiziell begründet wird dieses Versäumnis damit, dass das
       Gutachten keine Geschäftsgeheimnisse veröffentlichen dürfe.
       
       ## Grüne fordern öffentlich-rechtlichen Fonds
       
       Außerdem werden Szenarien, in denen das gesamte Geschäftsmodell der
       Konzerne weiter erodiert – in der Vergangenheit hat dieses durch die
       Kraftwerksüberkapazitäten und den Strompreisverfall schon erheblich
       gelitten – nicht ausreichend behandelt. Im Gutachten ist lediglich erwähnt,
       dass zur Bedienung der Entsorgungskosten „der künftige Nettozahlungsstrom
       aus dem gesamten Vermögen“ der Unternehmen zur Verfügung stehe. Was aber
       passiert, wenn dieser weiterhin abnimmt? Die Gutachter warnen darum am
       Schluss ausdrücklich: „Aus diesen Feststellungen kann jedoch nicht
       abgeleitet werden, dass die Finanzierung der künftigen Entsorgungskosten
       sicher ist.“
       
       Eine erste Reaktion aus der Opposition auf das Gutachten kam von Sylvia
       Kotting-Uhl, der atompolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag. Sie
       liest aus dem Gutachten „eine gute und eine schlechte Nachricht“ heraus.
       Die gute: Noch sei die Situation nicht ausweglos und noch lasse sich die
       Gefahr abwenden, dass dem Steuerzahler hohe Milliardenkosten der
       Atombranche aufgehalst werden.
       
       Andererseits zeige der Stresstest aber auch, dass „das bisherige System der
       Rückstellungen mit großen Unsicherheiten behaftet und schlicht nicht
       tragfähig ist“. Nötig sei nun „schnellstens ein öffentlich-rechtlicher
       Fonds, in den die AKW-Betreiber einzahlen müssen – unter Beibehaltung ihrer
       Finanzierungspflicht.“ Merkel und Gabriel müssten sich jetzt entscheiden ob
       sie Anwälte der Steuerzahler oder Komplizen der Konzerne sind.
       
       10 Oct 2015
       
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