# taz.de -- Kolumne German Angst: Das erste Knebelgesetz ist in Kraft
> Die Deutschen sind vernarrt in ihre Fluchten – vor allem in den Alk.
> Jetzt soll ihnen sonntags der größte Spaß genommen werden.
IMG Bild: Freiheit aus der Flasche.
Gerade hat man es in Deutschland nicht leicht. Zuerst beschmutzt ein
kleiner Mann die Pegida-Bewegung. Dann will ausgerechnet ein Jude den
Deutschen die Urheberschaft am Holocaust streitig machen. Und jetzt soll
ihnen zudem ihr Ureigenstes genommen werden: die unbegrenzte Trinkfreude am
Sonntag.
„Wie ist es so in Berlin?“, frage ich einen Freund. „Scheiße“, sagt der,
„wegen der Spätis.“ Dabei ist erst Samstag. Und die Spätis müssen doch nur
am Sonntag schließen. In Berlin scheint sich eine Kultur der Angst
auszubreiten, Angst vor der Beschneidung der eigenen Freiheiten.
Die Deutschen sind ja von jeher eine freiheitsliebende Nation, sie
überschritten Grenzen und rissen Mauern nieder. Gut, die hatten sie vorher
selbst aufgebaut – und das hatte auch etwas mit dem Überschreiten der
Grenzen zu tun. Egal. Der Punkt ist: Sie sind ziemlich in ihre kleinen und
großen Fluchten vernarrt. Und wenn die eiserne Gesetzeshand ihre Finger
nach dem Büdchen ausstreckt, dann hört der Spaß auf.
Während der Staat die Außengrenzen schließt, fallen Stadtgrenzen, werden
ganze von Bevölkerungsschwund betroffene Landkreise zusammengezogen – immer
noch besser, als ein paar Flüchtlinge aufzunehmen. Und wenn das Asylrecht
so weit verschärft wird, so weit, dass es nur noch so lange gilt, bis es
jemand in Anspruch nimmt? Egal, dann feiern die Deutschen den Jahrestag der
Wiedervereinigung, die Überwindung der eigenen Grenzen. Ihre neue Freiheit.
## Knechte und Mägde
„Denn die Natur lehrt und fordert das für das einfache Volk, für Knechte
und Mägde, die die ganze Woche ihrer Arbeit nachgegangen sind, daß sie sich
auch einen Tag lang zurückziehen“, das wusste schon Martin Luther. In jener
christlich-abendländischen Kultur, die ja gerade so hoch im Kurs steht, ist
jedenfalls nichts davon überliefert, dass die Knechte und Mägde sonntags
betrunken durch die Spätis taumeln sollen.
Und also patrouilliert nun am Tag des Herrn die blau uniformierte
Scharia-Polizei durch den Neuköllner Kiez, über deren Regeln wir von
Dresden wissen, dass sie schon seit geraumer Zeit wie ein Damoklesschwert
über unseren Köpfen drohen. (Kann es Zufall sein, dass Deutsche nach einem
frustrierenden Sonntag auf die Straße gehen?)
Das erste Knebelgesetz ist also in Kraft und greift nach einem Herzstück
der deutschen Kultur: dem Alk. Dem Büdchen. Und darum werden nun alle
Mittel ergriffen, um Freiheiten zu verteidigen. „Für ein freies
Verkaufsrecht!“ – „Rettet die Berliner Spätis vor dem Ordnungsamt“ oder
„Rettet die Kiez-Kultur“ heißen Dutzende Onlinepetitionen. Verfasst in
einer „Mein Freund, der Baum“-Euphorie.
Diese Petitionswut ist mit der Freiheitsliebe verknüpft. Zehntausende
sitzen in ihrer Einzimmerwohnung, besuchen über ihr passwortgeschütztes
Netzwerk das grenzenlose Internet und setzen dort Freiheiten durch.
Jedenfalls gibt es sogar einen „Späti-Dialog“ in Neukölln, um sich
gemeinsam mit Ordnungsamt und Polizei die Sorgen der Späti-Betreiber
anzuhören. Wie schön! Gesprächskreise. So setzt man seine kleinen Fluchten
durch.
27 Oct 2015
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DIR Sonja Vogel
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