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       # taz.de -- Lage am Lageso in Berlin: Chaos bekommt Dach überm Kopf
       
       > Am Lageso dürfen Geflüchtete jetzt fast überall im Trockenen warten. Ob
       > man sich von der in Verruf geratenen Sicherheitsfirma Spysec trennt, ist
       > unklar.
       
   IMG Bild: Flüchtlinge dürfen am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin jetzt in Zelten warten.
       
       „Start of registration only at Turmstraße“: Ein meterhohes Banner über dem
       Eingang zur neuen Registrierungsstelle für Asylbewerber in der Bundesallee
       verkündet, dass Anstellen hier zwecklos ist. Das lang gestreckte Gebäude
       ist komplett abgeriegelt, alle paar Meter stehen Sicherheitsmänner in den
       blauen Jacken der Firma Gegenbauer, die dafür sorgen, dass niemand unbefugt
       die Absperrung überwindet. Vor den metallenen Gittern stehen 20 Männer,
       Frauen und Kinder, die am Morgen per Bus aus ihrem Heim her gebracht
       wurden. Es ist neun Uhr morgens am Mittwoch, es ist kalt. Ein Wachmann
       erklärt den Geflüchteten auf Arabisch, wie es weitergeht: Sobald
       Kapazitäten frei sind, dürfen sie rein - sie kommen heute auf jeden Fall
       dran. Ein junger Syrer ist erleichtert: Er warte seit 40 Tagen auf seine
       Registrierung, sagt er. „Germany good“, findet er dennoch.
       
       Szenenwechsel, ein unbeheiztes weißes Großzelt auf dem Gelände des
       Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Moabiter Turmstraße.
       Etwa 200 Menschen drängen sich in zwei Reihen zwischen schlangenförmig
       angeordneten Absperrgittern. Wer hier wartet, ist wenigstens zum Teil
       bereits als Asylbewerber registriert und hat nun entweder Geld vom Lageso
       zu bekommen (linke, längere Schlange), oder einen „Termin“ (rechte
       Schlange). Von Zeit zu Zeit lassen die rotgekleideten Sicherheitsmänner der
       Firma Spysec, ein Subunternehmer von Gegenbauer, vorne ein paar Leute
       durch, dann geht ein Ruck durch die jeweilige Menge: Männer, aber auch
       Frauen mit kleinen Kindern auf dem Arm werden an die Gitter gequetscht.
       Geschrei auf beiden Seiten der Absperrungen, die Security versucht die
       Menge zurückzudrängen. Zwei Polizisten schauen kurz nach dem Rechten.
       
       „Eine Schande, dass man sie so warten lässt“, findet ein
       Spysec-Mitarbeiter. Die Menschen kämen um zwei Uhr nachts, um nun möglichst
       weit vorne zu stehen. „Alle haben einen Termin für neun Uhr“, sagt der
       Wachmann, doch nur nach und nach dürften sie die Menschen ins Gebäude
       lassen. Dass heute alle dran kommen, ist nicht zu erwarten: Es ist elf Uhr
       und die Schlangen werden immer länger.
       
       Vor zwei Wochen wurde an der Bundesallee die Registrierungsstelle für neu
       ankommende Flüchtlinge eröffnet, vor allem soll sie das völlig überlaufene
       Lageso entlasten. In gewisser Weise ist dies gelungen: Das Chaos, jetzt in
       Zelte aufgeteilt, hat Struktur bekommen. Zwei beheizte Wartezelte gibt es
       für die Neuankömmlinge, die einen Termin in der Bundesallee und einen
       Heimplatz brauchen, zwei unbeheizte für die Teil-Registrierten, ein
       unbeheiztes für die Essensausgabe. Dazu das bei der Caritas für
       Kinderkleidung und bei „Moabit hilft“ zur Ausgabe von gespendeter
       Erwachsenenen-Winterkleidung. Überall herrscht reger Andrang.
       
       Der neue Staatssekretär für Flüchtlingsfragen, Dieter Glietsch, sieht
       dennoch eine deutliche Entspannung beim Lageso, wie er am Dienstagabend
       laut RBB bei einer Einwohnerversammlung in Wilmersdorf sagte. Auch die
       zuständige Sozialverwaltung meldet am Mittwoch weitere Fortschritte: Am
       Vortag seien 808 neue Flüchtlinge angekommen, 597 habe man in Bundesallee,
       Turmstraße und dem dritten Standort Kruppstraße registrieren können. Zudem
       werde das Lageso „künftig“ auch am Wochenende Flüchtlinge aufnehmen. Von
       Helfern war das Fehlen einer offiziellen Anlaufstelle nachts und am
       Wochenende seit langem kritisiert worden.
       
       Gute Schlagzeilen könnte das Amt auch wegen der Debatte über prügelnde
       Sicherheitsleute gebrauchen. Vor genau einer Woche hatte „Moabit hilft“ ein
       Video veröffentlicht, das zeigt, wie Sicherheitsmänner von Spysec in der
       Turmstraße zwei Flüchtlinge verprügeln. Die Einschätzung der
       Freiwilligenorganisation, dies sei kein Einzelfall, im Gegenteil würden
       beide Sicherheitsdienste die Geflüchteten regelmäßig „wie Vieh behandeln“,
       wurde am Dienstag untermauert durch ein zweites Video, dass die BZ
       veröffentlichte. Es zeigt vier Spysec-Mitarbeiter, die einen Mann erst
       festhalten, dann wegtragen, fallenlassen und schlagen. Nach Medienberichten
       soll der Chef der Firma demnächst wegen Körperverletzung gegen einen
       Geflüchteten vor Gericht stehen, zudem sollen sich alle Mitarbeiter im
       November einem zweiwöchigen Deeskalationstraining unterziehen.
       
       Unterdessen dementierte am Mittwoch eine Sprecherin der Berliner Immobilien
       Management (BIM), die für das Lageso-Gelände Turmstraße zuständig ist, eine
       Meldung des Tagesspiegel, dass man die Zusammenarbeit mit Spysec fortsetzen
       werde. Es werde noch eine „interne Untersuchung“ abgewartet, so die
       Sprecherin zur taz, erst dann werde entschieden.
       
       Ziemlich übertrieben sei die Aufregung, findet ein Sicherheitsmann von
       Gegenbauer, der in der Bundesallee Wache schiebt. „Manche Kollegen sind
       vielleicht etwas ungeduldig“, sagt er, aber die Flüchtlinge seien oft
       aggressiv, drängelten und versuchten, über die Absperrung zu klettern. Wenn
       es nach ihm ginge, sollten die meisten ohnehin besser „im islamischen
       Kulturkreis“ bleiben, viele seien Islamisten und die wenigsten „echte“
       Flüchtlinge. „Die sind nicht reif für Europa“, sagt er. Der Mann muss es
       wissen: Sein Vater, erzählt er, ist selbst aus der Türkei hergekommen.
       
       28 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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