# taz.de -- Die Wahrheit: Wenn Fische Hunde küssen
> Der Wellnesswahn geht weiter, immer weiter. Im norddeutschen Raum
> pediküren jetzt Fische Menschenfüße.
IMG Bild: Laut Isaac Davis, Protagonist in Woody Allens „Manhattan“, ein gutes Argument gegenüber Nazis.
Jenseits des weltpolitischen Geschehens gab mir der Name des neuen
Geschäfts um die Ecke Rätsel auf. Der Text am Schaufenster las sich wie
eine Hieroglyphe, war so unverständlich, dass mir einfiel, zu den Gegnern
des Schlagworts vom lebenslangen Lernen zu gehören. Denn der heuchlerische
Begriff meint ja, von jedem zu verlangen, als verwertbare Arbeitskraft nach
den Marktgesetzen flexibel zu funktionieren. Oder so ähnlich. Aber man
lernt unvermeidlich Tag für Tag dazu.
Ich radelte also an diesem Laden vorbei. „Knabberzeit“ stand da und
darunter: „süße Küsse für die Füße“. Ich stutzte, fuhr schulterzuckend
weiter, anderes schwirrte mir wohl durch den Kopf. Aus anderer Richtung
erfuhr ich bald, was es mit dem knabbernden Küssen oder küssenden Knabbern
auf sich hat. Eine Freundin sagte, der Betrieb dort biete „Fischpediküre“
an. Wie bitte? Ist ’n Witz, oder? Ich gestehe, ich hatte nicht den
leisesten Hauch einer Ahnung, was hinter dem Ausdruck steckt, vermutlich,
weil ich auf das Wort Wellness allergisch reagiere.
Eine selbstredend akribische Recherche brachte das Phänomen an den Tag: Die
Mitmenschen, die das schick finden, tauchen ihre Füße in ein Becken, wo zig
rötliche Saugbarben aus der Familie der Karpfenfische schwimmen. Die
„saugen, knabbern, kitzeln oder küssen“, verrät das Unternehmen. Weiteres
aus der Werbung: Die Fische „sorgen durch ihr natürliches Verhalten, dem
Abknabbern alter, abgestorbener Hautschuppen, für geschmeidige und schöne
Füße“. Von einer „verbesserten Blutzirkulation“ ist noch die Rede, von den
„jungen, neugierigen und quirligen“ Fischlein, von „Muskelentspannung,
Linderung von Hautirritationen, Reduzierung der Hornhautbildung,
Unterhaltung und ein natürlich schonendes Peeling“.
Natürlich setzen die Akteure „höchste Hygienestandards“ ein, und den
Fischen geht es sowieso super. Und wie geht es den Kunden? „Ihr macht es
euch bequem, genießt euren Cappuccino oder eure fritz-kola, haltet die Füße
in unsere zwischen 28 und 30 Grad Celsius temperierten Becken und entspannt
bei süßen Küssen für eure Füße.“
Obwohl ich hörte, dass diese eigentümliche Beziehung zwischen Mensch und
Fisch in ferneren Ländern eine längere Tradition habe, mutet es mich
dekadent an. Stellte mir vor, dass die nächste Stufe der Wellness-Ideen
darin bestehen wird, die Fischpediküre in die beliebte Physiotherapie für
Haushunde einzugliedern, die man mittlerweile umfänglicher zu behandeln
scheint als einfache Menschen. Hund und Fisch vereint!
Im selben Zeitraum nahm ich übrigens zwei weitere mir bislang unbekannte
Erscheinungen wahr: Im Kino drückten sie uns mit der Eintrittskarte einen
Gutschein in die Hand: „Upgrade: aus Popcorn groß wird Jumbo!“ Zweitens
verkündete die Kehrseite der Verpackung einer Schokolade: „Du brauchst uns
nicht, um dir zu erzählen, dass Schokolade dein Gehirn glücklich macht,
darum reden wir jetzt über deinen Magen.“ Die nächsten Recherchen stehen
folglich an, und mir ist schon schlecht.
4 Nov 2015
## AUTOREN
DIR Dietrich zur Nedden
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