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       # taz.de -- FDP-Politikerin Katja Suding: Ruhe macht sie rastlos
       
       > Gestik, Mimik, Aufstieg in der FDP – an Katja Suding ist alles schnell.
       > Die Fraktionsvorsitzende der FDP in Hamburg ist fast schon: nervös.
       
   IMG Bild: Katja Suding, Fraktionsvorsitzende der FDP in Hamburg
       
       Beim Fotoshooting vor unserem Gespräch im Thomas-Dehler-Haus wirkt die von
       den Medien gern als „schön“ apostrophierte Katja Suding seltsam angespannt.
       In die routinierte Gottergebenheit, die alle Politprofis bei solch lästigen
       Pflichtübungen auszeichnet, mischen sich beinahe trotzig-adoleszent
       wirkende Gesten. Die Zähne werden nicht nur zum Lächeln gezeigt, die ganze
       Haltung sagt: Es nervt, können wir endlich zur Sache kommen? Geduld zählt
       nicht unbedingt zu Katja Sudings größten Talenten. Alles an ihr ist
       schnell: die Rede, die Gestik und Mimik, die Reaktion auf Fragen. Sie macht
       einen fitten, durchtrainierten Eindruck. Man könnte sie in dem Sinne
       „nervös“ nennen, wie man das über Turnierpferde zu sagen pflegt.
       
       Sie selbst nennt sich schlicht „hibbelig“. Im gesamten Gespräch haben die
       Hände kaum einen ruhigen Moment und manche Passagen der Tonaufzeichnung
       werden später schwer zu verstehen sein, weil Katja Suding beim Reden mit
       den Knöcheln die Tischplatte bearbeitet, auf der das Aufnahmegerät steht.
       Der Eindruck von Unruhe ist so stark, dass ich mir die Frage nicht
       verkneifen kann, wie ich denn den zentralen Satz ihrer Selbstdarstellung
       verstehen soll: „Ich mache gern neue Erfahrungen“, schreibt sie in ihrem
       Internetauftritt.
       
       „Wahrscheinlich ist es diese Lust, die mich antreibt. Die mich auch in
       schwierigen Situationen vor großen Herausforderungen nicht zurückschrecken
       lässt.“ So weit alles klassischer, parteienübergreifender
       Selbstdarstellungston der PolitikerInnen vom Typus „jung & dynamisch“. Aber
       dann: „Meine Neugier gibt mir Ruhe, Kraft und Zuversicht.“ Wie kann denn,
       frage ich, um alles in der Welt ausgerechnet Neugier, diese nie
       stillzustellende Suchbewegung, „Ruhe“ bringen?
       
       Katja Suding schaut mich mit einer Mischung aus Skepsis und Verwunderung
       an: Es möge ja widersprüchlich klingen, aber Neugier sei bei ihr
       „tatsächlich die Konstanz im Leben und das, was mich ausgeglichen und auch
       zufrieden macht. Ich komme zur Ruhe, wenn ich meinen Hunger auf Neues
       ausleben kann.“ Meinen zweifelnden Blick kontert sie cool: „Wenn Sie im
       Reinen sind mit dem, was Sie tun, und damit glücklich sind, dann ist das
       eine Art Ruhe.“ Klar, natürlich nicht „die Ruhe, die man hat, wenn man den
       ganzen Tag auf dem Sofa rumliegt und es passiert nichts. Diese Ruhe würde
       mich rastlos machen, da würde ich wahnsinnig werden.“
       
       ## Mischung aus Skepsis und Verwunderung
       
       Eigentlich hat Katja Suding damit ein schlüssiges Psychogramm über sich
       geliefert. Nimmt man ihre Aussage dazu, dass „wenn sich etwas eingespielt
       hat, ich im Prinzip schon wieder auf der Suche nach was Neuem bin“, dann
       ist auch ihr Zukunftsprogramm schon geschrieben. Nicht inhaltlich zwar,
       aber im Sinne eines postmodernen Bewegungsprofils.
       
       Aufgewachsen ist sie in der schwärzesten Provinz: Vechta, katholische
       CDU-Hochburg; gut kleinbürgerlicher Familienhintergrund, Vater
       kaufmännischer Angestellter, Mutter Hausfrau, beide CDU-Wähler; zwei
       Brüder. Aber Katja beweist früh ihren eigenen Kopf: In der ersten
       Grundschulklasse weigert sie sich strikt, eine Aufgabe zu bearbeiten, weil
       sie das Geforderte schon konnte. Es war ein Schlüsselerlebnis – und blieb
       kein Einzelfall. Manche Lehrer gingen darauf ein, andere fühlten sich in
       ihrer Autorität infrage gestellt. Obwohl es von ihr „doch gar nicht bös
       gemeint“ war.
       
       Tatsächlich ist Katja Suding in einem genuinen Sinne „antiautoritär“ – auch
       wenn sich dabei manchem Begriffswächter von 68 die Nackenhaare aufstellen
       mögen.
       
       ## Schlüsselerlebnis Machiavelli
       
       Die Anfänge ihres politischen Engagements datiert sie ebenfalls auf die
       Schulzeit: In der konservativen katholischen Mädchenschule habe sie
       „liberale Gedanken in Reinform“ entwickelt – ganz für sich, ohne jede
       Beeinflussung durch Parteipolitik. So was wie die FDP habe sie damals
       absolut nicht interessiert. Aber sie habe sich darüber aufgeregt, dass
       Gesetze beschlossen würden, „die so stark in das Leben der Menschen
       hineinregieren, dass sie die Kreativität und Engagement, die ja in jedem
       Menschen stecken, so weit beeinträchtigen, dass sie nicht zum Tragen
       kommen.“ Das bezieht sie heute noch auf manche Sozialleistungen, die ihrer
       Meinung nach „Menschen dazu bringen, sich mit einem bestimmten Zustand
       abzufinden, statt Anreize zu geben, da rauszukommen“. Schon als Jugendliche
       empfand sie das „nicht als sozial, sondern als asozial“.
       
       Ein weiteres Schlüsselerlebnis war die Lektüre von Machiavelli: Diese Art
       des politischen Denkens hat sie in ihrer Jugend ebenso fasziniert wie
       Tolstois „Krieg und Frieden“. Honi soit qui mal y pense. Aber selber
       Politik machen – das war, wie sie sagt, „noch gar nicht im Fokus“. Suding
       beginnt ein BWL-Studium in Münster, wechselt aber bald zu Kommunikations-
       und Politikwissenschaften. Münster war für sie nach der Schulzeit in Vechta
       und den USA „der richtige Ort“ für den neuen biografischen Abschnitt: Das
       Studentenleben bestimmte den Puls der Stadt, ihr Umfeld war überschaubar,
       aber abwechslungsreich – und sie mittendrin.
       
       2003 schließt sie mit einer Arbeit über Chancen und Probleme der
       Digitalisierung im medialen Kontext ab und greift damit früh einen
       wichtigen Trend auf. Zum Zeitpunkt des Examens hat sie schon seit vier
       Jahren einen Job in Hamburg – in der Firma ihres Mannes. Sie ist 26 und
       Mutter: Das Baby ist bei der mündlichen Prüfung dabei. Anderthalb Jahre
       später macht sie sich, kaum dass ihr zweiter Sohn auf der Welt ist, als
       Kommunikationsberaterin selbstständig, glücklich, endlich „ihr eigener
       Herr“ zu sein. Selbst entscheiden zu können, ist für sie der Inbegriff von
       Freiheit: einer der Gründe, warum sie den Schritt in die Berufspolitik –
       seit 2011 ist sie Fraktionsvorsitzende in der Hamburger Bürgerschaft, seit
       diesem Jahr stellvertretende Bundesvorsitzende – nicht bereut hat: „Jetzt
       kann ich meine Energie den ganzen Tag auf die Politik konzentrieren!“
       
       ## „Acht Stunden Schlaf“ – darunter geht nichts
       
       Kein Wunder bei diesem Lebensentwurf, dass die Familienpolitik ein Fokus
       ihrer politischen Arbeit ist. Die derzeit praktizierte sieht Suding als ein
       Bündel teurer, aber oft uneffizienter Maßnahmen, die sich teilweise
       widersprächen. So behindere etwa das Ehegattensplitting eher die
       Gleichstellung von Mann und Frau und ihre Chancengleichheit im Beruf. Zudem
       sei es „ungerecht“ gegenüber den Lebensformen jenseits der formalen Ehe.
       Sie selbst ist seit drei Jahren vom Vater ihrer Kinder getrennt. Trotzdem
       funktionierten sie in der Erziehung prima als „Elternteam“: „Völlig
       unkompliziert, ein gutes Modell.“ „Wir müssen moderner werden“, sagt sie
       und bezieht das auch auf ihre Partei. In vielen Köpfen dominiere noch das
       familienpolitische Grundmuster der fünfziger Jahre.
       
       Neben dem Fulltime-Politikerjob unternimmt sie viel mit den Söhnen, Sport
       vor allem, aber es bleibt auch Platz für Theater- und Opernbesuche. Sie hat
       nach wie vor eine gute Beziehung zum Elternhaus und viele Freunde, bei
       denen sie „intellektuelle Tiefe, Offenheit und Vertrautheit“ am höchsten
       schätzt. Wie soll das, frage ich mich, alles zusammengehen?
       
       „Acht Stunden Schlaf“, sagt sie, darunter ginge bei ihr nichts. Mit diesem
       Schlafpolster aber könne sie bis zur Erschöpfung arbeiten: und das gebe ihr
       ein gutes Gefühl. Seit Kurzem trainiert sie, beste Garantie für körperliche
       Verausgabung, Boxen.
       
       ## Prototyp eines neuen Politikmodells
       
       Ich erlebe Katja Suding als die leibhaftige Widerlegung des Sinnspruchs „in
       der Ruhe liegt die Kraft“. Ihre kommt aus der Bewegung und rastlosen
       Tätigkeit. Sie besitzt die erstaunliche Fähigkeit, fast triebhaft Lust aus
       der Erledigung „der Geschäfte“ zu gewinnen. Das umtriebige Machen ist ihre
       Leidenschaft: möglicherweise wichtiger als die „großen Ziele“, die
       Politiker gerne als Monstranz vor sich hertragen.
       
       Ob ihr politisches Handeln mit dieser Einstellung nicht an Beliebigkeit
       grenze, frage ich. Sie zuckt die Achseln: Bei ihr seien halt „die Optionen
       breiter gestreut“. Das gilt auch für ihr Privatleben, es gebe nicht das
       Lebensziel. Und wenn sie als Politikerin scheitere? Dann würde sie eben in
       den Job zurückkehren: Wer weiß, vielleicht sei sie dann ja noch
       glücklicher, weil sie mehr Zeit habe.
       
       Katja Suding ist der Prototyp eines neuen Politikmodells: Sie verkörpert
       den Patchwork-Politiker, der sein politisches Handeln als Geschäft, als
       eine Sache von vielen begreift, die wichtig, aber nicht exklusiv
       lebensbestimmend ist. Umfassend weltanschauliche Einstellungen sind ihr
       fremd. Schließlich ist ja alles relativ. Oder?
       
       ## Ihre Art hat etwas Ansteckendes
       
       Ihr Motto könnte das der Achtzig-Wochenstunden-Elitejobber sein: Work hard,
       party hard. Nur dass sie tatsächlich glücklich dabei wirkt. Vielleicht,
       weil es ihr gelingt, andere „mitzunehmen“, für sich und ihre Ziele zu
       gewinnen. Ihre Art hat etwas Ansteckendes. Mein Sprechtempo erhöht sich im
       Gespräch mit ihr. Sie hat in dem Sinne durchaus Führungsqualität – selbst
       wenn der Inhalt diffus bleibt.
       
       Meine Frage nach einem politischen Vorbild trifft auf ein charmantes
       Grinsen und Kopfschütteln. „Und wo stehen Sie in zehn Jahren?“, frage ich
       ganz am Ende. Da lacht sie. Eigentlich müsste ich nach dem Gespräch doch
       wissen, dass die Frage unsinnig ist: „Ich weiß ja noch nicht mal, was in
       den kommenden Monaten passieren wird …“ Klar würde sie gerne weiter Politik
       machen, aber: „Das ganze Leben ist Option. Ich kann mir vieles vorstellen.“
       
       Ich mir bei ihr auch.
       
       25 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Schneider
       
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