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       # taz.de -- Messerattacke im Jobcenter: Ein IQ von 76? Da flippte er aus
       
       > Ein 29-Jähriger soll Ende 2014 im Jobcenter Rothenburg einen Psychologen
       > mit drei Messerstichen getötet haben. Jetzt steht er vor Gericht.
       
   IMG Bild: Dezember 2014: Hier wurde der Psychologe erstochen.
       
       ANSBACH taz | Wie ein unscheinbarer Teenager wirkt der Angeklagte Sebastian
       T., als der 29-Jährige an diesem Montagmorgen den Gerichtssaal 1.72 des
       Landgerichts Ansbach betritt. Die Kapuze seines schwarz-roten Anoraks hat
       er tief in die Stirn gezogen, sein Gesicht verbirgt er hinter einem
       Aktenordner. Während der ersten Minuten, als ein halbes Dutzend Kameras auf
       ihn gerichtet sind, wippt er hektisch mit dem rechten Bein. Später setzt er
       die Kapuze ab, legt den Ordner vor sich hin.
       
       Zum Vorschein kommt ein bleiches und jungenhaftes Gesicht, die Augen
       blinzeln hin und her, seine Mimik ist starr, er wirkt abwesend, sitzt die
       meiste Zeit wie unbeteiligt neben seinem Verteidiger Bernd Hönicka. Die
       Fragen nach den Personalien beantwortet er ohne Zögern. Geburtsdatum: 16.
       9. 1986. Beruf: Technischer Assistent. Familienstand: ledig.
       
       An diesem Montag geht es um die Messerstiche, durch die [1][am 3. Dezember
       2014 im Jobcenter Rothenburg ein Psychologe ums Leben kam.]
       
       Das Entsetzen über die brutale Tat ist auch an diesem Tag greifbar. Die
       Witwe des Opfers, eine schlanke Frau, weißer Kurzhaarschnitt, schmales
       Gesicht, ist schwarz gekleidet. Ihr Gesicht ist versteinert, kaum ein Wort
       zu den drei Anwälten, die sie und ihre beiden Kinder als Nebenkläger
       vertreten. Auch kein Blick zum Angeklagten, der nur etwa drei Meter
       entfernt von ihr sitzt. Man hat das Gefühl, dass sich die Trauer über die
       Tat in der beschaulichen fränkischen Stadt auch darin niederschlägt, dass
       von den rund 60 Plätzen auf der Zuschauertribüne nur etwa 15 besetzt sind.
       So, als wolle man sich nicht dem Vorwurf der Sensationslust aussetzen. Die
       Pressevertreter sind deutlich in der Überzahl.
       
       Viel mehr als die Verlesung der Anklageschrift und die knappen
       Zeugenaussagen von zwei Polizisten hört man nicht an diesem ersten
       Prozesstag im Gerichtssaal. Nach einer halben Stunde verkündet der
       Vorsitzende Richter Körner, dass die Öffentlichkeit von der Verhandlung zum
       großen Teil ausgeschlossen wird. Grund sei der Gesundheitszustand des
       Angeklagten: Schließlich sei in der Verhandlung eine Unterbringung des
       Angeklagten möglich, erläutert Gerichtssprecher Jürgen Krach. Auch
       sämtliche Mitarbeiter des Jobcenters werden hinter verschlossenen Türen
       befragt.
       
       Dennoch wurde am ersten Verhandlungstag rekonstruiert, wie der heute
       29-Jährige an jenem Dezembertag ausrastete und drei Mal so schwer auf den
       61-jährigen Psychologen einstach, dass dieser eine halbe Stunde später im
       Büro des Jobcenters seinen Verletzungen erlag. Der Angeklagte sagt selbst,
       er habe Angst gehabt, „in die Psychiatrie gesperrt zu werden“.
       
       Als der Gutachter ihm seinerzeit einen IQ von lediglich 76 und eine
       schizophrene Psychose attestiert hatte, brachte das den Angeklagten derart
       in Rage, dass er sich mit einem „Dann hau ich euch aufs Maul“
       verabschiedete. Mit einem Küchenmesser, das er sich in einem Supermarkt
       gekauft hatte, kehrte er wenige Minuten später zurück ins Jobcenter. Im
       Nachhinein will er sich nur lückenhaft an die Messerstiche erinnern, die
       folgten. Auch nicht daran, wie er sich selbst so sehr an der Hand
       verletzte, dass die Wunde stark blutete.
       
       Fraglich ist, ob der Angeklagte schuldfähig ist. Bereits zwei Wochen nach
       der Tat wurde er von der Justizvollzugsanstalt Würzburg in das
       Bezirksklinikum Erlangen verlegt, wo er seitdem untergebracht ist. Statt
       einer Haftstrafe könnte er also dauerhaft in einer psychiatrischen
       Einrichtung bleiben. Am Morgen des 3. Dezember hatte er laut eigener
       Aussage zwei „Haschpfeifen“ geraucht. In seinem Blut wurde ein geringer
       THC-Wert nachgewiesen. Der Angeklagte soll zudem unter Einfluss von einem
       Medikament zur Behandlung von Schizophrenie gestanden haben.
       
       Es tue ihm sehr leid, er würde alles dafür geben, den Vorfall ungeschehen
       zu machen, ließ der 29-Jährige über seinen Verteidiger mitteilen. Er wisse,
       dass keine Strafe der Welt die begangene Tat tilgen könne. Doch als diese
       Entschuldigung verlesen wird, sind die Zuschauer nicht im Saal. Einer von
       ihnen ist ein Mann um die 60, weiße Haare, randlose Brille, breites
       Fränkisch. Er arbeitet im Bezirksklinikum Ansbach, das Opfer war sein
       Kollege, die Witwe arbeitet dort ebenfalls als Ärztin. Wie die Familie die
       Tat verkraftet habe? Gar nicht, sagt er. „Schlimm“ sei das. Er hat Tränen
       in den Augen.
       
       20 Oct 2015
       
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