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       # taz.de -- Debatte Klimaverhandlungen: Klimadiplomatie ohne Parlament?
       
       > Im Dezember soll ein globales Klimaschutzabkommen beschlossen werden. Ein
       > guter Anlass, um darüber im Bundestag zu streiten.
       
   IMG Bild: Medienwirksam: Mohamed Nasheed hält 2009 den Vorsitz in der ersten Unterwasserkabinettssitzung auf den Malediven – um auf den steigenden Meeresspiegel aufmerksam zu machen
       
       Bundestagspräsident Norbert Lammert fährt scharfes Geschütz auf: Der
       Bundestag werde keinen Handelsvertrag zwischen der Europäischen Union und
       den USA ratifizieren, „dessen Zustandekommen er weder begleiten noch in
       alternativen Optionen beeinflussen konnte“. Wer einen transatlantischen
       Handelsraum mit gravierenden Auswirkungen auf Sozial-, Umwelt- und
       Verbraucherschutzstandards topsecret zwischen US-Botschaften und
       EU-Kommission aushandele, könne keine demokratische Legitimation
       beanspruchen.
       
       Wie steht es diesbezüglich mit dem globalen Klimaschutzabkommen, das im
       Dezember in Paris beschlossen werden soll? Dessen Eckpfeiler sind besser
       bekannt und im Bundestag wie in Straßburg stellenweise intensiv behandelt
       worden.
       
       Aber die parlamentarische Debatte, die globaler Klimaschutz von der
       Bedeutung der Sache wie von den Prinzipien repräsentativer Demokratie her
       verdient hätte, fand bislang weder bei uns noch andernorts statt. Und der
       nach allgemeiner Überzeugung „alles entscheidende“ Klimagipfel sollte
       Anlass genug sein, eine solche Debatte eben jetzt zu führen.
       
       Genau wie das Freihandelsabkommen (oder die Kontrolle der Finanzmärkte) ist
       Klimaschutz Sache von Exekutive und Experten, darunter von
       Nichtregierungsorganisationen wie WWF oder Oxfam. Eine wie (un)verbindlich
       auch immer formalisierte Respektierung der „2-Grad-Leitplanke“, die massiv
       in Lebensstile und Mentalitäten, in Produktionsweisen, Mobilitätsformen und
       Raumplanungen eingreift, wurde auf bisher 20 Konferenzen der Vereinten
       Nationen zwischen Regierungsdelegationen ausgehandelt.
       
       Deren Terminologie und Tricks aber kann kein normaler Zeitungsleser
       nachvollziehen. Regierungen stützen sich auf wissenschaftliche Modelle und
       Messungen und sprechen mit Lobbyisten und Advokaten; Bundestag und andere
       Volksvertreter werden eher nachträglich informiert.
       
       Do parliaments matter?, fragen Politikwissenschaftler seit Langem nach den
       Restkompetenzen nationaler Volksvertretungen im Zeitalter der politischen
       Globalisierung, die von Policy-Netzwerken beherrscht wird. Im politischen
       Alltag bilden die Exekutiven (also die Ministerialbürokratie unter der
       Ägide von Kanzlerämtern und Präsidialverwaltungen) mit den
       Mehrheitsfraktionen eine Handlungseinheit, der die Opposition in der Regel
       nicht viel entgegenzusetzen hat.
       
       ## Ein Arbeits-, kein Redeparlament
       
       Der lange Prozess der Parlamentarisierung, der den gewählten Repräsentanten
       das Budgetrecht, die Wahl und Kontrolle der Regierung und die
       Meinungsführerschaft in den öffentlichen Angelegenheiten eingebracht hat,
       dreht sich um. Kabinettsbeschlüsse fordern parlamentarische Mehrheiten, und
       beide sind in internationalen Fragen oft nur Zeremonien und Stempelkissen
       diplomatisch verabredeter Entscheidungen.
       
       Der Deutsche Bundestag ist bekanntlich ein Arbeits-, kein Redeparlament,
       große Debatten sind seine Sache selten, etwa wenn es um ethische Fragen von
       Leben und Tod (Abtreibung, Sterbehilfe und so weiter) geht, bei denen
       Abgeordnete ohne Fraktions- und Koalitionsdisziplin „ihrem Gewissen
       folgen“. Ist der Klimawandel aber kein Thema von derartiger Bedeutung?
       
       Er ist es mit Sicherheit, und globaler Klimaschutz ist eine
       Jahrhundertaufgabe, die mehr erfordert als symbolische Politik im Vorfeld
       und ein Abnicken der (oder Schelte für die) auf den COPs erzielten
       Kompromisse.
       
       ## Widersprüche herausstellen
       
       Gewiss stehen die Tagesordnungen des Hohen Hauses auf lange Zeit fest,
       dennoch sei die Frage erlaubt, wie sich der Deutsche Bundestag die
       Beschlussfassung im Blick auf und nach dem Pariser Gipfeltreffen vorstellt.
       Aufgabe des Parlaments wäre es, die Klimapolitik der Bundesregierung und
       der Europäischen Union als Ganzes zu bewerten, Aufgabe der Opposition,
       Defizite, Widersprüche und Perspektiven herauszustellen und es nicht bei
       dem wohlfeilen Vorwurf zu belassen, Deutschland und Europa seien hinter den
       selbst gesetzten Zielen zurückgeblieben.
       
       In Deutschland herrscht relativer Konsens über die anthropogenen Ursachen
       und massiven Folgen des Klimawandels für Mensch und Natur, aber der
       genauere Blick zeigt, dass sich die konkreten Instrumente zur Bekämpfung
       der globalen Erwärmung bei Wirtschaftsliberalen und ökologischen
       Reformkapitalisten, Protektionisten und Kosmopoliten, Ökologen und allen
       anderen erheblich unterscheiden. Man sieht sie freilich kaum – wieso nicht?
       
       ## Klima-APO
       
       Ihre Schärfe ging im Klein-Klein um Strompreise, Laufzeiten und föderalen
       Eigensinn unter, was „die Menschen“ angeblich mehr interessiert. Dabei
       ändern planetare Grenzen, die (nicht nur) der Klimawandel aufzeigt, den
       Grundmodus von Politik – wir müssen gründlicher nachdenken und politisch
       wesentlich tiefer schürfen, aber die Entscheidungen zugleich beschleunigen.
       
       Eine Aufgabe der Volksvertreter wäre auch, das Thema Klimaschutz vor Ort in
       die Wahlkreise zu tragen, wo am Ende darüber entschieden wird; Klimamodelle
       und Versorgungsszenarien müssen in Narrative eines anderen Lebens übersetzt
       und „den Menschen“ neben Kosten auch Chancen der ökologischen Politik
       aufgezeigt werden. Das geht am besten in lokalen Konstellationen der Agenda
       21, oder – auch europapolitisch wichtig – als Gemeinschaftswerk der
       deutsch-französischen Achse, die für das Gelingen oder Scheitern des
       Pariser Gipfels wesentlich ist.
       
       Wenn die Tagesordnungen in Paris, Brüssel und Berlin diese Anstrengung
       nicht verkraften, muss die Klima-APO tätig werden. Vor Jahresfrist gab es
       regelrechte Klimademonstrationen, doch der lokale Klima-Aktivismus – von
       Boykott und Buykott über die Divestment-Kampagne und
       Energiegenossenschaften bis zu Städtenetzwerken – muss sich in einer Form
       manifestieren, die Regierungschefs und Verhandlungsdelegationen beeindruckt
       und ihnen ein Mandat verleiht, entschiedener aufzutreten.
       
       Doch auch Parlamente sollten Teil der Weltbürgerbewegung für den
       Klimaschutz werden und die Rechte künftiger Generationen auf die
       Tagesordnung setzen.
       
       13 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claus Leggewie
       
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