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       # taz.de -- Nach dem Flugzeugabsturz im Sinai: Ermittlungen gegen Kolavia
       
       > 224 Menschen starben beim Absturz eines russischen Flugzeugs in Ägypten.
       > Der IS will es gewesen sein, das ist aber unglaubwürdig.
       
   IMG Bild: Bergungsarbeiten an der Unfallstelle.
       
       Moskau taz | Den ganzen Tag über zeigt Russlands Nachrichtenkanal Rossija24
       dieselben Aufnahmen. Eindringliche Bilder von drei Frauen, die auf dem
       Petersburger Flughafen Pulkowo auf Angehörige warten. Vergeblich. Sie
       sollten mit dem Flug 9268 aus Sharm al-Sheikh mittags in Sankt Petersburg
       eintreffen. Doch beim Absturz der Maschine der Fluggesellschaft Kolavia
       sind am Samstag alle 224 Insassen ums Leben gekommen.
       
       23 Minuten nach dem Start im Badeort Sharm al-Sheikh am Roten Meer
       verschwand der Airbus-321 von der Radarüberwachung. Zu dem Zeitpunkt soll
       das 1997 in Dienst genommene Flugzeug bereits die Reiseflughöhe von 30.000
       Fuß erreicht haben. An Bord befanden sich vor allem russische Touristen.
       Mindestens 17 Todesopfer waren Kinder.
       
       Nach Angaben von Sicherheitskreisen in Kairo gehen die ägyptischen Behörden
       von einem technischen Versagen aus. Die Möglichkeit eines Terroranschlags
       schlossen sie von vornherein aus. Angeblich habe die Mannschaft schon kurz
       nach dem Start den ägyptischen Fluglotsen mitgeteilt, sie wolle im
       nächstgelegenen Flughafen al-Arisch notlanden. Dies wurde von unabhängiger
       Seite bisher nicht bestätigt. Etwa vierzig Kilometer vor al-Arisch stürzte
       die Maschine abrupt senkrecht in die Tiefe.
       
       In Moskau wurden sofort Ermittlungen gegen die Fluggesellschaft Kolavia
       eingeleitet. Das Unternehmen tritt seit 2012 auch unter dem Namen Metrojet
       auf. Nach mehreren Unfällen mit Maschinen russischen Typs änderte es seinen
       Firmennamen. Auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo durchsuchten Fahnder die
       Firmenräume. In Samara wurden in einem Depot Proben des Flugbenzins
       entnommen, das auch der Airbus getankt haben soll.
       
       ## Unglaubwürdiges IS-Bekenntnis
       
       Kolavia weist menschliches Versagen und einen technischen Defekt als
       Unglücksursache zurück. Der Pilot habe mit mehr als 12.000 Flugstunden zu
       den erfahrenen Kollegen gezählt, sagte eine Sprecherin. Außerdem sei die
       Maschine vor dem Flug noch gewartet worden und verfüge über alle
       notwendigen Zertifikate. Diese würden nur von internationalen
       Aufsichtsstellen erteilt, hieß es.
       
       Damit versuchte die Gesellschaft, der Vermutung zuvorzukommen, bei den
       Genehmigungsverfahren könne Korruption im Spiel gewesen sein. Präsident
       Wladimir Putin setzte noch am Samstagmittag eine Untersuchungskommission
       ein, deren Leitung Ministerpräsident Dmitri Medwedew übernehmen soll. Für
       Sonntag ordnete der Kremlchef Staatstrauer an.
       
       Kurz darauf beanspruchte eine Untergruppe der Terrororganisation
       Islamischer Staat (IS) via Twitter die Urheberschaft für die Tragödie: Die
       „Soldaten des Kalifats haben es geschafft, ein russisches Flugzeug in der
       Provinz Sinai abzuschießen“. Der Abschuss sei eine Racheaktion für
       Russlands Militäreinsatz in Syrien. An Bord der Maschine seien über 220
       „Kreuzzügler“ getötet worden, heißt es in dem Tweet. Bevor Moskau in den
       Krieg in Syrien eingriff, hatte die orthodoxe Kirche von einem Kreuzzug
       gesprochen und Jets der Luftwaffe geweiht.
       
       ## Ägypten als beliebtes Reiseziel für Russen
       
       Ägyptische Stellen und Moskaus Verkehrsministerium halten das IS-Bekenntnis
       nicht für glaubwürdig. Auch die Luftfahrtbehörde warnte vor voreiligen
       Schlüssen. Wäre ein Terrorakt die Unglücksursache, hätte das schwerwiegende
       Folgen für den ägyptischen Tourismus. Drei Millionen Russen verbringen
       jedes Jahr Ferien in Ägypten. Mit der Wirtschaftskrise und Moskaus
       Isolation rückte das Land zum beliebtesten Reiseziel auf.
       
       Auch für Russlands Syrien-Politik wäre dies ein Rückschlag. Offiziell
       schützt Moskau sich mit dem Einsatz in Syrien vor Gefahren des radikalen
       Islams. Im Vorfeld gaben russische Beobachter bereits zu bedenken, dass das
       Engagement jenseits der Landesgrenzen antirussischen Terror erst befördern
       könnte. Auffällig ist, dass die staatlich gelenkten Medien der
       Terrorvermutung so gut wie keinen Platz einräumen.
       
       Mehrere westeuropäische Luftfahrtbehörden warnen seit einigen Wochen vor
       dem Überflug des Nordsinai. In Russland erfolgte keine Warnung. Teile der
       Halbinsel werden von IS-Milizen beherrscht. Schon vor längerer Zeit wurde
       diese bergige Region zum Sperrgebiet erklärt. Einige westliche
       Fluggesellschaften nehmen daher nicht mehr die Nordroute nach Sharm
       al-Sheikh, sondern weichen auf die südlichste Route aus.
       
       Zielorte im Mittleren Osten, die bislang über das Sinai-Gebiet angeflogen
       wurden, würden jetzt je nach Bestimmungsort rechts oder links
       vorbeigeleitet, teilte Lufthansa mit. Es handele sich um eine
       Vorsichtsmaßnahme, da die Unglücksursache noch nicht feststehe. Mehr las 80
       Mitarbeiter des russischen Katastrophenschutzes sind auf dem Sinai im
       Einsatz. Mit der Rückführung der sterblichen Überreste nach Sankt
       Petersburg wird am späten Sonntagabend gerechnet.
       
       1 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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