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       # taz.de -- Mietenvolksentscheid vor dem Aus: Ein Aufbruch geht zu Ende
       
       > Die Initiative für soziales Wohnen distanziert sich neun Wochen zu spät
       > und sehr halbherzig vom Kompromiss mit dem Senat. Die Kraft der Bewegung
       > ist dahin.
       
   IMG Bild: Da war man noch tatkräftig bei der Sache: Unterschriftenaktion der Initiative Mietenvolksentscheid im Juni.
       
       Sein Lächeln hat nicht lange gehalten, seine Gesichtszüge gleiten hin und
       her zwischen Ärger und Verzweiflung. Es ist Freitagabend, und Max Manzey
       von der Initiative Mietenvolksentscheid sitzt inmitten einer
       Diskussionsrunde im Weddinger Ex-Rotaprint. Das Thema: „Der
       Mietenvolksentscheid: Niederlage oder Erfolg für die stadtpolitische
       Bewegung?“
       
       Um Manzey herum sitzen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener
       Initiativen, allesamt größere und kleinere Mitstreiter im Kampf für ein
       neues Wohnraumgesetz. Sie wechseln die Plätze zwischen Publikum und
       Diskussionskreis, so ist das in der „Fishbowl“-Methode. Doch Manzey bleibt
       lange in der Runde. An ihn ist schließlich eine Geschichte adressiert, die
       an diesem immer wieder erzählt wird. Es ist eine Geschichte des Scheiterns.
       „Aber das ist nicht die Geschichte, die ich erzählen will“, sagt Manzey.
       
       Manzeys Geschichte beginnt im April dieses Jahres. Damals startete die
       Initiative ihre Unterschriftensammlung für ein neues Wohnraumgesetz. Sie
       forderte unter anderem die Umwandlung städtischer Wohnungsbaugesellschaften
       in Anstalten öffentlichen Rechts und die Errichtung eines
       Wohnraumförderfonds, der ökonomisch schwache Schichten vor hohen Mieten
       schützen sollte.
       
       Berlins Bürger gefiel das. Mindestens 20.000 Unterschriften musste die
       Initiative in der ersten Phase des Volksbegehrens sammeln. Sie reichte mehr
       als 48.000 ein. Der Senat reagierte: Einerseits drohte man mit einer
       Verfassungsklage – zu schwerwiegend seien die Eingriffe in das Budgetrecht
       des Abgeordnetenhauses.
       
       ## Es kam zu Gesprächen
       
       Andererseits bewegte sich die SPD auf die Initiative zu, es kam zu
       Gesprächen. Am Ende stand ein Entgegenkommen: ein Gesetzesvorschlag der
       Sozialdemokraten. Über ihn soll am 12. November im Abgeordnetenhaus
       abgestimmt werden.
       
       Manche feiern das als Erfolg, so auch Max Manzey. „Wir haben eine breite
       Öffentlichkeit geschaffen. Ohne diese Bewegung hätte es das Gesetz nicht
       gegeben“, resümiert er im Ex-Rotaprint. Doch das sehen hier die wenigsten
       so. Ein tiefer Graben verläuft zwischen den Sprechern in den Hinterzimmern
       und den Aktivisten und Sammlern auf der Straße, zwischen Realos und
       Revolutionären. Für Letztere ist der „Kompromiss“ mit den Sozialdemokraten
       ein Verrat an der Bewegung.
       
       Das liegt unter anderem daran, dass das SPD-Gesetz hinter dem der
       Initiative zurückbleibt. Das kritisierte diese in einer kürzlich
       veröffentlichten Stellungnahme. Es sei zwar „ein erster Schritt in die
       richtige Richtung“, biete aber „auf viele der drängendsten Probleme keine
       Lösung“. Die Ausstattung des neuen Wohnraumfonds sei mangelhaft, die
       Subventionen im sozialen Wohnungsbau zu niedrig, die Einbindung der
       Landeswohnungsunternehmen in eine Dachgesellschaft öffentlichen Rechts zu
       wenig.
       
       ## „Nicht mit der SPD ins Bett“
       
       Doch in der Öffentlichkeit bleibt trotz aller Dementis der Eindruck eines
       Kompromisses, an dem die Initiative mitgewirkt hat. Als Revoluzzer
       gestartet, als Erfüllungsgehilfen der Sozialdemokraten geendet – die Basis
       der Initiative versetzt das in Wut. „Man steigt nicht mit der SPD ins Bett
       und wundert sich, dass man über den Tisch gezogen wurde“, sagt Margarete
       Heitmüller von „100% Tempelhofer Feld“. Und ihre Kollegin Kerstin Meyer
       klagt: „Das Wichtigste – dass die Bürger entscheiden – ist uns verloren
       gegangen.“ Jetzt, so sind sich die Kritiker einig, sei die Bewegung
       erlahmt. Die Kraft, die Initiative zu Ende zu führen: dahin.
       
       Wie es mit ihr weitergehen wird, bleibt auch am Freitag unklar. Das liegt
       nicht nur am internen Ärger. Es ist noch immer nicht geklärt, ob der
       Gesetzesvorschlag der Initiative verfassungswidrig ist. Auf ein Gutachten
       des Senats wartet man schon seit Monaten. „Skandalös“, findet Max Manzey.
       Auch er lässt offen, ob die Initiative weitermacht, wenn das Gesetz des
       Senats am 12. November verabschiedet wird. Vieles spricht jedoch dafür,
       dass sie am Ende ist.
       
       1 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Bolsinger
       
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