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       # taz.de -- Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin: Welcome to Refugee City Tempelhof
       
       > Der Regierende Bürgermeister will den Flughafen Tempelhof komplett zur
       > Unterbringung nutzen. Müller fordert im Parlament eine humane
       > Flüchtlingspolitik.
       
   IMG Bild: Der nächste Hangar von Tempelhof wird vorbereitet: Betten und Zelte stehen bereit.
       
       Mit einer Ruck-Rede zu einer „humanen Flüchtlingspolitik“ und kaum
       verhohlener Kritik am Koalitionspartner CDU hat der Regierende
       Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Donnerstag für Aufregung im
       Abgeordnetenhaus gesorgt. „Wie kann man sich besoffen reden am Instrument
       der Abschiebung“, sagte er mit Blick auf den abwesenden Innensenator Frank
       Henkel (CDU). Müller forderte Politik, Verwaltung und BürgerInnen zu einer
       „gemeinsamen Kraftanstrengung“ und einem „Mentalitätswechsel“ auf: „Wer
       sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlt, sollte Platz machen“, sagte er –
       was Linksfraktionschef Udo Wolf in seiner Replik als „Rücktrittsforderung
       aller erster Klasse“ an Sozialsenator Mario Czaja (CDU) interpretierte.
       
       Er wie auch die anderen Oppositionsredner zeigten sich positiv überrascht
       vom Auftritt des Regierenden. „Große Teile meiner Rede haben Sie selbst
       gehalten“, sagte Piraten-Fraktionschef Martin Delius. Von der CDU kam
       dagegen eher gelegentlich Applaus.
       
       Abschiebungen, so Müller in seiner Rede, werde es zwar geben. Aber selbst
       wenn man die Zahl von 100 auf 300 verdreifachen würde, gäbe es noch immer
       17.000 Menschen pro Monat, die bleiben würden. Auf diese riesige Aufgabe,
       sie in eine ohnehin „wachsenden Stadt“ zu integrieren, müssten die
       BerlinerInnen sich einstellen. er forderte alle Fraktionen des
       Abgeordnetenhauses auf, diesen „Mentalitätswechsel“ mit zu tragen, „weil
       wir es schaffen müssen“. Die Politik habe keine einfachen Lösungen, jeder,
       der das suggeriere, trage zur weiteren „Politikverdrossenheit“ bei, sagte
       Müller. Und er sei froh um die vielen BerlinerInnen, die sich AfD und
       Pegida entgegenstellen würden und ihnen sagten, „ihr gehört nicht dazu“.
       
       Konkret stellte Müller einen 9-Punkte-Katalog an vor allem kurzfristigen
       flüchtlingspolitischen Maßnahmen vor: behördenübergreifende Arbeitsgruppen
       zur Suche nach Unterkünften, eine Änderung des Allgemeinen
       Zuständigkeitsgesetzes (AZG), um schneller leer stehende Büroräume und
       Flächen beschlagnahmen zu können, „wenn Bezirke zu langsam sind“, mehr
       Personal zur Registrierung von und Leistungsauszahlung an Flüchtlinge, ein
       neues „überregionales“ Bürgeramt für Flüchtlinge, Änderung der Berliner
       Bauordnung, um Standards für Flüchtlingsunterkünfte „anzupassen“. Der
       Regierende kündigte zudem an, den früheren Flughafen Tempelhof „komplett“
       nutzen zu wollen, „nicht nur zwei oder drei Hallen, sondern alle sieben“,
       zudem „mobile Einrichtungen“ an den Rändern des Feldes. Laut Müller könnten
       so um die 5.000 Menschen in Tempelhof unterkommen – eine kleine Stadt in
       der Stadt für Flüchtlinge.
       
       Ohnehin werde man auf nicht absehbare Zeit alles nutzen müssen, was zur
       Verfügung stehe, so Müller weiter: Turnhallen, Zelte, Messe, ICC und die
       ILA-Hallen in Selchow. Selbstkritisch gab er zu, der Senat habe in den
       letzten Monaten nicht alles richtig gemacht. Auch er selbst habe sich
       einige Male korrigieren müssen, etwa bei der Ablehnung von Zeltstädten und
       Großunterkünften. „Ich habe das nicht durchhalten können“, sagte er.
       
       Scharfe Kritik übte der Regierungschef an Bezirken, die versuchten, die
       Zahl der Flüchtlinge bei sich möglichst klein zu halten und neue
       Unterkünfte zu verhindern. Auch zur Situation am Landesamt für Gesundheit
       und Soziales (Lageso) fand Müller deutliche Worte: Zwar habe sich die
       Situation dort „schrittweise verbessert“, dennoch herrschten „inakzeptable
       Zustände“ mit nachts wartenden Erwachsenen und Kindern. „Ich will diese
       Bilder nicht weiter sehen“, so Müller. Und: „Ich erwarte strukturelle und
       personelle Veränderungen im Lageso“.
       
       Zur bereits laufenden Debatte über eine mögliche Änderung des Gesetzes zum
       Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Asog), mittels deren Berlin
       – wie bereits Hamburg – leer stehende Gebäude einfacher beschlagnahmen
       könnte, befand Müller, es sei „unerträglich“, dass einige Politiker „Ängste
       schüren“, der Senat wolle Privatwohnungen aufbrechen. Es gehe vielmehr um
       Gebäude, in denen „vier- bis fünftausend Quadratmeter Büroflächen seit
       Jahren leer stehen“. Überlegungen in diese Richtung seien nicht nur im
       Interesse der Flüchtlinge, sondern auch in dem von Firmen und
       BerlinerInnen, die eine Wohnung suchen. Ein Gesetzesentwurf zu diesem Thema
       hatte die Oppositionsparteien just an diesem Tag eingebracht. Entsprechend
       verstand Linksfraktionschef Wolf Müllers Aussage als Aufforderung an die
       SPD-Abgeordneten, dem Oppositionsentwurf zuzustimmen. Ob dies passiert ist,
       war bis Redaktionsschluss nicht bekannt.
       
       12 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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