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       # taz.de -- Eine Begegnung mit Franz Dobler: Der Furor entsteht aus Notwehr
       
       > Der Schriftsteller Franz Dobler schreibt über Outlaws, Eskapismus, Musik.
       > Nun liest er aus der Autobiografie des Countrysängers Willie Nelson.
       
   IMG Bild: Franz Dobler, 2010. Natürlich raucht er. Natürlich an einem Bahnhof. Auch wenn das hier der von Berlin ist und nicht der in Augsburg.
       
       Natürlich in der Bahnhofsgaststätte. Wo sonst würde das Treffen mit Franz
       Dobler stattfinden? Dem Augsburger Popliteraten, Countryfan und
       Biertrinker. Und nebenbei besten Werbeträger, den sich die Bahn wünschen
       kann: ein Autoverweigerer ohne Führerschein.
       
       Und dann feiert sein vergangenes Jahr bei Klett-Cotta erschienener Krimi
       „Ein Bulle im Zug“ auch noch Bahnfahren als eine der letzten Bastionen des
       Eskapismus. Die Hauptfigur, Faller, ein Außenseiter, wie sie Dobler mag,
       ist ein abgehalfterter Polizist, den es quält, einen jungen Kriminellen
       erschossen zu haben. Vielleicht aus Notwehr. Wenn es dunkel wird, strandet
       Faller immer da, wo alle guten Storys anfangen: am Bahnhof, so heißt es im
       Roman nach Tucholsky. Aber eigentlich sind wir hier, um ihn nach seiner
       Country-Passion zu befragen.
       
       „Deutschlands größter Südstaaten-Outlaw-Dichter“, nannte der Journalist
       Karl Bruckmaier [1][diesen Dobler einmal]. Vor jenem Outlaw-Dichter steht
       jetzt ein Glas Bier, eine Packung Zigaretten liegt daneben. Dobler raucht
       Kette und beginnt zu erzählen. Wie kommt es, dass dieser charmant-besonnene
       Mann mit der sonoren Stimme so wütende Texte schreibt? Der 56-Jährige kann
       beim Schreiben zum Grantler werden. Von ihm stammt die einzige
       deutschsprachige Biografie von Country-Raubein Johnny Cash, hierzulande
       gilt er seither als Experte.
       
       Nun geht Dobler mit der gerade erschienenen und nicht von ihm übersetzen
       Autobiografie „Mein Leben: Eine lange Geschichte“ des Country-Outlaws
       Willie Nelson auf Lesetour. Das passt. Countrysänger war schon immer ein zu
       kleines Wort für Nelson, hat Dobler einst geschrieben. Da war der
       US-Künstler gerade 70. Inzwischen ist er 82, und nun bringt Dobler mit
       seiner Stimme Nelsons bewegtes Leben zur Entfaltung.
       
       Banales klingt dann besonders, etwa, dass Willie schon als Kind im
       texanischen Abbott von Musik fasziniert war. Aber auch Tragikomisches
       bekommt, ausgesprochen von Dobler, einen Dreh, etwa, warum es bei Nelson
       mit den Frauen nicht so lief: „Im Grunde bin ich mit den Vertreterinnen des
       anderen Geschlechts mein Leben lang wunderbar ausgekommen, bis ich anfing,
       sie zu heiraten.“
       
       Nicht zu vergessen Nelsons Kampf für die Legalisierung von Marihuana, der
       etliche Seiten der Autobiografie füllt. Mittlerweile rauche Nelson THC in
       der E-Zigarette, auch das steht in dem Buch. Und, wie der Star vor dem
       Bankrott stand, als ihm die Steuerbehörde 32 Millionen Dollar abknöpfte.
       Man müsse die Weisheiten des großen alten Mannes ernst nehmen, [2][bemerkt
       Dobler dazu in seinem Blog], und zitiert eine Stelle, die den Ton des
       Buches sehr gut trifft: „Was ist der Unterschied zwischen einem
       Steuerfahnder und einer Hure? Eine Hure hört auf, dich zu ficken, wenn du
       tot bist.“ Könnte fast aus einem Dobler-Krimi stammen. Wenn ein Mann in
       „Ein Bulle im Zug“ Sex haben will, heißt das dann eben, er will ihn „mal
       reinstecken“.
       
       Also doch lebenslang Country? Dobler winkt ab. „Die Leute denken, ich bin
       der Typ, der ausschließlich Johnny Cash hört. Dabei höre ich kaum diese
       Countrymusik.“ Er klingt amüsiert. Außerdem: „Ich muss nicht 50 neue Alben
       anhören, um festzustellen, dass 49 davon Schrott sind.“ Überhaupt sei er
       ein viel zu fanatischer Musikfan, um bei einem Genre stehenzubleiben. Okay,
       sprechen wir über andere Stile. Momentan mag Dobler afrikanischen und
       türkischen Pop und die Alben von Souljazz Records aus London (“nicht nur
       Reggae, sondern die große elektronische Abteilung“). Und generell: „Ich
       habe Blues und Jazz gehört, als es keine Sau interessierte.“
       
       ## Wanda ödet ihn an, Joe Strummer nicht
       
       Die gehypte Wiener Rockband Wanda öde ihn dagegen an (“bin nicht mehr so
       interessiert an Pop und Rock von jungen weißen Männern mit Gitarren“), die
       österreichische Künstlerin Gustav sei aber ganz toll. Und Joe Strummer und
       The Clash seien „ihrer Zeit weit voraus“ gewesen und deshalb „einzigartig“.
       
       Dobler schreibt nicht nur seit Jahrzehnten klug über Musik, er zelebriert
       das musikalische Element gesprochener Sprache auch in seinen Lesungen wie
       wenig andere Autoren. Auftritte inszeniert er als rhythmische Performances,
       indem er etwa den Takt der Sprache auf den Tisch hämmert. Rezitiert er ein
       Gedicht wie „Tango und Benzin“ über einen unglückseligen DJ, der finnischen
       Tango spielen muss, knallt das wie ein DJ-Set selbst: „Johnny Cash. Ich
       sagte, nie vor zehn und suchte Nina Simone.“
       
       Da schimmert ein Furor durch, den man bei ihm im Gespräch nur erahnen kann.
       Der Autor als Schauspieler. Dobler mag das: „Ich versuche, möglichst viel
       rauszuholen und eine eigene Form zu schaffen.“ Oft geht es in seinen Texten
       ums Scheitern, das ist etwas, was Dobler aus eigener Anschauung kennt. Gut,
       der „Bulle im Zug“ ist ein kommerzieller Erfolg. Vierte Auflage,
       Krimipreis. Das war aber nicht immer so. Klar kenne er Existenzangst.
       Gerade sei er in einer guten Phase. Dann erzählt er von einem Sommer vor
       ein paar Jahren, als er, um sich und seine Familie über Wasser zu halten,
       in einem Biergarten Maßkrüge spülte: „Mit der Hand zu arbeiten war geistig
       erholsamer, als dasselbe Geld mit irgendwelchen Artikeln zu verdienen.“
       
       ## Die langen Schatten des Nationalsozialismus
       
       Vielleicht kommt da eine Prägung durch, die jemand hat, der 1959 im
       oberbayerischen Schongau geboren wird und vom Vater nach der Schule hört,
       er solle erst mal eine anständige Ausbildung absolvieren. Die langen
       Schatten des Nationalsozialismus beschäftigen Dobler als Autor immer
       wieder. Er erinnert sich an Sätze wie „Unter Hitler hätte es das nicht
       gegeben“, die er in seiner Jugend ständig hörte, obwohl die 68er schon
       längst Krawall gemacht hatten.
       
       Seinen ganzen Zorn packt Dobler 1991 in den großartigen Debütroman
       „Tollwut“, eine Geschichte wie ein Faustschlag, die nahe der „Kazettstadt“
       Dachau spielt. „Wenn es bloß jemanden gäbe, den ich verklagen könnte, so
       lange immer wieder über Nazischeiße nachdenken zu müssen“, grinst Dobler
       süffisant. „Es ist ein Akt von Notwehr, dass ich mich mit Politik
       beschäftige. Die Vergangenheit kommt immer wieder zurück wie ein lautes
       Echo.“ In seinem Krimi „Ein Bulle im Zug“ gibt es sogar einen Mann, der
       Selbstmord begeht, um nicht mit Nazis diskutieren zu müssen.
       
       Doblers Werk lässt sich nirgendwo so richtig einordnen. Wegbegleiter sind
       bis heute Autorenkollegen wie Thomas Meinecke, Lorenz Schröter oder Andreas
       Neumeister, die er kennenlernt, als er Anfang der Achtziger nach München
       zieht. Die Genannten vereint schon damals der Gestus der Ablehnung: „Es
       ging uns darum, Abstand zu etwas von vorher herzustellen.“ Gegen
       Literaturbetriebsnudeln wie Walser und Grass: „Diese großen alten deutschen
       Männer wirkten abschreckend auf mich. Da war keiner dabei, für den ich
       Respekt empfand.“ Mit dem Schriftsteller Friedrich Ani verbindet Dobler
       dagegen eine lange Freundschaft.
       
       Die unorthodoxe Radiosendung „Zündfunk“ im bayerischen Rundfunk bietet
       Dobler bis heute ein mediales Zuhause, Jörg Fauser ein literarisches.
       Fauser bleibt für Dobler bis heute ein Fixpunkt. Es gibt Parallelen, was
       Kompromisslosigkeit, Settings und Sound angeht. Aber begegnet ist er Fauser
       nie. Dobler erinnert sich an eine Literaturreihe im Münchner
       Rationaltheater, die er kuratierte und zu der er Fauser einladen wollte.
       Nein danke, er mache zur Zeit keine Lesungen, war die Begründung von
       Fausers Absage. „Auf die Underground-Szene hatte er wohl keine Lust mehr“,
       sagt Dobler.
       
       Seit 1991 lebt Dobler mit Frau und Tochter in Augsburg. Ob es mal den
       Wunsch gab, von dort, aus der bayerischen Provinz wegzugehen? Überlegungen
       ja, das schon. Geblieben ist er trotzdem. Überhaupt: Patriotismus oder
       Lokalpatriotismus findet Franz Dobler absurd: „Kann man für seine Stadt und
       sein Land etwas anderes als Hassliebe empfinden?“
       
       5 Nov 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ry-Cooder-zum-65.-Geburtstag/!5098616/
   DIR [2] http://www.franzdobler.de/2015/11/01/soooooooo/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annette Walter
       
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