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       # taz.de -- Grüner Mutlu über Antidoping: „Das Gesetz ist Murks“
       
       > Es soll ein Meilenstein im Kampf gegen den Sportbetrug sein. Aber der
       > Grünen-Politiker Özcan Mutlu lässt kein gutes Haar am neuen
       > Antidopinggesetz.
       
   IMG Bild: Schon kleine Mengen können großen Ärger für Athleten bedeuten
       
       taz: Herr Mutlu, ist das Antidopinggesetz, das heute im Bundestag
       verabschiedet werden soll, ein großer Wurf oder Murks? 
       
       Özcan Mutlu: Das ist kein großer Wurf und zielt auf eine Kriminalisierung
       der Athleten. Die Sportler werden auch in puncto Datenschutz rechtlos
       gestellt. Das sogenannte Selbstdoping schränkt überdies das Recht auf
       Selbstschädigung ein. Auch die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit sehen
       wir sehr problematisch und werden deshalb diesen Gesetzentwurf ablehnen.
       
       Was meinen Sie mit Kriminalisierung von Athleten? 
       
       Der Gesetzentwurf ist fokussiert auf den Athleten. Wir sind aber der
       Meinung, dass auch das Umfeld des Athleten ins Visier genommen werden muss,
       also Trainer, Betreuer und Hintermänner. Darüber hinaus geht der
       Gesetzgeber mit sehr schwammigen Begrifflichkeiten um wie der „Integrität
       des Sports“ und der „Fairness im Sport“. Damit wird das Phänomen des
       Dopings nicht in ernsthafter Weise angegangen.
       
       Inwiefern wird Ihrer Meinung nach gegen Datenschutzrichtlinien verstoßen? 
       
       Die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada, eine privatrechtliche Stiftung,
       bekommt weitreichende Befugnisse. Sie kann Daten erheben, speichern und von
       Gerichten anfordern. Das war einer der wesentlichen Kritikpunkte in der
       Anhörung vorm Sportausschuss, wo Rechtswissenschaftler festgestellt haben,
       dass die Nada hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, indem sie quasi ermittelt und
       Daten erfasst. Das ist problematisch.
       
       Jetzt müssen Sportler, die mit „geringen Mengen“ erwischt werden, also
       einer einzigen Anabolika-Pille, mit einem Strafverfahren und
       möglicherweise einer mehrjährigen Strafe rechnen. Das ist neu. Früher
       wurde der Staatsanwalt nur bei einer „nicht geringen Menge“ tätig, wenn
       überhaupt. 
       
       Diese uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit problematisieren ja auch die
       Athleten selbst. Nur ein Szenario, was durchaus möglich ist, wenn eine
       gewisse kriminelle Energie vorhanden ist: Der Sportler befindet sich im
       Wettkampf mit anderen Athleten – und einer von denen steckt ihm eine
       Ampulle oder Medikamentenschachtel in die Trainingstasche – und wird dann
       damit erwischt. Da kann der Sportler tausendmal sagen, dass ihm das
       untergejubelt worden ist, geglaubt wird ihm wohl kaum.
       
       Für Bagatelldelikte hat sich die Große Koalition in der Neufassung des
       Gesetzes den Passus der „tätigen Reue“ ausgedacht. Was ist denn damit
       gemeint? 
       
       Keiner von der Koalition konnte mir erklären, was das bedeutet. Wo beginnt
       die sogenannte tätige Reue, und wo endet sie? Die Interpretation wird
       Gerichte sicherlich noch beschäftigen. Angesichts dieser Tatsache frage ich
       mich, ob es überhaupt Sinn macht, die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit
       so im Gesetz festzuschreiben.
       
       Was ist mit dem juristischen Grundsatz ne bis in idem: Man darf nicht
       zweimal für dieselbe Tat angeklagt werden. Muss der gedopte Sportler jetzt
       mit einer Doppelstrafe durch Sportschiedsgerichte und durch Strafgerichte
       rechnen? 
       
       Das ist ein Streitpunkt, über den die Regierung wenig Klarheit schaffen
       konnte. Soll denn nun der autonome Sport gegen Doping kämpfen oder sollen
       das staatliche Strafverfolgungsbehörden? Einerseits sollen die
       Sportschiedsgerichte gestärkt werden, andererseits kommt das Strafgesetz
       zum Einsatz, das eigentlich als Ultima Ratio, als allerletztes Mittel
       greifen darf. Meiner Meinung nach darf das Strafgesetz nur dann zum Einsatz
       kommen, wenn ein Sportbetrug nachgewiesen werden kann.
       
       Was ist Sportbetrug? 
       
       Der Sportler dopt, er verfälscht sportliche Ergebnisse und erschleicht sich
       Verträge mit wirtschaftlichen Gewinnabsichten. Das erfüllt den Tatbestand
       des Sportbetrugs.
       
       Denkbar ist also künftig folgendes Szenario: Ein Sportler wird
       sportrechtlich bestraft, vor einem ordentlichen Gericht aber
       freigesprochen. Was dann? 
       
       Gute Frage! Auch hier findet das Gesetz keine Antwort. Deswegen ist es
       Murks.
       
       13 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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