URI: 
       # taz.de -- Retrofuturistisches Hörspiel-Musical: Die Pioniere vom Aero Club
       
       > „Sonora Mystery“ erzählt von Antigraviationspulver, von Geheimbünden und
       > Zeppelinen. Das Hörspiel changiert zwischen Mockumentary und Musical.
       
   IMG Bild: Wer hat dieses Luftschiff zum Fliegen gebracht?
       
       Gab es im 19. Jahrhundert eine kalifornische Ufo-Sekte zur Eroberung des
       Luftraums? War Peter Mennis der Erfinder des ersten steuerbaren
       Luftschiffs, der „Aero Goosey“? Und was verbarg sich hinter dem grünen
       Antigravitationspulver der Aeronauten?
       
       Diesen Fragen widmet sich das opulente retrofuturistische Hörspiel-Musical
       „Sonora Mystery“ – die letzte Arbeit von Ergo Phizmiz. Und die erste von D.
       W. Robertson. Nach fünfzehn Jahren hat sich der 1980 geborene britische
       Multi-Instrumentalist und Performancekünstler entschlossen, hinter seinem
       Pseudonym hervorzutreten – oder, wie er selbst es ausdrückt, „to kill off
       Ergo Phizmiz“.
       
       Produziert wurde die Radioarbeit vom BR. Der mysteriöse
       Betrachtungsgegenstand ist der „Sonora Aero Club“. Ob es den je gegeben
       hat, ist unklar. Einziger Anhaltspunkt für die Existenz des „Aero Club“
       sind die Aufzeichnungen von Charles A. A. Dellschau, der als junger Mann
       Mitte des 19. Jahrhunderts von Preußen nach Nordamerika ausgewandert war.
       
       Teile seiner Illustrationen von Flugmaschinen, die Ballons und Zeppelinen
       ähneln, wurden in den 1950er Jahren in Houston entdeckt. Die Zeichnungen
       sind mit Texten versehen und mit Zeitungsauschnitten (von Dellschau „Press
       Blooms“ genannt) collagiert. Dellschau behauptete, der „Sonora Aero Club“
       habe mit Antigravitationsmittel und ominöser Geheimformel die Luftfahrt
       erfunden.
       
       ## Es seufzt das Akkordeon, es gurrt die Ukulele
       
       „Sonora Mystery“ bildet um dieses angebliche Pioniertum nun eine ganze
       Story, die als Musical szenisch dargestellt wird. D. W. Robertson (bzw.
       Ergo Phizmiz) zeigt auch musikalisch sein Können – in den atmosphärisch
       sehr konkreten Themen der einzelnen Szenen und den sich daraus
       entwickelnden Songs. Für die Umsetzung der Komposition hat Soundartist
       Robertson einem Harmonium Atem eingehaucht, ein Akkordeon zum Seufzen
       gebracht und sich auch an Ukulele, Violine und vielem mehr betätigt.
       Orchestral aufgeschichtet wurden die Einzelaufnahmen nachträglich.
       
       Der Hörer folgt dem entrückten Charakter Dellschau (gesprochen von Michael
       Malak), Held der Handlung. Zunächst wohnt Dellschau den Treffen des „Sonora
       Aero Club“ als Chronist bei. Nach einigen Jahren Abwesenheit stößt er
       erneut zu den Luftfahrern. Es kommt zum lebensbedrohlichen Konflikt mit dem
       in der Zwischenzeit zum Sektenführer und Schurken avancierten Peter Mennis
       (D. W. Robertson). Entkommen kann Dellschau via Himmelfahrt, bei der er die
       dunkle Seite des Mondes passiert.
       
       Ein erzählerischer Rahmen, der im Stil einer Doku gehalten ist, umfasst und
       gliedert das szenische Geschehen. Auf dieser zweiten Ebene wird das Spiel
       mit den Genregrenzen angestoßen, zu dem „Sonora Mystery“ einlädt. Am Anfang
       erweckt die Erzählerin (Selina Bloechlinger) den Eindruck, dokumentarisches
       Musiktheater zu präsentieren. Neben der karikaturenhaften Darstellung der
       Charaktere und dem absurden Geschehen wird diese Mockumentary-Illusion
       später noch einmal gebrochen, wenn die spärliche Faktenlage erläutert wird.
       Ein weiteres Spiel mit Fakt und Fiktion übernimmt „Sonora Mystery“ direkt
       von Dellschaus Collagen, den vorgetragenen „Press Blooms“.
       
       „Sonora Mystery“ ist ein experimentelles Hörspiel, ohne auf Hörerbindung zu
       verzichten. Es ist frei von Schenkelklopfern, enthält aber viel
       feinsinnigen Humor. Das zeigt auch die Abrechnung von Robertson mit dem
       unter „Birdman-Syndrom“ leidenden Mennis – ein Seitenhieb auf ein ähnliches
       Faible von Ergo Phizmiz.
       
       6 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rafik Will
       
       ## TAGS
       
   DIR Radio
   DIR Hörspiel
   DIR Retrofuturismus
   DIR Luftfahrt
   DIR James Joyce
   DIR RBB
   DIR ARD
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Experimentelles Hörspiel: Die Lust an der Abschweifung
       
       „Tristram Shandy“ gilt als Vorläufer der experimentellen Literatur. Und als
       nicht vertonbar. Der Bayerische Rundfunk hat es trotzdem gewagt.
       
   DIR Hörspiele aus Hollywood: Die goldene Ära des Radios
       
       In den 1930er und 1940er Jahren wurden Hörspiele in den USA aufwendig
       produziert – anders als heute. Eine neue Reihe des RBB läst die Ära wieder
       aufleben.
       
   DIR Hörspieltage der ARD: (K)ein Nebenbeimedium
       
       Erlebt das Hörspiel gerade eine Renaissance? Die Hörspieltage in Karlsruhe
       lassen das jedenfalls vermuten.