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       # taz.de -- Kommentar Asylpaket der Koalition: Hauptsache schnell abschieben
       
       > Die Spitzen der Koalition haben sich auf Maßnahmen geeinigt, die das
       > Asylverfahren beschleunigen sollen. Um Fluchtursachen geht es kaum.
       
   IMG Bild: Haben sich geeinigt: Sigmar Gabriel, Horst Seehofer und Angela Merkel (v.r.n.l.).
       
       An die Fluchtursachen hat die Regierung am Donnerstag nicht gedacht. Acht
       Seiten umfasst das Maßnahmenpapier, [1][auf dass sich die Koalition im
       Kanzleramt einigte]. Um die Frage, warum Menschen ihre Heimat verlassen,
       geht es aber nur an einer Stelle – und auch dort nur am Rande (um die Lage
       in Afghanistan zu verbessern, will die Regierung den Einsatz der Bundeswehr
       verlängern).
       
       Diese Prioritätensetzung ist verständlich: SPD, CDU und CSU wollen die Zahl
       der Flüchtlinge in Deutschland senken. So schnell wie möglich. Will die
       Koalition das schaffen, muss sie auf Abschottung und Abschiebungen setzen.
       Langfristig kann sie damit aber nicht verhindern, dass Menschen aus Krisen-
       und Armutsregionen nach Europa drängen.
       
       Beispiel Türkei und Syrien: In ihrem Papier kündigt die Koalition an, auf
       Erdogan und seine Regierung zuzugehen. Deutschland bietet den Türken Geld,
       neue Verhandlungen über den EU-Beitritt und Gespräche über
       Visa-Erleichterungen. Damit liegt die Bundesregierung auf Linie mit der
       EU-Kommission.
       
       Prinzipiell ist dagegen nichts einzuwenden. Dass Europa die Türkei
       jahrelang abweisend behandelte, hat dazu beigetragen, dass Erdoğan vom
       Demokratisierungsprozess, den Friedensgesprächen mit den Kurden und seinem
       pro-europäischen Kurs abrückte. Ihn und die Türken durch Angebote zu einem
       neuen Dialog zu bewegen, ist daher richtig.
       
       Geschenke wie die Visa-Freiheit für türkische Bürger kann Europa aber nur
       einmal vergeben. Die EU sollte also genau darüber nachdenken, welche
       Gegenleistung die Türkei fordert.
       
       ## Grenzsicherung Richtung Griechenland
       
       Die EU möchte, dass die Türkei die Grenze Richtung Griechenland besser
       sichert, also Flüchtlingsboote an der Abfahrt hindert. Die Koalition hat
       nun in ihr Papier geschrieben, dass die Türkei so rasch wie möglich „der
       Rückführung von Drittstaatsangehörigen aus der EU“ zustimmen solle. Beide
       Maßnahmen werden dazu beitragen, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland
       kommen oder hier bleiben. Wie viele weniger es sein werden, kann niemand
       vorhersagen. Klar ist aber: Die Maßnahmen sorgen nicht dafür, dass sich aus
       Syrien überhaupt keine Flüchtlinge mehr auf den Weg nach Europa machen.
       
       Dafür müsste der Krieg in Syrien enden. Auch die Türkei könnte einen
       Beitrag dazu leisten: indem sie aufhört, die Kurden zu bekämpfen. Deren
       syrische Miliz ist schließlich eine der wenigen halbwegs vernünftigen
       Kräfte, die dem IS Paroli bieten.
       
       Visa-Freiheit für die Türkei gegen Waffenstillstand mit den Kurden: Das
       wäre ein Angebot, mit dem EU und Bundesregierung einen Beitrag zur
       Entschärfung der Flüchtlingskrise leisten könnten. Dass dieser Plan
       aufgeht, wäre aber nicht garantiert. Dass er kurzfristig die Lage an den
       bayerischen Grenzübergängen beruhigt, wäre sogar ausgeschlossen. Und so
       beschließen die Koalitionsspitzen wenige Wochen nach der ersten
       Asylrechtsverschärfung ein achtseitiges Maßnahmenpaket zur zweiten
       Asylrechtsverschärfung, aber kein einziges Papier zur Bekämpfung der
       Fluchtursachen.
       
       6 Nov 2015
       
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