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       # taz.de -- Nepal nach dem Erdbeben: Blockade stoppt Wiederaufbau
       
       > Der Wiederaufbau nach den schweren Beben von April und Mai stockt. Denn
       > der Streit über die neue Verfassung hat zu einer Grenzblockade geführt.
       
   IMG Bild: Diese Bewohner Kathmandus haben sich von der Regierung subventioniertes Feuerholz zum Kochen gekauft. Wegen der Grenzblockade gibt es kaum noch Benzin und Gas.
       
       Kathmandu taz | Wo sonst auf Kathmandus Straßen zwischen Motorrollern,
       Kleinwagen und Lastern kaum eine Lücke zu finden ist, kommt man jetzt
       entspannt zwischen den wenigen Fahrzeugen auf die andere Seite.
       Fahrradklingeln und das Murmeln von Fußgängern haben die notorischen Hupen
       abgelöst. Treibstoff ist knapp und teuer.
       
       „Die jetzige Situation ist noch schlimmer als direkt nach dem Erdbeben,
       denn sie betrifft alle“, sagt der Fabrikbesitzer Ritesh Jajodia zur
       Stimmung in Nepals Hauptstadt.
       
       Seit Wochen protestieren die Madhesi- und die Tharu-Volksgruppe im Süden
       gegen die neue Verfassung, die am 20. September verabschiedet worden war.
       Die Grenzübergänge nach Indien werden blockiert und kaum Lastwagen
       durchgelassen. Die Protestierenden und ihre Unterstützer fühlen sich von
       der herrschenden Elite im Hochland ausgegrenzt und fürchten durch die
       Neuaufteilung der Provinzen weitere Nachteile.
       
       Nepal hängt bei Importwaren an Indiens Tropf. Kochgas und Benzin bezieht
       das kleine Himalajaland fast ausschließlich von seinem südlichen Nachbarn.
       Auf dem Schwarzmarkt kosten diese derzeit das Fünffache des üblichen
       Preises. In Wohnhäusern und Garküchen wird jetzt mit Holz gekocht.
       
       ## Maschinen stehen still
       
       In vielen Produktionsbetrieben geht nichts mehr. In Ritesh Jajodias Fabrik
       stehen seit 100 Tagen die Maschinen still. Der 30-jährige Unternehmer aus
       Kathmandu stellt Schaummatten her, die als Sitzunterlage verwendet werden.
       Dafür braucht er 35 Gasbehälter täglich. Doch selbst auf dem Schwarzmarkt
       sind solche Mengen nicht zu bekommen.
       
       „Zwei Monate lang habe ich die Arbeiter voll weiterbezahlt“, sagt er. Jetzt
       musste ich die Löhne auf 50 Prozent kürzen, aber bald kann ich mir auch das
       nicht mehr leisten.“
       
       Auch wichtige Medikamente, die wie Antibiotika nach Operationen gegeben
       werden, gehen aus. „Ohnehin schaffen es Menschen von weit her wegen der
       Transportprobleme kaum noch zu uns ins Krankenhaus“, sagt der Arzt Bhawesh
       Thapa vom Bir-Krankenhaus, der größten staatlichen Klinik in Kathmandu.
       
       ## Kathmandu und Delhi beschuldigen sich gegenseitig
       
       Die Nepalesen geben Indien die Schuld. Für sie steht fest, dass das
       Nachbarland die Grenze absichtlich blockiert und die Madhesi aufstachelt.
       Indiens Regierung bestreitet dies. Sie hatte allerdings Missfallen an der
       neuen Verfassung geäußert, weil diese die Rechte der Madhesi nicht genügend
       beachte. Und sie befürchtet, dass die politischen Unruhen über die Grenze
       schwappen könnten.
       
       Der Konflikt ist Teil eines Ringens um Einfluss. Indien betrachtet Nepal
       wegen der langen historischen und kulturellen Beziehungen als sein
       Protektorat und erwartet, dort gehört zu werden.
       
       Nepals Regierung hingegen verbittet sich jegliche Einmischung. Immer wieder
       kommt es deswegen zu Verstimmungen. Wirtschaftliche Interessen und Indiens
       Rivalität mit China um Nepals Wasserressourcen spielen in den Konflikt
       hinein.
       
       In dem politischen Konflikt ist der Wiederaufbau nach dem Erdbeben
       untergegangen. Er sollte nach der Monsunzeit beginnen, aber darauf folgte
       die politische Krise und die Regierung blieb tatenlos.
       
       ## Erdbebenopfer erhalten bisher kaum Hilfe
       
       Die Betroffenen haben bisher – wenn überhaupt – nur umgerechnet 130 Euro
       staatliche Ersthilfe erhalten. Nun steht wegen der Blockade auch die Arbeit
       der Hilfsorganisationen still.
       
       In den 14 Gebieten, die vom Erdbeben besonders betroffen waren, leben die
       Menschen immer noch in temporären Unterkünften aus Wellblech, die nicht
       winterfest sind. Bald fällt der erste Schnee.
       
       In manchen Gebieten droht auch noch Nahrungsmittelknappheit. Denn das
       Erdbeben hatte lokale Lagerräume zerstört und die Ernte fiel wegen des
       besonders starken Monsun vielerorts schlecht aus.
       
       Der Ernst der Lage scheint noch nicht bis ins Parlament vorgedrungen zu
       sein. Ein Treffen der Konfliktparteien, das vorab als entscheidend bewertet
       worden war, blieb vergangene Woche ergebnislos. Misstrauen und
       Parteirivalitäten dominierten.
       
       Jungunternehmer Jajodia sagt, was die meisten denken. „Unsere Politiker
       interessieren sich nicht für das Wohl des Landes, sondern nur für sich
       selbst.“
       
       ## Schon 50 Todesopfer bei den Protesten
       
       Am letzten Wochenende starben bei Zusammenstößen mit der Polizei in der
       Grenzregion wieder mindestens vier Menschen, was die Zahl der Toten bei den
       Protesten auf insgesamt 50 erhöhte.
       
       Im Parlament wird nun eine Verfassungsänderung diskutiert. In den nächsten
       Tagen soll darüber mit den Madhesi-Parteien verhandelt werden. Die
       Erfahrung lehrt, dass sich dies lange hinziehen kann.
       
       27 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicole Graaf
       
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