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       # taz.de -- Geschichtsdrama „Bridge of Spies“: Die Vorzüge amerikanischer Tugenden
       
       > Showdown auf der Glienicker Brücke: In „Bridge of Spies“ erweckt Steven
       > Spielberg einen Agentenaustausch aus dem Jahr 1961 zum Leben.
       
   IMG Bild: Tom Hanks spielt den Anwalt James Donovan, den Unterhändler im Agentenaustausch.
       
       1957, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges: Während der nette ältere Herr
       mit Hut die Mid-Hudson-Bridge auf Leinwand pinselt, wandert die Hand unter
       die Bank, auf der er sitzt, sucht und findet: eine Münze, die an der
       Unterseite befestigt ist. Wieder zu Hause öffnet er die Münze, in deren
       Hohlraum ein Zettel versteckt ist. Wenig später stürmt das FBI die Wohnung
       des älteren Herrn. Die Verhaftung des Atomspions Rudolf Abel steht am
       Anfang von Steven Spielbergs neuestem Film „Bridge of Spies“.
       
       Kurz nach der Verhaftung sitzen sich in einem verdächtig rauchfreien Club
       zwei distinguierte Herren gegenüber und klauben Formulierungen auseinander.
       Im Gesicht von James B. Donovan vertieft sich die bekannteste Sorgenfalte
       der Welt. Donovan (Tom Hanks) hat keine Ahnung, dass er schon bald die
       Verteidigung des bestgehassten Mannes der USA bekommen wird. Der Prozess
       und die Verteidigung sollen zeigen, dass auch ein Spion in den USA einen
       fairen Prozess bekommt. Der Prozessausgang, ein Todesurteil für Abel,
       scheint dennoch bereits festzustehen – bis Donovan beginnt, seinen Auftrag
       ernst zu nehmen.
       
       „Bridge of Spies“ lebt von seinen wiederkehrenden Momenten: Die Szene im
       Club wiederholt sich während der Prozessvorbereitungen, als ein CIA-Agent
       versucht, Donovan über Abel auszufragen. Als Donovan sich mit Verweis auf
       die anwaltliche Schweigepflicht weigert, erklärt ihm der CIA-Agent, in
       einem Fall wie diesem gebe es keine Regeln. Donovan kontert damit, dass
       auch in diesem Fall die Verfassung das Regelbuch sei. Die Folgen seines
       Handelns spürt er – auch dies ein wiederkehrendes Motiv – in den
       missbilligenden Blicken der New Yorker bei der morgendlichen Fahrt in der
       Metro.
       
       ## Reise nach Berlin 1961
       
       Einige Zeit nach Prozessende wird ein U2-Spionageflugzeug über der
       Sowjetunion abgeschossen und der Pilot, Gary Powers, gerät in
       Gefangenschaft. Um zu verhindern, dass der Pilot Geheimnisse verrät, wird
       Donovan beauftragt, die Möglichkeit eines Gefangenenaustauschs zu
       sondieren. Ein Angelausflug nach Großbritannien dient als Vorwand für eine
       Reise nach Berlin mitten im August 1961.
       
       Noch bevor „Bridge of Spies“ sich vollends von der Geschichte um Abel zur
       Geschichte Donovans als Unterhändler eines Gefangenenaustauschs wandelt,
       haben Spielberg und die Drehbuchautoren (die Coen-Brüder und Matt Charman)
       alle Elemente eingeführt: das Wechselspiel zwischen großer Bühne und
       kleinen Momenten in Clubs, Bars und dem Frühstücksraum des Westberliner
       Hilton, die Metro als Stimme des amerikanischen Volkes, der
       macchiavellische Opportunismus der Behörden, denen Donovan das Fairplay des
       Common Sense entgegenstellt.
       
       Die Erzählung ist klug gebaut, auch wenn die windungsreiche Geschichte dazu
       führt, dass der Film sich doch sehr darauf konzentrieren muss, die Handlung
       voranzutreiben und sich Szenen wie die im Club im weiteren Verlauf eher
       versagt. Der Coen-Touch macht sich im Drehbuch nur selten bemerkbar.
       
       Dass der Film nicht hölzern gerät, die Vorgaben des Handlungsverlaufs nicht
       vollends die Oberhand gewinnen, all das zeugt davon, dass Spielberg noch
       immer eine Liga für sich ist, wenn es darum geht, große Geschichte und
       bewegende Menscheleien zu Filmen zu amalgamieren. Wie bei anderen
       Spielberg-Filmen der 2000er Jahre besteht auch bei „Bridge of Spies“ ein
       Teil des Vergnügens darin, sich der Manipulationsmaschinerie des Films
       anzuvertrauen, zu fühlen, wie er auf der emotionalen Klaviatur spielt, und
       zugleich zu bewundern, wie gekonnt das geschieht.
       
       Die Befremdlichkeit einiger Bilder aus Ostberlin und von der
       deutsch-deutschen Grenze besteht darin, dass sie einen aus diesem Zustand
       herausreißt. Die klischeehafte Kalte-Krieg-Ikonografie würde eher zu einem
       Computerspiel als Kulisse passen als zu einer Verfilmung, die immerhin ein
       fernes Echo einer wahren Geschichte ist.
       
       ## Schnee, Stacheldraht und Ruinen
       
       Mehr noch: Die fortwährende Kombination von Schnee, Stacheldraht und Ruinen
       beschwört mehr Lagerästhetik und Zweiten Weltkrieg, als dem Film guttut.
       Spielbergs Stärke, das zeigt sich in „Bridge of Spies“ erneut, besteht eher
       darin, Räume für die Interaktion von Menschen zu schaffen, als die Räume
       selbst zum Sprechen zu bringen. Wie gut das funktionieren kann, zeigt das
       Ende des Films, dessen Schauplatz die Glienicker Brücke ist.
       
       „Bridge of Spies“ ist nicht die erste Verfilmung des Austauschs von Rudolf
       Abel. 1968 drehte der sowjetische Regisseur Savva Kulish den
       Agententhriller „Mjortwyi seson“ (“Tote Saison“), der ein Klassiker des
       sowjetischen Agententhrillers wurde. Das Spiel des Hauptdarstellers Donatas
       Banionis blieb nicht ohne Folgen: Der russische Präsident, Wladimir Putin,
       schwelgte wiederholt in der Anekdote, der Schauspieler habe ihn zur Arbeit
       beim KGB inspiriert.
       
       Der Vergleich mit „Tote Saison“ lässt die Betonung zivilen Handelns im
       Kontrast zur Logik des Politisch-Militärischen in Spielbergs „Bridge of
       Spies“ hervortreten. Einmal mehr nutzt Spielberg Tom Hanks als
       Projektionsfläche amerikanischer Tugenden. Deren Vorzüge mögen nicht immer
       auf der Hand liegen, zahlen sich jedoch – das ist eine der Erkenntnisse des
       Films – bisweilen mittelfristig aus.“Bridge of Spies“ beweist einmal mehr,
       dass das Spielberg’sche Spiel auf der emotionalen Klaviatur kein
       Selbstzweck ist, sondern den harmonischen Rahmen für den Widerhall der
       Gegenwart darstellt.
       
       25 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Tietke
       
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