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       # taz.de -- Diskussion über Geflüchtete: Lieber Jan,
       
       > Jan Feddersen und die Publizistin Necla Kelek streiten sich: Gehen wir
       > hier zu naiv mit muslimischen Flüchtlingen um? Kelek findet: Ja.
       
   IMG Bild: Was wird aus den Frauen und Mädchen in Flüchtlingsheimen?
       
       Du weißt, dass ich das offene Wort sehr schätze und keiner Diskussion aus
       dem Wege gehe. Du wirfst mir in [1][Deinem offenen Brief] kurz gefasst
       mangelnde Empathie in der Flüchtlingsfrage vor, und du fragst mich, was ich
       denn zur Verbesserung der Lage tue.
       
       Du müsstest seit Langem wissen, dass ich nicht nur schreibe, sondern auch
       seit Jahren da tätig bin, worüber ich schreibe. Ich bin Mitglied in zwei
       Neuköllner Projekten, dem Verein MaDonna, der minderjährige junge
       Migrantinnen betreut, und im Morus 14, einem Nachbarschaftsverein, der u.
       a. Nachhilfe im Rollbergviertel organisiert. Ich bin im Vorstand von Terre
       des Femmes. Wir unterstützen Frauenorganisationen in der Osttürkei, wie in
       der Stadt Van, den Verein Yaka Koop.
       
       Dieser Frauenselbsthilfeverein organisiert in kurdischen Dörfern Kampagnen
       und Aufklärung gegen Kinderhochzeiten. Ich war gerade an der
       türkisch-iranischen Grenze, und wir haben mit Dorfvorstehern und Hodschas
       gesprochen und sie dafür gewonnen, diese Frauen zu unterstützen. Wir
       übernehmen dort Patenschaften für junge Frauen. Dass vor uns die türkische
       Armee und hinter uns die PKK schoss, will ich nicht als Zeichen unserer
       Tapferkeit interpretieren. Wir wurden schlicht überrascht.
       
       Ich habe vor wenigen Tagen in einer Berliner Notunterkunft gesehen, wie
       sich dort schon die zukünftige Parallelgesellschaft etabliert, bewacht von
       jungen Männern, die als Security in Warnwesten alle Insignien der
       Salafisten zur Schau stellen. Du weißt, dass die libanesischen Clans und
       die Islamvereine in Berlin beginnen, den „Markt“ der Flüchtlingsbetreuung
       unter sich zu teilen? In einer Unterkunft wurde bereits von einem Hodscha
       ein minderjähriges Flüchtlingsmädchen mit einem doppelt so alten Mann mit
       einem Koranvers getraut.
       
       Ich tue meinen Teil und lasse mich dabei nicht von Gefühlen überwältigen.
       
       Dieses Land braucht vielmehr Verantwortung der Bürger, gerade von Muslimen
       – eine radikale Mitte, die für Demokratie und Grundrechte einsteht. Wenn
       die Politik nicht in der Lage ist, wenn Konzepte fehlen, weil die
       verantwortlichen Migrationsforscher versagen, muss ich eben Tacheles reden.
       Manche Wahrheiten sind bitter wie Medizin. Wer sich verantwortlich fühlt,
       braucht einen klaren Kopf und klare Ansagen, wo andere es sich im guten
       Gefühl gemütlich machen.
       
       ## Frauenrechte stärken
       
       Du kennst meine Bücher, meine Artikel. Ich plädiere für bürgerschaftliche
       Beteiligung, aber gegen die politischen Islamverbände, die die Menschen in
       die Moscheen, aber nicht in die Freiheit lassen wollen.
       
       Ich fordere Stärkung der Rechte der Frauen bereits in den Notunterkünften,
       besondere Beratung und Betreuung, Aufklärung über ihre Rechte. Ich habe in
       dem von dir zitierten Interview für Patenschaften von Frauen zu Frauen
       gesprochen. Wir müssen unsere Grundrechte auf Selbstbestimmung und
       Gleichberechtigung nicht nur benennen, sondern praktisch durchsetzen. Das
       ist Dir zu wenig, zu kalt, zu schroff?
       
       Als ich, mit Frauen wie Seyran Ates, Güner Balci oder Serap Çileli vor zehn
       Jahren gegen Zwangsheirat schrieb, warf man uns vor, wir würden Einzelfälle
       aufbauschen. Als ich Erdoğan eine islamistische Agenda attestierte, nannten
       die Grünen mich eine Verleumderin. Als ich auf die strukturelle Gewalt in
       islamisch-patriarchalischen Gesellschaften hinwies, war ich eine
       Panikmacherin.
       
       Als ich auf einer europäischen Leitkultur bestand, war ich eine
       Fundamentalistin der Aufklärung. Und jetzt, wo sich nach und nach die
       Einschätzungen von kritischen Geistern und Religionskritikern in Sachen
       Islamismus bewahrheiten, soll ich zufrieden sein? Ich denke nicht daran,
       mich anzupassen.
       
       Nicht unsere Wünsche, sondern die Wirklichkeit bestimmen die Analyse, die
       Diagnose und die Therapie. Ich bin Soziologin, ich analysiere Strukturen,
       mahne und verzweifle manchmal an der Ignoranz.
       
       ## Das Schuldgefühl heilen
       
       Die sich selbst als „links“ bezeichnenden Intellektuellen dieses Landes
       lieben inzwischen das heimelige Gefühl, sie wollen sich mit dem Fremden,
       mit dem Ästheten-Islam eines Navid Kermani identifizieren können. Gegen den
       Terror-Islam des IS ist man selbstredend, aber über die Strukturen dieser
       Ideologie, die sich Islam nennt, nachzudenken wird abgelehnt.
       
       Im Kern machen die Linken, was Michel Houellebecq in seinem Roman als
       „Unterwerfung“ beschrieben hat. Man beschwört die Gefahr von rechts als
       Menetekel, und die Islamisten erscheinen als Diskriminierungsopfer der
       deutschen Gesellschaft, und man überlässt ihnen das Feld.
       
       Es herrscht von der Kanzlerin bis hin zur taz eine Gesinnungsethik, die
       einerseits dem eigenen Volk nicht über den Weg traut, andererseits aber
       erwartet, dass Fremde, die nie auch nur eine Spur von religiöser Freiheit
       erlebt haben, das eigene Schuldgefühl heilen. Mithilfe der Einwanderer will
       man offenbar erreichen, was weder Sozialismus noch RAF-Terror erreicht hat,
       nämlich die Umverteilung und Disruption unserer Gesellschaft.
       
       Es gibt nur eine Handvoll Dissidenten, die kritisch ihre Stimme gegen einen
       real existierenden Islam erheben, und die werden mit oft unlauteren Mitteln
       bekämpft.
       
       Der Islam ist, was er ist, und nicht das, wovon man träumt oder was man
       sich herbeiredet. Der Islam ist aktuell auch eine Ideologie, die dem Terror
       eine Legitimation bietet. Es ist die Pflicht der Muslime, ihren Glauben zu
       einer Religion zu gestalten. Meine Hoffnung ist, dass mit Helmut Schmidt
       nicht auch die „praktische Vernunft“ in diesem Land zu Grabe getragen wird.
       Wir haben Anlass, uns Sorgen zu machen.
       
       Deine Necla Kelek
       
       22 Nov 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ein-Brief-gegen-die-Angst/!5249001/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Necla Kelek
       
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