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       # taz.de -- Die Wahrheit: Schizo in den Advent
       
       > Neues aus Neuseeland: Am südlichen Ende der Welt bringt nicht nur die
       > Sommerhitze den altbekannten Weihnachtsfahrplan durcheinander.
       
   IMG Bild: Mit hängender Rolltreppenvisage und Kaufrauschtüten ziehen sie durch Konsumzonen
       
       Bei uns ist es im Juli Winter und im Dezember Sommer. Verdrehte Welt auf
       der Südhalbkugel. Wenn Weihnachten ansteht, ist auch die Stimmung das
       komplette Gegenteil von germanischem Brauchtum: Partys und Prosecco statt
       Blockflöten und Besinnung. Woran ich mich auch nach einem Jahrzehnt nicht
       gewöhnt habe: Ab jetzt laufen sogar die Uhren rückwärts.
       
       Aus Deutschland kannte ich den alljährlichen Ablauf so: Zum ersten Advent
       backt man Plätzchen und bastelt einen Kranz. Mitte Dezember stürzt man sich
       frühestens in die Weihnachtseinkäufe. Der Tannenbaum wird erst am
       Nachmittag des Heiligabends dekoriert. Und am 25. 12. ist alles vorbei.
       Aber hier, im tiefen Süden? Entgegengesetzter Fahrplan, verschärft durchs
       Immigrantendasein.
       
       Vor zwei Wochen wurde es endlich warm und sonnig. Das erste Bad im Meer,
       das erste Grillen im Garten, ein Mückenstich gar. Und die ersten
       glitzernden Rentier-Dekos in den Billigshops. Au weia. Nicht nur droht
       jetzt die „silly season“ mit Promille – nein, viel schlimmer, ich habe den
       Paketstopp verpasst. Das ist der Termin Ende November, den die
       neuseeländische Post als letzte Chance verkündet, um rechtzeitig
       Weihnachtspäckchen nach Europa abzuschicken.
       
       Geschenke für die Lieben in 18.000 Kilometer Entfernung sind das Erste,
       woran man hier noch lange vor dem ersten „Jingle Bells“ denken muss.
       Adventskalender, Kranz und Plätzchen sind Kiwis herzlich egal, aber als
       Familie mit Migrationshintergrund sitzen wir zwischen allen Stühlen.
       
       Der Tannenbaum gehört nach angelsächsischer Tradition schon jetzt dekoriert
       ins Wohnzimmer, aber bei uns taucht er halbherzig um den 20. herum auf.
       Heiligabend gibt’s eh nicht, Bescherung erst am 25. morgens. Keine
       gefüllten Stockings am Kamin, dafür Erzgebirgsengel. Statt Lunch und Strand
       abends Braten mit deutschen Freunden. Als Kompromiss dazu knallende
       Christmas Crackers. Ein mutierter Multikulti-Hybrid ist dieser ganze
       heilige Bimbam! Da kommt man zwischen Sommerhitze und Kerzenschein ganz
       schön ins Schwitzen.
       
       Susan Devoy hat daher mein ganzes Mitgefühl. Sie ist die Vorsitzende der
       „Race Relations“-Kommission und hat sich jetzt pünktlich zum ersten Advent
       voll in die Mistelzweige gesetzt. Denn ARMS, die Flüchtlingshilfe
       Aucklands, hat zu seiner jährlichen Migrantenverköstigung mit den neutralen
       Floskeln „happy holidays“ und „season’s greetings“ eingeladen, um damit
       keine Religion auszuklammern. Susan Devoy fand es auf Nachfrage völlig
       korrekt, dass das C-Wort nicht vorkam.
       
       Ein Shitstorm ging daraufhin über der guten Frau nieder: Sie wolle
       Weihnachten abschaffen! Politisch korrekter Wahnsinn! Kultureller
       Ethno-Terror! Ein rechter Blogger fragte sich, was Susan Devoy und
       IS-Führer Baghdadi gemeinsam hätten: „Sie beide wollen alle Spuren des
       Christentums beseitigen.“
       
       Leider griff keiner der Erbosten die hervorragenden Alternativvorschläge
       der Fernsehserien Seinfeld und The OC auf: „Festivus“ oder „Christmukkah“.
       Also bleibt es bei „Merry Christmas“.
       
       3 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anke Richter
       
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