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       # taz.de -- Olympiabewerbungsende: Das Wunder von Hamburg
       
       > Die Hamburger haben abgestimmt , doch das Ergebnis fiel nicht so aus, wie
       > es die Regierenden erhofft hatten. Sind Visionen mit dem Volk nicht zu
       > machen?
       
   IMG Bild: Katzenjammer bei Bürgermeister Olaf Scholz, Bürgermeisterin Katharina Fegebank und Olympia-Präsident Alfons Hörmann
       
       Hamburg taz | In Hamburg herrscht Katzenjammer. Wie sehr das Nein des
       Wahlvolks zu Olympia das Establishment der Stadt überrascht hat, lässt sich
       am besten an Äußerungen vom Wahlabend ermessen. Es sei eine Entscheidung,
       die „nicht rational geprägt“ sei, in ihr zeige sich eine „Antihaltung
       gegenüber allem, was der Staat macht“, bepöbelte der Präsident des
       Hamburger Sportbundes, Jürgen Mantell, die Wähler.
       
       „Die über lange Zeit sehr hohen Zustimmungsquoten haben gezeigt, dass viele
       Menschen die Spiele im Grundsatz befürworten. In den letzten Wochen haben
       aber zu viele politische Ereignisse bei zahlreichen Menschen zu
       Verunsicherung und Besorgnis geführt“, bemühte Alexander Otto, Chef des
       Einkaufszentrum-Konzerns ECE, einen demokratischen Betriebsunfall. „Man
       muss das Ergebnis akzeptieren, auch wenn man sich selbst ein anderes
       gewünscht hätte“, rang sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den
       größtmöglichen Gemeinplatz ab.
       
       Für seinen Sportsenator Michael Neumann (SPD) war das Ergebnis schlicht
       „unfassbar“: „Ich werde noch tage- und wochenlang den Kopf schütteln.“ Das
       Verdikt des Handelskammer-Hauptgeschäftsführers Hans-Jörg Schmidt-Trenz
       lautete: „Dieses Ergebnis ist ein schwerer Rückschlag für die
       Zukunftsgewandtheit unserer Stadt.“ Politik, Sport und Wirtschaft hätten
       „wie nie zuvor an einem Strang gezogen, um eine Jahrhundertchance zu
       realisieren“.
       
       Recht hat der Mann. Selten war sich alles, was in Hamburg Rang und Namen
       hat, derart einig: Hamburg kann nicht nur, Hamburg braucht Olympische
       Spiele. Zuletzt klang es beinahe, als wäre es die einzige Chance, die der
       Stadt noch bleibt.
       
       Nur die kleine Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft hielt dagegen,
       mit ein paar versprengten Grüppchen aus der linken Szene, die einander das
       Schwarze unter den Fingernägeln nicht gönnten. Und das Volk? Sagt einfach
       „nö“. Obwohl es den Meinungsforschungsinstituten vorher immer schön „jo“
       gesagt hatte. Noch Minuten nach Schließung der Wahllokale präsentierten sie
       eine Prognose, nach der eine satte Mehrheit für die Spiele gestimmt habe.
       
       Sind das jetzt alles notorische Neinsager? Bedenkenträger? Verzagte?
       Selbstzufriedene Kleingeister? Angstmacher? Oder gar Staatsfeinde? Für
       diese Art Unterstellungen kann man fast ein bisschen Verständnis
       aufbringen. Schließlich sah es für ein paar Monate so aus, als könne
       Hamburg am großen Rad der Weltläufe drehen, aus dem Schatten von Berlin,
       und, ja, auch München treten, aus der Reihe der „second cities“ einen
       Schritt nach vorn.
       
       Und nun ist alles kaputt, „Hamburg meine Perle vor die Säue geworfen“, wie
       Handball-Rentner Stefan Kretzschmar twitterte. Sogar den Empfang der
       Olympiateilnehmer nach den Spielen in Rio hat der Deutsche Olympische
       Sportbund Hamburg postwendend abgesagt. Jetzt kommen wieder die Mühen der
       Ebene: „Busbeschleunigungsprogramm“, „Fahrradstadt“ oder „Smart City“
       heißen nun die neuen, alten Verkaufsschlager für die kommenden Jahre.
       
       Was sagt das alles nun über die Volksgesetzgebung? Ist das Volk der große
       Verhinderer? Zerstört es die Visionen der Politiker, weil es sie nicht
       versteht oder das Risiko scheut? Es heißt dieser Tage in Hamburg oft, das
       Volk habe immer nur „dagegen“ gestimmt. Stimmt aber nicht: Vor zwei Jahren
       erzwang es den Rückkauf der Energienetze und schuf so neue Stadtwerke, die
       im Interesse der Stadt handeln können, statt im Interesse der Dinosaurier
       des fossilen Zeitalters.
       
       „Dagegen“ hat das Volk nur aus einer Perspektive konsequent gestimmt: von
       oben gesehen. Der Hamburger Senat hat sich bisher in keinem einzigen
       Plebiszit durchgesetzt, ganz egal, ob er schwarz ist, rot oder mit ein
       bisschen grün dabei.
       
       Dass diese kleine Tradition sogar beim ersten Referendum gehalten hat, bei
       einem Plebiszit von oben, das in allen Belangen dafür konfiguriert war, den
       Beschluss einer 85-Prozent-Mehrheit in der Bürgerschaft nur noch absegnen
       zu lassen (und ein echtes Volksbegehren von unten zu unterbinden) – das
       kann man nun tatsächlich das „Wunder von Hamburg“ nennen.
       
       4 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Kahlcke
       
       ## TAGS
       
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